«Schleichwerbung» – Presserat rügt Tagblatt der Stadt Zürich

Der Presserat hat eine Beschwerde gegen das Tagblatt der Stadt Zürich gutgeheissen. Bei einem Artikel zu einer Veranstaltung mit alt Bundesrat Christoph Blocher handle es sich um Schleichwerbung.

Im November 2021 veröffentlichte die Zeitung einen Artikel über eine Veranstaltung zum Thema Führung, Strategie und Entscheidungsfindung mit alt Bundesrat Christoph Blocher. Eine Mitarbeiterin der veranstaltenden Firma Flowcast hatte den Text verfasst. Sie lobte den Anlass in den höchsten Tönen, wies auf die nächste Veranstaltung hin und publizierte eine Web-Adresse, auf der Videos vom beschriebenen Anlass für Geld bestellt werden können. Die Zeitung brachte diesen Text wie einen redaktionellen Text und wies nirgends darauf hin, wer den Text verfasst hat. Der Presserat entschied, dass es sich dabei um Schleichwerbung handelt und die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzt worden ist.

Er begründet sein Urteil wie folgt: «Der Artikel ist gänzlich unkritisch und beschreibt die Veranstaltung ausschliesslich in positiven Worten. Dies allein ist kein Verstoss gegen den Journalistenkodex. Schwerer wiegen drei weitere Befunde. Erstens ist die Autorin keine Journalistin des Tagblatts, sondern eine Mitarbeiterin des Veranstalters CA-Media. Zweitens macht sie im Text Werbung für die nächste Veranstaltung und die Website der Firma. Dort werden die «Führungs-Seminare» mit Christoph Blocher als Video- oder Audio-Aufzeichnungen zum Kauf angeboten, zum Teil für mehrere hundert Franken. Der Text ist also sehr stark kommerziell ausgerichtet. Aufgrund der begeisterten Beschreibung des Anlasses ist er sprachlich und inhaltlich mit einer Publireportage vergleichbar. Ob dabei Geld geflossen ist oder nicht, spielt keine grosse Rolle. Der Text hat einen starken Werbeeffekt zugunsten der Firma, ist aber nicht als Werbung deklariert. Und der Benefit für das Tagblatt kann auch darin bestehen, dass die Redaktion ohne Aufwand und kostenlos zu einem seitenfüllenden Inhalt mit einer prominenten und zugkräftigen Persönlichkeit gekommen ist. Drittens kommt der Werbebeitrag gestalterisch im normalen Layout des Tagblatts daher. Und firmiert im Seitenkopf unter der redaktionellen Rubrik «Aktuell». Gestützt auf all diese Elemente ist der Beitrag als Schleichwerbung zu charakterisieren.»

In einer nachträglich eingeforderten Stellungnahme zur Autorin des Artikels schreibt die Chefredaktorin, dass dem Tagblatt die Ressourcen fehlten, um selbst eine ganztägige Veranstaltung abzudecken. Daher habe man die Organisatoren gebeten, das Grundmaterial für den Artikel zu liefern, damit die Redaktion den Beitrag mit Nachfragen zusammenstellen konnte. Es sei eine gebräuchliche Praxis, anhand von Pressemitteilungen, eingesandten Texten oder bestelltem Grundmaterial Artikel zu verfassen. (sda.)

Weitere Artikel zum Thema