«Wir müssen News neu denken»

Sie moderiert «10 vor 10» und gehört zu den bekannten Schweizer TV-Gesichtern. Beim abgesagten Marketing Tag hätte sie den Media Talk zur Zukunft der Medien geleitet. MK hat sich mit ihr im Vorfeld zur Thematik unterhalten.

Susanne-Wille

MK: Frau Wille, welche Entwicklungen und Trends prophezeien Sie der Medienwelt für 2020?

Susanne Wille: Ich könnte jetzt ganz viele Trends aufzählen. Podcasts, Kurzvideos, Erklärhilfen. Aber: über allen Trends steht das Tempo des technologischen Wandels und die Ungewissheit. Facebook ist bei den Jungen out, dafür reden wir heute von Tiktok oder Twitch. Aber was kommt als Nächstes? Und wo liegt die nächste disruptive Innovation? Darum ist zentral, die Firmenkulturen so zu verändern, dass man schlauer, beweglicher, experimentierfreudiger wird. Wir müssen uns viel mehr Gedanken machen, welche Veränderungen auf uns zukommen und wie wir uns heute darauf vorbereiten.

 

Tun Sie das?

Ja, sehr intensiv sogar. Mit dem Transformationsprojekt SRF 2024 wollen wir Antworten finden auf die Frage, wie wir uns für die Zukunft aufstellen müssen, in welche Richtung sich das Nutzungsverhalten weiter verändern könnte. Im digitalgetriebenen Newsroom haben wir neu bimediale Fachredaktionen eingeführt, damit wir in einer schneller drehenden News- Welt eine grössere Schubkraft haben, auf allen Kanälen, digital und Broadcast.

 

Was ist denn in Zukunft gefragt, reine Unterhaltung in bewegten Bildern, gut konsumierbares Infotainment oder ist gar eine Renaissance des nüchternen Qualitätsjournalismus zu erwarten?

Gefragt ist neues Denken. Fixe Kategorien greifen zu kurz. Qualität muss nicht nüchtern sein. So kann ein Hintergrundbeitrag über den Handelsstreit auch clever in Social-Media-Plattformen übersetzt werden. Wir müssen statt in Kategorien stärker in zielgruppenspezifischen Angeboten denken. Eine Tagesschau erzählt News anders als ein Angebot für Junge auf einem digitalen Kanal. Entscheidend ist zudem, dass wir den Austausch mit dem Publikum ernst nehmen. Hier leben wir in einer Welt, die wenig mit der Medienwelt von früher zu tun hat, wo Medienschaffende primär «sendeten » und sich in der Rolle gefielen, die Deutungshoheit zu haben, ohne Dialog. Hier muss eine neue Grundhaltung her. Es reicht nicht, dies an Community Manager zu delegieren.

 

Kann man sich über Instagram, Youtube und Netflix auch zum mündigen und aufgeklärten Bürger entwickeln?

Ich plädiere für Tatendrang und Fantasie, statt es sich zu einfach zu machen mit Sätzen wie: «Früher haben sich die Jungen auch nicht interessiert für News», oder: «Wenn sie älter sind, informieren sie sich dann schon wieder via Zeitungen oder TV.» Entscheidend ist, dass sich die Jugend informiert. Und wenn sie dies nun woanders tut, dann gilt es, hier Wege zu finden. Auf Youtube finden sich kluge Erklärstücke. Auch eine gut gemachte Serie kann Bildung und Information sein. Die Medienschaffenden sind gefordert. Wir müssen News neu denken. Eine Geschichte, die in «10 vor 10» kommt, wird via Instagram ganz anders erzählt, und dies beginnt bereits bei der Planung. Sicher ist, das Smartphone ist bei den Jungen zentrale Informationsquelle.

Susanne Wille befasst sich als Leiterin des Qualitäts- und Steuerungsboards im Newsroom mit dem digitalen Wandel in der Abteilung Information. Sie ist zudem im operativen Projektteam von «SRF 2024», dem zentralen Transformationsprojekt von SRF. Wille arbeitet auch als Politmoderatorin für das Nachrichtenmagazin «10 vor10» und moderiert Wahlsendungen im In- und Ausland.

