«Die Mächtigen in der Branche werden immer noch mächtiger»

Lajos Vizner und Guillaume Borel, die Inhaber der Agentur ViznerBorel, erklären im Interview mit Werbewoche.ch, was es mit dem aktuellen Cover der Werbewoche auf sich hat und welche Folgen die Krise für die gesamte Branche haben könnte.

ViznerBorel

«ViznerBorel zu verkaufen»: Die aktuelle Ausgabe der Werbewoche ist die erste in der 47-jährigen Geschichte des Titels mit zwei Covern.

 

Werbewoche.ch: Die aktuelle Werbewoche zeigt Sie beide auf dem Cover, darunter die überraschende Schlagzeile «Zu verkaufen: ViznerBorel». Wollen Sie sich wirklich aus der Werbebranche zurückziehen?  

Lajos Vizner: Konfuzius sagte: Wähle einen Beruf, den du liebst, und du brauchst keinen Tag mehr in deinem Leben zu arbeiten. Daher ist die Antwort ganz klar: Nein. Wir haben in uns so viel «feu sacré», also Herzblut, Leidenschaft und Engagement, dass wir gar nicht aufhören können.

 

Wer einmal umblättert, der sieht, dass es sich bei dem Cover um eine geschickt platzierte Anzeige handelt. Sie verkaufen nicht etwa Ihre Agentur, sondern weiterhin Ihre Leistungen – mit einem leidenschaftlichen Text wider COVID-19. Wie sind Sie auf die Idee zu dieser Werbung gekommen?

Vizner: Ehrlich jetzt? Die Werbewoche hat uns dazu verleitet, als die Anfrage kam, ob sie eines unserer COVID-19 Sujets zu «Social Distancing» auf der Titelseite abdrucken könne. Wir haben uns gesagt, wenn wir schon auf die Frontseite kommen, dann soll es auch richtig «Bamm!» machen. ViznerBorel steht dafür, dass wir Kunden stets herausfordern und von ihnen erwarten mutiger, differenzierender und disruptiv zu sein. Nur so können wir innerhalb der Zielgruppe etwas bewegen.

ViznerBorel

Und diesen Massstab legen Sie also auch bei sich selbst an? 

Guillaume Borel: Wir sind davon überzeugt, dass wir mit polarisieren in der heutigen Zeit mehr erreichen, als mit belangloser, langweiliger und wir-wollen-es-allen-recht-machen-Kommunikation. Das erfordert zum Teil viel Überzeugungsarbeit und vom Kunden Mut, es auch konsequent umzusetzen. Im Nachhinein sind dann alle froh, es gemacht zu haben, weil die Leute sich intensiv mit der Marke auseinandergesetzt, involviert und im besten Fall das Produkt gekauft haben. Mit dieser Aktion sind wir mit einem guten Beispiel vorangegangen. Wir können ja nicht nur von unseren Kunden verlangen laut zu sein und selber sind wir es nicht. Schlussendlich hat es einfach «klick» gemacht und die Idee war geboren. Danach war es das perfekte Zusammenspiel zwischen Guillaume und mir.

 

Wie haben Sie persönlich die vergangenen Monate erlebt?

Vizner: Schwierig. Aber auch sehr spannend und inspirierend. Es gibt in Krisen zwei Möglichkeiten. Entweder, man steckt den Kopf in den Sand und bemitleidet sich selbst. Oder man sieht es als eine Chance. Wir haben die Zeit genutzt und zusammen mit Michael à Porta, Mitinhaber von unserer Online-Agentur Wetalkwithyou, ein neues Produkt entwickelt: einen webbasierten Video-Chat mit integriertem Online-Shop. Dieses Tool ist besonders für erklärungsbedürftige Produkte geeignet und bietet quasi eine 1:1 POS-Beratungs-Situation. Der Commerce-Chat setzt den Trend der Videokonferenz fort.

 

Und Videokonferenzen sind gegenwärtig ja in aller Munde, richtig?

Vizner: Vor COVID-19 haben die wenigsten Zoom gekannt. Heute nutzt es jeder. Die Idee von Commerce-Chat hatten wir allerdings schon vor zwei Jahren. Wir haben uns damals schon gefragt, wie schaffen wir aus der Distanz die Nähe zum Kunden. Niemand war aber bereit, die Entwicklungskosten mitzutragen. Nun haben wir es selber umgesetzt. Der Verkauf von Commerce-Chat zeigt aber leider auch sehr deutlich, wie die meisten Unternehmen ticken. Alle sind im post-COVID-Modus, sind verunsichert, ängstlich und verharren in der Jetztzeit. Anstelle in die Zukunft zu investieren, innovativ zu sein und dadurch einen Vorsprung gegenüber der Konkurrenz zu erlangen. Doch auch hier, etwas mehr Mut und nicht die stete Suche nach Problemen und Gründen etwas nicht zu tun, wäre wünschenswert. Es ist uns aber auch bewusst, dass man zuerst sähen muss, bevor man ernten kann. Daher sind wir überzeugt, dass die Zeit von Commerce-Chat noch kommen wird.

