Aufgefallen: Lust auf Ferien? Natürlich. Immer. Dann spricht Sie diese Anzeige bestimmt an. Nicht?

AufgefallenLust auf Ferien? Natürlich. Immer. Dann spricht Sie diese Anzeige bestimmt an. Nicht? Verständlich, denn dieses Bild weckt längst verdrängte Erlebnisse im Zusammenhang mit Massentourismus, weckt Erinnerungen an heissen Sand, an eine M

Aufgefallen Lust auf Ferien? Natürlich. Immer. Dann spricht Sie diese Anzeige bestimmt an. Nicht? Verständlich, denn dieses Bild weckt längst verdrängte Erlebnisse im Zusammenhang mit Massentourismus, weckt Erinnerungen an heissen Sand, an eine Menge Deutsch sprechender Feriengäste, an unruhige Kinder und an schrecklich langeweilige, heisse Tage. Erinnerungen, die auf der Uniformität des Strandalltags gründen, bei der das jeweilige Highlight darin besteht, Morgen für Morgen den besten Platz zu ergattern und die langen Stunden bis zur Apérozeit durchzuschwitzen.
Und genau dieses Bild vermittelt diese Anzeige – der direkte Weg von der heimatlichen Gleichförmigkeit in die portugiesische Ferienordnung. Wir verlassen unsere senkrechten, quadratischen Wohnungen, um uns für ein bis zwei Wochen unter quadratischen, waagrecht positionierten Sonnenschirmen zu erholen, wobei jeder Schirm und der von ihm gespendete Schatten eine klare territoriale Grenze markiert. Ob dies, wie die Copy verspricht, «von Natur aus herzlich» ist, wage ich zu bezweifeln. Und ich bezweifle weiter, dass wir die Strände der Algarve genauso lieben werden wie diese netten Kids. Ich bin mir aber sicher, dass ich an einem solchen Strand schon nach der ersten Stunde gemeinschaftlichen Sonnenanbetens alles geben würde, um wieder in mein Büro zurückzukehren.
Und hier liegt der Hund begraben – ich gehöre nämlich gar nicht zur Zielgruppe dieser kinderfreundlichen Anzeige. Sie richtet sich klar an Kleinfamilien mit mittleren Einkommen, die gezwungenermassen während der Hochsaison in den Süden fahren. Doch leider war diese Anzeige nicht in der Schweizer Familie oder in Wir Eltern platziert, sondern in der deutschen Wirtschaftswoche, einer Publikation, deren Leser der Sinn in ihrer Freizeit nach allem anderen steht als nach Uniformität. Chandra Kurt
Kolumne

Weisst du noch?
Von Michael Barney
Es gibt ein paar Bilder, die prägen sich unwiderruflich ein. Kaum sieht man sie wieder, sind auch die Erinnerungen schon da. Eine Story über Roman Polanski im reporter-Magazin. Das Foto von seiner Hochzeit mit Sharon Tate: sie im Mini mit den schönen langen Beinen, er im unvorteilhaften Gehrock. Wie habe ich ihn damals beneidet um diese Frau! Auf einmal fiel mir das wieder ein. Oder Gerüche. Die ganze Schulzeit kommt zurück, wenn man Turnhallen betritt. Der Geruch von Nivea-Sonnenöl lässt eine Badeanstalt vor meinem inneren Auge erscheinen. Und der von Clerasil den ersten Kuss. Wie toll riechen neue Bücher, wenn man die Folie entfernt hat und die ersten Seiten aufschlagen. Wissen wir heute noch, wie Tinte riecht? Das Fixogum aus der Zeit, als Layouts noch geschnippelt und geklebt wurden? Und noch kein Computer den Kunden dazu veranlasste, im Entwurf schon die gedruckte Anzeige zu beurteilen. Da wurden noch Scribbles auf dem Konfitisch ausgebreitet. Und da die Bodycopies noch Schlangenlinien waren, wurden sie laut vorgelesen, schön mit Betonung. Aber heute? Im E-Mail-Zeitalter braucht es keine Tinte mehr. Keiner liest mehr was oder tanzt Filme vor. Aus und vorbei. Stattdessen will man alles schneller und perfekter haben. Und damit erkaltet die Fantasie, wenigstens teilweise. Wo bleiben denn die Bilder im Kopf? Die man hatte, als Radioreporter von Fussballspielen berichteten? Als Liebesbriefe noch von Hand geschrieben wurden? Auch wenn man mich jetzt belächelt: Ich tue es noch! Alles, was ich hier ein bisschen wehmütig anmerke, soll nicht traurig machen, sondern Mut: Immerhin hat Reklame auch etwas mit Bildern im Kopf zu tun. Lasst uns diese schöne alte Tugend pflegen, bevor wir uns wieder an den Computer hocken. Oder zum Drucker rennen.
Sprachbeobachter

