«Die Tätigkeiten als Werber und Musiker befruchten sich gegenseitig»

Neo-Werber Grégoire Vuilleumier, bekannt als Musiker Greis, spricht im Interview mit der Werbewoche über die «Shoe Creator»-Kampagne von Public Eye und seine neue Rolle als Texter bei Freundliche Grüsse.

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Werbewoche: Grégoire Vuilleumier, sind Sie ein Sneaker-Freak?

Grégoire Vuilleumier: Absolut, auf jeden Fall.

Aus Konsumentensicht: Wie würde die aktuelle Public-Eye-Kampagne Ihr Verhalten ändern, bzw. wie verändert es sich?

Als ich durch Public Eye erfahren habe, dass die Konditionen in der Schuhproduktion mindestens so schlimm sind wie in der Textilindustrie, hat das mein Interesse geweckt. Interessanterweise habe ich gemerkt, dass mein Schuhkonsum – der sehr hoch ist – zurückgegangen ist, seit die Kampagne am Laufen ist. Und dass ich zudem älteren Paaren, die ich vorher «abgeschossen» hätte, mehr Aufmerksamkeit zukommen lasse: Ich versuche jetzt, sie instand zu halten und sanft zu renovieren.

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Haben Sie sich zuvor nicht für das Thema interessiert?

Mit dem Thema Nachhaltigkeit in der Textilindustrie habe ich mich schon befasst, weil die Problematik häufig in der Öffentlichkeit thematisiert wird. Auch weil es ein USP gewisser Brands ist, modische Ansprüche mit Nachhaltigkeit zu kombinieren. Dieser Mehrwert entspricht einer offensichtlich existierenden Nachfrage. Hingegen habe ich mich nie gefragt, wie es bei Schuhen aussieht.

Wieso nicht?

Vielleicht hat das damit zu tun, dass Schuhe aus vielen verschiedenen Bestandteilen hergestellt werden: Leder, Gummi, etc. Je komplizierter die Zulieferungskette, desto schwerer nachvollziehbar sind die damit verbundenen Misstände.

Aber denken Sie, dass der durchschnittliche Sneaker-Freak Ihrem guten Beispiel folgen wird?

Wir starten zum Glück nicht bei Null. Wenn Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen bei Kleidern nicht schon ein Thema wären und wir diese Türe erst eintreten müssten, dann wäre es viel schwieriger. Aber es gibt eine bestehende Schnittmenge von jungen Leuten, die sich extrem für Mode, gleichzeitig aber auch für Nachhaltigkeit interessieren. Dort wurde schon viel Vorarbeit geleistet. Deshalb ist das unsere Kernzielgruppe. Es geht darum aufzuzeigen, dass Fashion und Nachhaltigkeit kein Widerspruch sind. Zur Ansprache haben wir eine Welt kreiert, die nicht nur die Probleme und mögliche Lösungsansätze aufzeigt, sondern die auch in einem Design daherkommt, welche das Fashion-Vokabular aufgreift.

Funktioniert diese Ansprache?

Definitiv. Ein Beispiel: Ich sammle und verkaufe auch Vintage-Sonnenbrillen. Gleichzeitig zum Kampagnen-Launch wurde ich von der Zürcher Turnschuh-Messe «Sneakerness» angefragt, ob ich dort einen Brillenstand machen wolle. Diesen habe ich gleich mit dem Branding von «The Shoe Creator» umgesetzt. Interessant war, dass viele Menschen dort die Kampagne schon kannten – und wie gut das Feedback war. Die «Sneakerness» selbst ist daran interessiert, nächstes Jahr etwas zu diesem Thema machen, weil ihnen der Aspekt der Nachhaltigkeit noch fehlt im Gesamtkonzept.

Der nächste Schritt wird sein, den «Gewinnerschuh» fair produzieren zu lassen. Welche Erwartungen haben Sie?

Der Abschluss der Kampagne, den Schuh zu produzieren, wird sowohl für die Agentur, als auch für Public Eye eine extrem spannende Herausforderung. Zuviel können wir noch nicht verraten. Der springende Punkt ist aber der: Ich bin nicht alleine. Public Eye, Kreation und Beratung arbeiten Hand in Hand. So kommt man viel weiter, als wenn man alleine etwas produziert und man sich nicht im Ping Pong mit anderen befindet. Das ist der Punkt, den ich an meiner Arbeit bei Freundliche Grüsse schätze im Vergleich zu meiner Tätigkeit als Musiker, wo ich allein Executive Producer bin und jedes Problem selber lösen muss.