 

Was hat sich in Ihrem Agenturalltag verändert?

Borel: Durch das Home-Office ist die Kommunikation mit den Mitarbeitenden viel schwieriger geworden. Unsere Branche lebt auch vom spontanen Austausch von Ideen und Gedanken. Das hat in den letzten Monaten gelitten. Wie auch das Zwischenmenschliche. Wir sagen ja immer: «You can’t e-mail a handshake.»

 

Welche Auswirkungen der Pandemie auf die Schweizer Werbebranche als Ganzes sieht man Ihrer Meinung nach bereits jetzt? 

Borel: Unsere Branche hat sich ja schon vor COVID-19 stark verändert und hatte Grippesymptome. Für viel Agenturen bedeutet die Pandemie vermutlich der Todesstoss. Die Kurzarbeitsentschädigung zögert diesen nur heraus. Eine Konsolidierung der Branche wird es wohl im Herbst geben, wenn die Gelder aus der Arbeitslosenkasse nicht mehr fliessen.

 

Und was könnte noch kommen?

Vizner: Eine noch stärkere Konzentration und Vergabe von schwergewichtigen Mandaten zu den Grossagenturen. Die jüngsten Entwicklungen in der Branche zeigen das deutlich. Die Mächtigen werden immer noch mächtiger und profitieren von einer gewissen Planungssicherheit. Klein- und mittelgrossen Agenturen wird leider vielfach nicht zugetraut, dass sie solche Mandate bewältigen können. Dabei wächst eine Agentur mit ihren Kunden. Wir haben schon sehr grosse Gesamt-Etats betreut wie Porsche, Denner, Ikea, Heineken, migrolino, UPC um nur einige zu nennen. Kleinagenturen sind heute dem steten Überlebenskampf ausgesetzt, weil vielfach nur noch projektbezogene Jobs vergeben werden. Und selbst diese Aufträge werden noch gepitcht oder aufgrund eines unseriösen Kostenvoranschlags vergeben. Es ist einfach eine schwierige und unberechenbare Situation, weil man heute nicht weiss was morgen kommt. Ein richtiges Abenteuer.

 

«Zu verkaufen: ViznerBorel» ist eine mutige Idee, um Aufmerksamkeit zu generieren. Wenn Sie sich die heutzutage typische Werbung anschauen – vermissen Sie dann bei Agenturen und Auftraggebern manchmal den Mut, neue Wege zu gehen?

Borel: Das Problem ist etwa gleich wie bei der jetzigen Pandemie. Es gibt zu viele selbsternannte Experten. Oder jeder kennt noch einen, der auch noch einen Beitrag für billiges Geld leisten kann. Es ist schon beängstigend, wie die Kreation und unsere Arbeit an Wertschätzung verloren hat. Quantität steht vor Qualität. Diese ich-kriege-das-noch-günstiger-Mentalität lässt ausserordentliche Kommunikation gar nicht mehr zu, weil es diesen Leuten einfach an Kreativität, Erfahrung und strategisch fundiertem Know-how fehlt. Wir sagen unseren Kunden immer, sie haben zu wenig Geld für billige Schuhe. Darum sind wir überzeugt, dass sich am Schluss Qualität, relevante, intelligente, differenzierende Kommunikation und Mut durchsetzen wird. Denn Mut heisst Erfolg, nichts anderes.

 

Werbung wirkt momentan wie ein kontrazyklisches Investment. Unabhängige Experten sagen zwar, Marken sollen in Advertising investieren, gerade aktuell. Dennoch sind viele Marketeers sehr zögerlich. Wie erklären Sie sich das?

Vizner: Gute Frage. Wir stellen fest, dass sich viele Marketeers im Tagesgeschäft oftmals nur auf   die Theorie abstützen. Dabei ist Marketing doch eine Kombination zwischen Intuition, Erfahrung und Theorie. In Zeiten wie diesen wäre es schön, wenn man sich jetzt wenigstens mehr an die Schriftlehre halten und kontrazyklisch verhalten würde. Aber immer dann gerät es in Vergessenheit, wie auch die Regel, dass man in guten Zeiten Geld sparen sollte, um es in schlechten Zeiten auszugeben.

 

Wenn sich nun doch jemand meldet, der die gesamte Agentur kaufen will – was würden Sie mit der neu gewonnenen Freizeit anfangen? 

Borel: Wie eingangs erwähnt, lieben wir unseren Job. Ein Verkauf ist ja nicht gezwungenermassen gleichbedeutend mit einem sofortigen Ausstieg. In diesem Fall wären wir sicher noch bis zu unserer Pension mit dem selben «feu sacré» dabei, um mitzuhelfen, die Agentur in eine glorreiche Zukunft zu führen. Ganz gemäss unserer Philosophie: «Kommunikation, bei der ein Funke springt, entfacht ein Feuer».

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