Von links nach rechts
Die Grundformen der Welt sind symmetrisch. Kugel und Kreis, Rechteck und Quadrat, Kreuz und Stern. Auch die realen Erscheinungen dieser geometrischen Formen – die Sonne, der Baum, das Haus, das Fenster, die Blüte, das Gesicht – wirken klar und einfach. Symmetrische Formen lösen Gefühle von Harmonie, Ruhe und Sicherheit aus.
Der Mond dagegen birgt ein Geheimnis – schon seiner Form wegen. Ein Pfeil bedroht uns (Waffe) oder reizt uns (Hinweis), macht uns unruhig oder neugierig. Das Gleichheitszeichen = belässt auch uns im Gleichgewicht, während die Zeichen < oder > uns keine Ruhe lassen, bis wir nicht wissen, was denn nun grösser oder kleiner sei.
Der Mensch ist ein symmetrisch veranlagtes Wesen. Unser Körper ist äusserlich symmetrisch, und auch unser Zeitempfinden ist es: hinter uns die Vergangenheit, vor uns die Zukunft, in der Mitte wir selbst. Doch wir werden fortwährend zur Asymmetrie gezwungen: Eine Tür öffnet sich nur nach innen oder nach aussen, nach links oder nach rechts, im Auto sitzen wir links, steuern den Wagen aber auf der rechten Strassenseite usw. Der Mensch hat seine Mitte verloren, und das macht ihn nervös.
Diese Nervosität ist nicht in erster Linie ein Ergebnis der Zivilisation, sondern schon in unserem Bauplan angelegt: Das Herz schlägt links, wir arbeiten meist mit der rechten Hand, und fast jede Geste, jede Bewegung hat eine Richtung: von links nach rechts oder umgekehrt.
Schreiben ist schon aus geometrischen Gründen beunruhigend. Auch symmetrische Buchstaben (A, H, V …) entstehen, wenn sie nicht gerade gestempelt werden, auf asymmetrische Weise: Irgendwo müssen wir den Stift ansetzen.
Dass wir das meist links tun und den Strich nach rechts ziehen, hängt mit der generellen Rechtshändigkeit zusammen. Würden wir den Stift rechts ansetzen, könnten wir die Linie nicht ziehen, wir müssten sie stossen. Das geht mit Bleistift oder Kugelschreiber noch einigermassen. Die Gänsefeder jedoch, unter der die Schrift des Abendlandes entstanden ist (und die einen Schreibschub auslöste, da ihr Reservoir im Kiel es ermöglichte, mehrere Buchstaben ohne Absetzen aneinander zu reihen), würde das Papier aufkratzen und Spritzer erzeugen.
Die Schreib- und Leserichtung wurde im Lauf der Jahrhunderte so wichtig, dass sie für unsere Wahrnehmung der Welt bestimmend geworden ist. Eine Schräge von unten links nach rechts oben nennen wir eine Steigung, während dieselbe Schräge von oben links nach rechts unten als Abfahrt gilt – mit einer Selbstverständlichkeit, die einen Hebräer den Kopf schütteln liesse. Die Hebräer lesen von rechts nach links und besitzen Zeitmesser, deren Zeiger sich «gegen die Uhr» drehen.
Von links nach rechts. Das ist so selbstverständlich wie Tag und Nacht.
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Beat Gloor, www.textcontrol.ch

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