Weder Hexerei noch Zauberei

Ein überarbeitetes Buch zum unerschöpflichen Thema Werbung räumt mit vielen Mythen auf

Ein überarbeitetes Buch zum unerschöpflichen Thema Werbung räumt mit vielen Mythen aufVon Thérèse BalduzziWerbung sei weder Hexerei, die zum Kauf von Waren manipuliere, noch Zauberei, über die Werbeauftraggeber keine Kontrolle haben, sagen die Autoren Max Sutherland und Alice K. Sylvester in ihrem Buch «Advertising and the Mind of the Consumer».
In dieser überarbeiteten Neuausgabe versucht das internationale Autorenpaar, die Funktionsweise von Werbung sowohl für Konsumenten als auch für Werbeauftraggeber auf einfache Art zu erklären und Auftraggebern zu zeigen, wie sie die Wirksamkeit ihrer Kampagnen steigern können.
Nur weil die Wirkung der Werbung oft nicht bewusst nachvollziehbar sei, handle es sich dabei noch lange nicht um geheimnisvolle Kräfte, sondern um viel harmlosere und einfach erklärbare, psychologische Mechanismen, schreiben Sutherland und Sylvester. Doch der Werbung würden dank Büchern wie Vance Packards «The Hidden Persuaders» mystische Kräfte zugeschrieben. Aber auch aus anderen Gründen seien Auftraggeber gegenüber der Wirksamkeit von Werbung oft misstrauisch.
Der Entmystifizierung der Werbung ist der erste und bessere Teil des Buches gewidmet. Mit einleuchtenden und praktischen Erklärungen, unzähligen Beispielen und zahlreichen Bezügen auf die akademische Forschung wird von verschiedenen Seiten her die Funktionsweise von Werbung beleuchtet. Der zweite Teil dreht sich um die Wirksamkeit von Werbung und um Methoden, wie sie gemessen werden kann.
Das in Australien publizierte Buch ist eine überarbeitete, internationale Ausgabe eines 1993 bereits erschienenen Buches. Es basiert auf jahrelanger Berufserfahrung der Autoren. Der Australier Sutherland war Vositzender der Firma NFO Market-Mind, einer Tochtergesellschaft von NFO Worldwide, und betrieb Marktforschung für Gillette, Merck, Kodak, McDonald’s, Miller, AT&T und Nestlé. Sutherland lehrt an verschiedenen Universitäten in Australien und Amerika.
Die Amerikanerin Sylvester ist Vizepräsidentin und Account Planning Director bei Foote, Cone & Belding in Chicago.
Der grösste Mythos der unheimlichen Kräfte der Werbung sei in den Fünfzigerjahren von einem amerikanischen Kinobesitzer in Umlauf gebracht worden, erzählen Sutherland und Sylvester. James Vicary berichtete, er habe Aussagen wie «Drink Coca-Cola» und «Eat Popcorn» so kurz auf die Leinwand eingeblendet, dass sie von den Zuschauern nicht bewusst wahrgenommen worden seien. Der Verkauf dieser Produkte sei aber in der Folge exponentiell gestiegen.
Obwohl weitherum angenommen werde, die Praxis des «Subliminal Advertising» sei illegal, kam es in Amerika nie zu solchen Gesetzen, schreiben die Autoren. Sie seien auch nicht notwendig. Versuche, diese Wirkung in Experimenten nachzuvollziehen, scheiterten. Über 200 akademische Papers wurden zum Thema veröffentlicht, aber die Behauptung des Kinobesitzers konnte nie erhärtet werden. 1984 gestand er, die Geschichte erfunden zu haben.
Die Autoren schreiben ausserdem, dass «Subliminal Advertising» praktisch gar nicht möglich sei: Mit einem Abstecher in die Verhaltenspsychologie erklären sie, dass das Bewusstsein nicht eine absolute, sondern eine graduelle Grösse sei. Man sei sich einer Sache nicht bewusst oder unbewusst, sondern mehr oder weniger bewusst. Die Idee des «Subliminal Advertising» beruhe auf der Annahme, dass Werbung knapp unter der Schwelle des Bewusstseins wahrgenommen werde.
Diese Schwelle würde aber nicht von allen zum gleichen Zeitpunkt erreicht. Zudem sei Werbung, die mit nur geringem Grad an Bewusstsein wahrgenommen werde, keineswegs gefährlich, sondern im Gegenteil weniger wirksam als solche, die mit erhöhter Beachtung wahrgenommen werde.
