Vielfalt der Medien nimmt durch Zentralredaktionen ab

Durch redaktionelle Verbundsysteme wird der publizistische Wettbewerb als unverzichtbare Voraussetzung für Qualität eingeschränkt. Ausserdem informieren sich immer mehr Menschen immer seltener und schlechter. Und immer mehr Journalisten wandern in die PR-Branche ab.

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Die neunte Ausgabe des Jahrbuchs Qualität der Medien 2018 vom Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft der Universität Zürich ist da. Eins der Ergebnisse: In der Schweiz werden immer öfter dieselben Inhalte verbreitet. Das zeigt ein automatisierter Textvergleich der Schweizer Medienberichterstattung. Im demokratiepolitisch sensitiven Bereich der nationalen Politikberichterstattung erscheinen bereits 54 Prozent der Beiträge in mindestens zwei Zeitungen gleichzeitig.

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Der automatisierte Vergleich mittels Jaccard-Koeffizient belegt, dass die Anteile geteilter Beiträge zwischen Medien aus dem gleichen Verbund sehr hoch sind. Der Tages-Anzeiger, der Bund und die Berner Zeitung zählen seit diesem Jahr zur neu geschaffenen Deutschschweizer Zentralredaktion von Tamedia. Nach Einführung der Kooperation stiegen die Anteile geteilter redaktioneller Beiträge in diesen drei Zeitungen um 17 Prozentpunkte auf aktuell 55 Prozent. Innerhalb von meinungsbetonten Formaten wie Leitartikeln oder Kommentaren sind die Anteilswerte an identischer Berichterstattung sogar von 40 Prozent auf 68 Prozent gestiegen. Damit werden vor Urnengängen vermehrt dieselben Abstimmungs- oder Wahlempfehlungen abgegeben, was aus demokratiepolitischer Sicht problematisch ist, schreiben die Studienverfasser. Redaktionelle Verbundsysteme fördern eine gleichförmige Themen- und Perspektivensetzung in der Medienarena. Die Gefahr publizistischer Fehlleistungen steigt, weil die Kontrollfunktion zwischen den Medien geschwächt wird.

Berichterstattungsqualität trotz Vielfaltsverlust noch hoch

Über die 66 untersuchten Informationsmedien betrachtet bleibt die Berichterstattungsqualität in der Schweiz trotzdem hoch, heisst es weiter. Im Untersuchungsjahr 2017 erzielen die 35 Titel zwischen 6,1 und 8,3 von maximal 10 Qualitätspunkten. Die neu erfasste Wochenzeitung (WoZ) schafft es auf Anhieb auf den vierten Platz des Gesamtrankings und egalisiert den Score der NZZ. Rund ein Drittel aller Medien kann die Qualität im Vorjahresvergleich aber nicht halten. Einbussen zeigen sich in der Vielfaltsdimension, aber auch bei der Einordnungsleistung. Der Ressourcenabbau in der Schweizer Informationspublizistik zeigt Wirkung.

Personeller Braindrain im Journalismus und Zuwachs im PR-Sektor

Die wachsende Ertragsschwäche im Informationsjournalismus hat zur Folge, dass die Anzahl Medienschaffender im Newssektor laufend abnimmt. Zwischen 2011 und 2016 gingen im Bereich Online- und Pressemedien 3000 Stellen verloren (-19 Prozent). Im selben Zeitraum hat die Beschäftigtenzahl im PR-Sektor um 16 Prozent zugenommen. Auch die Anzahl selbständiger Journalistinnen und Journalisten ist seit 2011 um 20 Prozent gestiegen. Die prekäre Finanzierungslage im Informationsjournalismus fördert eine Tendenz, wonach immer mehr Journalisten entweder «die Seite wechseln», das heisst im PR-Sektor einer neuen Beschäftigung nachgehen, oder sich ihr Glück als Freischaffende suchen, unter zumeist prekären, weil langfristig unsicheren Bedingungen.

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Immer mehr informieren sich immer weniger

Seit 2009 nimmt die Zahl der sogenannten News-Deprivierten stetig zu. Das Publikum, das zu diesem Mediennutzungstyp zählt, konsumiert wenig News und wenn, dann in qualitätsschwachen Informationsmedien, vorab via Social Media. Von allen Nutzergruppen ist jene der News-Deprivierten seit 2009 mit Abstand am stärksten gewachsen (+15 Prozentpunkte). 2018 zählt mehr als jeder dritte Mediennutzer (36 Prozent) zu diesem Nutzertyp. Unter den 16- bis 29-Jährigen sind es 53 Prozent. Da die Zahlungsbereitschaft unmittelbar mit dem News-Interesse verknüpft ist, legt mit den News-Deprivierten genau jene Gruppe am meisten zu, die am wenigsten gewillt ist, für Informationspublizistik zu bezahlen.

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Neues Mediengesetz (BGeM): Vorschläge reichen zu wenig weit

Das Fazit der Studienverfasser: In Anbetracht dessen, dass dem professionellen Informationsjournalismus ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell fehlt und unvermindert finanzielle und personelle Ressourcen wegbrechen, gehen die Vorschläge zum Ausbau der Medienförderung im neuen Bundesgesetz über elektronische Medien (BGeM) zu wenig weit. Erstens sollten neben Onlineanbietern, die audiovisuelle Inhalte produzieren, auch Onlinetextmedien gefördert werden können, die sich auf die Produktion von Hintergrundinformationen spezialisieren. Zweitens müssen mehr Gelder für die direkte Medienförderung für private Medienanbieter vorgesehen werden, damit der publizistische Vielfaltsschwund in der Schweiz wirksam aufgehalten wird. Damit genügend Mittel für die SRG und die direkte Medienförderung zur Verfügung stehen, ist die absolute Summe der Medienabgabe genügend hoch anzusetzen und darf in den Folgejahren nicht weiter gesenkt werden. (ank/pd)

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