Der Team-Gedanke scheint für Sie eine zentrale Rolle bei Ihrer neuen Tätigkeit zu spielen.

Genau, für mich als Musiker, der jetzt in einer Agentur tätig ist, der interessanteste Gedanke: Die Entlastung durch die Beratung lässt viel Spielraum, um kreativ zu sein. Als Musiker habe ich immer gesagt: Ich habe vielleicht ein Talent für die Musik – aber bei einer Albumproduktion macht der kreative Prozess höchstens 15 Prozent aus. Der Rest ist administrative Arbeit.

War das auch ein Grund, wieso Sie überhaupt in die Werbebranche eingestiegen sind?

Das war eine Sehnsucht, die ich immer wieder hatte. Sei es, als ich mal was mit M&C Saatchi in Genf gemacht habe. Oder aber wenn ich Christian Haueter (Berater bei Freundliche Grüsse, Anm. d. Red.)und Samuel Textor (Partner bei Freundliche Grüsse, Anm. d. Red.), mit denen ich studiert habe und seither eng befreundet bin, getroffen habe. Immer wenn ich sie sah und sie mir erzählt haben, sagte ich: Das würde ich «uhuere gern» auch mal machen. Irgendwann wurde es einfach Realität. Ich hatte aber definitiv auch die Sehnsucht, in einem Team zu arbeiten, in dem mehrere Brains zusammen ein Problem lösen. Meine Erwartungen in dieser Hinsicht wurden völlig erfüllt.

Das klingt alles perfekt – haben Sie da überhaupt noch Motivation, die musikalische Karriere gleich engagiert weiterzuführen?

Absolut. Die Tätigkeiten befruchten sich gegenseitig. Ich bin zwar erst seit Oktober hier, habe aber schon extrem viel gelernt, was die Systematisierung von kreativen Prozessen betrifft. Das versuche ich, ins Songwriting einfliessen zu lassen. Ich war jetzt gerade einen Monat lang im Studio und habe versucht, fertig zu denken bis zum Adressat.

Haben Sie das früher nicht getan?

Es gibt viele Songs, die ich vor ein paar Jahren geschrieben habe, die ich heute nicht mehr verstehe. Weil ich damals extrem verliebt war in die Komplexität des Gedankens, den ich gerade hatte. Simplifizierung als Kunstform hat mich aber schon immer interessiert. Und das kann ich hier lernen und praktizieren.

Also kann man diese Simplifizierung und Reduzierung in Zukunft auch musikalisch von Greis erwarten?

Ich werde es versuchen. Aber das ist nicht erst seit Freundliche Grüsse ein Thema. Ich versuche das schon seit ca. fünf Jahren. Das nötige Rüstzeug aber bekomme ich hier viel besser mit als zuvor, als ich es selber herausfinden wollte. Und das hat vor allem mit etwas zu tun: Mit Eitelkeit. Der Grund, wieso ich vorher nicht stärker simplifiziert habe, war, dass ich verliebt war in den Nebensatz und in das Bild. Hier lernt man, mit der Machete die Darlings abzuschlachten. Ständig zu reduzieren. Davon profitiere ich sehr.

Haben Sie als politischer Mensch auch Bedenken in dieser Branche – wenn Sie für ein Produkt oder ein Anliegen werben müssten, das Ihrer Einstellung widerspricht?

Ich hatte diese Bedenken durchaus und mich deshalb auch im Vorfeld mit Leuten aus der Branche darüber unterhalten. Der Usus war, dass man grundsätzlich bei jedem Kunden in Ausstand treten könnte, wenn man etwas nicht vertreten kann. Ich denke aber nicht, dass dieser Fall bei Freundliche Grüsse so schnell eintreffen wird, denn von der Einstellung her kann ich mich zu 100 Prozent mit der Agentur identifizieren. Aber: Für mich ist die Arbeit für Public Eye übrigens viel schwieriger als mit einem anderen Kunden.

Wieso das?

Weil mein Herz drin steckt. Ich habe privat viel mit Public Eye gemacht in den letzten 15 Jahren. Weil es etwas Persönliches ist, nehme ich es viel mehr mit in den Feierabend. Ich denke, je weniger eng man verbunden ist mit einem Auftrag, desto freier kann man ihn angehen.

Interview und Foto: Thomas Häusermann

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