Der Mythos des «Subliminal Advertising» halte sich nur so gut, weil er das Image der dunklen Kräfte bestätige, das für viele der Werbung anhafte, und weil die Funktionsweise der Werbung oft nicht klar erkennbar sei. Mit Werbung könne man Konsumenten nicht unbewusst fernsteuern und bewirken, dass sie plötzlich hinausrennen, um das beworbene Produkt zu kaufen. Vielmehr handle es sich um viel harmlosere, aber subtile, kleine Schritte von Beeinflussungen.
Bei hochpreisigen Produkten richtet Werbung wenig aus
Vor allem bei alltäglichen Gebrauchsartikeln wie Shampoo, so genannten Low-Involvement-Entscheidungen, könne Werbung die Rangordnung der Wahlmöglichkeiten beeinflussen, die dem Konsumenten zur Verfügung stünden. Die Behauptungen über ein Produkt würden nicht unbedingt geglaubt, blieben aber hängen und können bei der Entscheidung zwischen zwei gleichwertigen Alternativen eine Rolle spielen.
Wiederholung über eine gewisse Zeit bewirke, dass man sich an die Aussagen gewöhne, zumal kein Grund bestehe, sich aktiv damit auseinander zu setzen wie etwa beim Kauf eines Autos, einer High-Involvement-Entscheidung. Bei solchen Situationen spiele die Werbung eine noch kleinere Rolle und bewirke oft nur, dass die Marke überhaupt in die Rangliste aufgenommen und in Betracht gezogen werde.
Marken werden zu Symbolen
und lösen Reflexe aus
Der Hauptgrund dafür, warum Werbung für viele mysteriös bleibe, liege im Umstand, dass sie meist nicht als offensichtliche Mitteilung daherkomme. Imagewerbung und visuelle Erfahrungen werden als Eindrücke registriert, aber nicht bewusst als Nachricht eingeordnet.
Über mehrere Kapitel erklären die Autoren, wie starke Bilder in Interaktion mit Wort und Musik als Unterhaltung, Minidramen oder Stimmungsbilder erlebt werden, die bestimmte Assoziationen und Wertungen nahe legen. Damit werde über die Zeit beeinflusst, wie ein Produkt, eine Marke oder ihre Verbraucher wahrgenommen würden.
Die Marken erlangen einen Symbolwert. Ob es sich um ein Hakenkreuz, den Mercedes-Stern oder den Volvo-Schriftzug handle: Die Reaktionen, die die Symbole hervorrufen, seien erlernt. Doch dieser Lernprozess geschehe oft unbemerkt.
In einem Kapitel über Grenzen der Werbung hebt das Autorenpaar hervor, dass die Kraft der Beeinflussung masslos überschätzt werde. Auf die oft geäusserte Kritik, wonach Werbung Bedürfnisse schaffe und die Konsumenten zum Kauf von Waren manipuliere, die sie nicht bräuchten, antworten sie, dass sich mindestens 40 Prozent der neuen Produkte auf dem Markt nicht behaupteten.
Zur Lancierung eines neuen Produkts genüge zudem Werbung allein bei weitem nicht, sondern müsse von Promotion und Warenmustern begleitet sein. Ausserdem sei die Auffassung, was eine Notwendigkeit darstelle und was nicht, objektiv nicht messbar. Der Luxus von gestern wie Klimaanlagen oder Videorecorder seien die Gebrauchsartikel von heute.
Das grösste Hindernis für die Werbewirkung seien die Aktivitäten der Konkurrenz. Der allgemeine Lärm verschiedener konkurrierender Werbungen in der gleichen Produktekategorie verdünne die Wirkung einzelner Kampagnen. Als Beispiel erwähnen die Autoren die Reaktionen auf die Deregulierung der Telefongesellschaften in den Achtziger- und Neunzigerjahren in Amerika. Die Telefongesellschaften überboten sich damals gegenseitig mit Kampagnen, worauf die Konsumenten ermüdet ausschalteten.
Werbung sei schon darum keine Magie, schreiben die Autoren weiter, weil sich das beworbene Produkt auch qualitativ mit der Konkurrenz messen müsse. Werbung könne Konsumenten dazu bringen, etwas Neues auszuprobieren, das Produkt müsse aber den Test bestehen können.
Mit einem Seitenhieb auf Creative Directors, die sie als verhinderte Filmregisseure einstuften, betonen die Autoren zudem, wie schwierig es sei, eine wirksame Kampagne zu produzieren. Die Kleinfilmer würden ihre Aufträge oft dazu missbrauchen, sich selbst zu verwirklichen und Werbepreisverleihungen würden nur die künstlerische Gestaltung, nicht aber die Wirksamkeit prämieren.