Fotos: SRF

susanne-wille

Sorgt nicht genau diese Fokussierung auf das Smartphone dafür, dass die Kanalvielfalt zugunsten eines Einheitsbreis verschwindet?

Nein, es wird weiterhin verschiedene Kanäle und Plattformen geben und brauchen. Aber Medienmachende müssen sich überlegen, welche journalistischen Inhalte bieten sie wo in welcher Form an. Heisst auch, es braucht ein Verständnis für die technischen Möglichkeiten eines Kanals einerseits und anderseits ein Wissen, wie Storytelling, Ansprache, Codes auf einer digitalen Plattform funktionieren: Distributionsfragen lassen sich von Inhaltsfragen nicht mehr scharf trennen. Das verändert die Spielregeln.

 

Sie selbst arbeiten in einem Medienhaus, das von diesem Wandel besonders betroffen ist.

Selbstverständlich, und SRF steht in der Pflicht. Wir haben den gesetzlichen Auftrag, zur Meinungsbildung beizutragen. Wenn diese Meinungen zunehmend auch im digitalen Raum gebildet werden, müssen wir hier Antworten finden. Dass dies durchaus gelingen kann, zeigt ein aktuelles Beispiel. Nach der Tötung des iranischen Generalmajors Soleimani haben wir mit einem Erklärvideo zum Konflikt zwischen dem Iran und der USA allein bei Facebook in kurzer Zeit gegen eine Million Aufrufe erzielt. Das zeigt auch, wie gross das Bedürfnis nach einfacher Einordnung in einer komplexen Welt ist. Übrigens, trotz Wandel bleibt auch einiges. Der Wunsch nach gut recherchierten Geschichten und die Freude am Live-Feeling. Zusammen mit anderen gleichzeitig das Gleiche erleben.

 

Bleiben Live-Sport und Infosendungen wie «Arena» oder «10 vor 10» die letzten Domänen des Fernsehens, um sich Kampf gegen Netflix und Co. zu behaupten?

Gegenfrage: Muss sich das Fernsehen gegen Netflix und Co. behaupten? Wird sich in Zukunft beispielsweise nicht eher die Frage stellen, auf welcher Bildschirmgrösse ich welchen Inhalt konsumiere, statt an einer etwas künstlichen Unterscheidung zwischen digitalen und linear ausgestrahlten Programmen festzuhalten? Eine neue Denkhaltung ist gefragt. Ich finde, die Welt braucht kein Fernsehen, aber sie braucht guten Journalismus. Wo und wie dieser Journalismus dann verbreitet wird, ist allerdings nicht zweitrangig. Im Gegenteil. Distributionsfragen werden – wie gesagt – immer wichtiger. Es gilt also, dem, was heute funktioniert und viele Menschen erreicht, Sorge zu tragen. Gleichzeitig unbedingt radikal nach vorne zu schauen. Sicher ist auch, in Zeiten von Fake News und einer fragmentierten digitalen Meinungslandschaft ist es wichtig, zu wissen, wo es verlässliche, unabhängige Informationen gibt.

 

Solange es bezahlbar ist.

Für mich steht im Vordergrund, mit zweihundertprozentigem Einsatzwillen mit den vorhandenen Mitteln eine innovative Strategie zu erarbeiten und alles für den Erfolg zu unternehmen. Das gilt für die Medienbranche genauso wir für jede andere Branche. Es geht aber auch um die grundsätzliche Frage, wie viel uns der Journalismus wert ist. Denn der Wert einer Demokratie, einer starken Gesellschaft, misst sich auch an der Vielfalt und Qualität der Medien. Ich habe in zu vielen Ländern gearbeitet, wo ein funktionierendes, starkes Mediensystem keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Die Schweiz muss das besser können.

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