Oberflächliches Patchwork
rezyklierter Beiträge
Um die Wirksamkeit von Werbung und wie diese gemessen wird, dreht sich der zweite Teil des Buches. Er besteht aus verschiedenen Beiträgen, die bereits in Fachzeitschriften erschienen sind. Neben unterschiedlichen Messmethoden zeigen sie auch auf, was bei der Einführung neuer Produkte zu berücksichtigen ist, welche Probleme die Radiowerbung bietet und was geschieht, wenn man Werbung völlig einstellt.
Zu einem Buch zusammengefasst vermittelt die Artikelsammlung jedoch den Eindruck, dass zu viele Themen zu kurz und nur oberflächlich gestreift werden. Es sind Themen, die selbst verdienten, umfassend in einem Buch dargestellt zu werden. Das dünne Kapitel zum spannenden Thema Internetwerbung lässt beispielsweise den Leser enttäuscht zurück. Überzeugender ist das Kapitel über die grosse Rolle, die ein einzigartiger und konsistenter Stil der Werbung spielt, was am Beispiel der Kampagne für Absolut Wodka erläutert wird.
Humor in der Werbung – oder mein unbekanntes Grinsen
Interessant ist auch das Kapitel über die Wirkung des Humors in der Werbung. Das Gebiet sei erstaunlich wenig erforscht, sagen die Autoren, und die Ergebnisse bestehender Untersuchungen seien oft widersprüchlich. Entgegen der allgemeinen Annahme sei Humor nicht immer gut, schreibt das Paar und warnt vor dessen Janusgesicht.
Humor entsteht aus der überraschenden Verknüpfung von Elementen, die nicht zusammenpassen. Als Beispiel erwähnen die Autoren den Spot für einen Kurierdienst: Ein Kanarienvogel scheint Körnchen zu picken. Doch in Wirklichkeit pickt er die Tasten eines Telefons. Was zuerst nach einem Zufall aussieht, entpuppt sich in der nächsten Szene als böse Absicht: Ein Kurier holt die schlafende Katze ab. Der Effekt ergibt sich aus dem bizarren Bild des Vogels, der ein Telefon bedient und seinem intelligenten und hinterhältigen Verhalten, das normalerweise Menschen vorbehalten ist.
Humorvolle Werbung hat den Vorteil, dass sie eine höhere Aufmerksamkeit weckt. Dies kann sich jedoch auch negativ auswirken, warnen die Autoren. Humor könne wie Celebrities oder Erotik ablenkend wirken und die Aufmerksamkeit von der beworbenen Marke weglenken. Deshalb sei es besonders wichtig, die Marke visuell und auch möglichst organisch in den Plot einzubetten. Im Gegensatz zum famosen Budweiser-Spot, in dem Frösche «Bud-Weis-Er» rülpsen, ist die Marke im Kanarienvogel-Spot völlig austauschbar. Da bei humorvollen Spots oft die Produktekategorie gut integriert sei, nicht aber die Marke, laufe man ausserdem Gefahr, der Konkurrenz zuzudienen, schreiben sie.
Positiv wirke sich aber aus, dass die Zuschauer die Botschaft als Unterhaltung erlebten und damit weniger Widerstand zu überwinden sei als bei Behauptungen, die eine wertende (richtig/falsch) Reaktion hervorriefen. Zudem würden humorvolle Werbungen gerne gesehen, und die Beliebtheit einer Werbung drücke sich in der Wirksamkeit aus. Die humorvolle Art zu kommunizieren werde als Teil der Persönlichkeit der Marke wahrgenommen.
Überraschend Positives haben die Autoren auch zur Lebensdauer humorvoller Spots zu sagen: Gewöhnlich werde angenommen, dass humorvolle Kampagnen schneller Ermüdungserscheinungen zeigten als andere. Aus ihrer Erfahrung könnten sie dies nicht bestätigen, schreiben sie. Oft sei sogar das Gegenteil der Fall. Untersuchungen zeigten, dass die Spots immer noch ein Renner seien, wenn bereits Änderungen geplant waren.
Widersprüchliche Untersuchungen zur Lebensdauer humorvoller Werbungen führen die Autoren auf unterschiedliche soziale Situationen zurück. Humor wird mehr genossen, wenn die Lacher geteilt werden können. Gewisse Kampagnen würden mit der Zeit an Beliebtheit gewinnen, weil sie, in gemeinschaftlichen Situationen gesehen, zum Gesprächsstoff würden oder weil ihre Pointen den Weg in den allgemeinen Sprachgebrauch fänden.

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