«Ich habe viel zu sehr auf meine Träume vertraut statt auf die Profis»

Das Basler Onlinemagazin Barfi stellt den Betrieb ein. In der Interview-Reihe zu den digitalen Stadtmagazinen hat sich die Werbewoche mit Gründer Christian Heeb darüber unterhalten, was schief gelaufen ist - und wie die Zukunft des beliebten Portals aussehen könnte.

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Christian Heeb (65) hat das Basler Onlinemagazin Barfi 2015 gegründet – mit aktuellen Informationen und Hintergrundgeschichten rund um die Region Basel, der «Hauptstadt der Welt». Barfi ist nach dem Barfüsserplatz im Zentrum der Basler Innerstadt benannt. Heeb selbst ist Medienmann mit Leib und Seele. Seine beruflichen Stationen führten ihn über die SRG (Radio und Fernsehen) früh zum Südwestfunk Baden-Baden (Pop Shop/SWF 3). Er war die erste Stimme auf Radio 24 und Leiter dessen Sendestudios in Como, bevor er als eigener Unternehmer Radio Basilisk gründete, das er nach zwei erfolgreichen Jahrzehnten zusammen mit seinem Geschäftspartner Ledermann an Tamedia verkaufte und nach diversen weiteren Beteiligungen in der Branche die gemeinsame Idee Barfi mit Medien-Professor Dr. Neumann-Braun (Uni Basel) und dem grossen journalistischen Urgestein Hans-Jürg (Fibo) Deutsch aus der Taufe hob.

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Werbewoche: Barfi sei wegen leerer Kassen eingestellt, aber nicht begraben, haben Sie am 18. August kommuniziert. Nur wenig später sagten Sie, dass Sie seit dieser Verkündung eventuelle Lösungsvorschläge erhalten hätten. Hat sich bereits etwas ergeben? Besteht doch noch Hoffnung für das Onlinemagazin?

Christian Heeb: Derzeit führe ich zu meiner eigenen Überraschung tatsächlich ernsthafte Gespräche, ob das Überleben unserer nach wie vor existierenden Firma eine Chance hat.

Etwas Konkretes sagen können Sie noch nicht?

Nein, ich muss mich mit dem Sachwalter erst sehr genau mit den Vorschlägen auseinandersetzen. Aber so viel: Wenn es weitergehen wird, dann wohl in eine ganz neue Richtung und ohne meine Person.

Wenn es weitergehen wird, dann wohl in eine ganz neue Richtung und ohne meine Person.

Wenn Sie zurückblicken: Was ist schief gelaufen?

Wir hatten zwar einen enormen publizistischen Erfolg, haben aber grosse Fehler bei der Akquisition von regionalen Werbekunden gemacht. Klar mein eigener Fehler. Ich habe zwei junge, sehr gut ausgebildete Medienwissenschaftler eingestellt. Allerdings waren die Entscheidungsträger der lokalen KMU oft überfordert mit den Vorschlägen dieser Fachleute. Sie gehören meist einer anderen Generation an und Begriffe wie Unique Visitors und Page Impressions sind ihnen fremd. Stattdessen hätte ich auf altbewährte Verkäufer setzen sollen. Solche, die bereits ein langjähriges Vertrauensverhältnis mit potenziellen Kunden pflegen, und mit einem: «Lass uns doch mal was ausprobieren » überzeugen. Denn wer einmal bei Barfi Werbung gebucht hatte, blieb auch dabei. Ich habe viel zu sehr auf meine Träume vertraut statt auf die Profis, die mir sehr früh ein anderes Vorgehen geraten haben.

Ich hätte auf altbewährte Verkäufer setzen sollen.

Vor drei Jahren hatten Sie ja diese Erfahrung, die Sie jetzt haben, noch nicht. Mit welchem Finanzierungsmodell im Kopf sind Sie gestartet?

Ich wurde ein Berufsleben lang damit verwöhnt, dass ich mit fast allen Unternehmen vom ersten Tag an schwarze Zahlen schreiben durfte. Mit Ausnahme von meiner Zeit bei der SRG und beim Südwestfunk, wo die Finanzierung zu meiner Zeit unabhängig von Leistung und Akzeptanz ohnehin gesichert war. Aber mit Barfi kam ich einfach zu früh. Die digitale Revolution war damals im lokalen Markt noch nicht angekommen. Ich bin davon überzeugt, dass unsere Mischung aus Service, lokaler Information und Selbstverliebtheit in die eigene Stadt schon sehr bald in der ganzen Schweiz gut funktionieren wird.

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Barfi ist ja bei den Lesern bereits sehr gut angekommen. Sie haben allein im Monat Juli, also vor dem Unterbruch, über 450 000 Unique Visitors erreicht. Was war diesbezüglich Ihr Erfolgsrezept?

Basel hat zwar nicht wie Zürich Alpenpanorama und See. Aber das Leben in der Barfi- Region ist unglaublich schön. Ein Basler kann sich zum Beispiel spontan überlegen, wo er abends essen gehen möchte – ob in der Schweiz, in Frankreich oder Deutschland spielt keine Rolle. Für uns gibt es keine Grenzen. Basel ist die Hauptstadt einer ganzen Region und die umfasst verschiedene Länder und Kantone: Schweiz, Frankreich, das deutsche Markgräfler Land und auch Teile von Solothurn und Aargau – eben alles, was auf dieser Seite des Jura passiert. Alle interessieren sich neidlos dafür, was um das Zentrum Basel vor sich geht. Auf dieser Klaviatur des Zusammengehörigkeitsgefühls zu spielen, war ein Schlüssel für den Erfolg von Barfi. Gleichzeitig ist Basel die Kulturstadt der Schweiz, zählt die meisten Museen des Landes und eine nie endende Quelle von Alltagsgeschichten, die auf der anderen Seite des Juras nicht zur Kenntnis genommen werden. Doch genau darüber schwerpunktmässig zu berichten, macht Spass und brachte Reichweite.

Auf welche Themen haben Sie sich in der Berichterstattung konzentriert – und haben Sie auch bewusst Bereiche ausgegrenzt?

Ausgegrenzt haben wir sämtliche billigen Boulevard- Themen. Die üblichen People- Geschichten mit herangezüchteten Promis und Cervelat-Promis haben wir nicht publiziert. Ganz strikt ausgegrenzt wurden auch Gewaltvideos, die uns immer wieder zugespielt wurden – bis hin zu Videos davon, wie sich jemand vor den Zug warf. Was andere Medien teils ohne Hemmungen und gebotene Achtung bringen, war bei uns absolut tabu. Und wir haben in den sozialen Medien gegen jede Art von rassistischen Tendenzen gekämpft. Auch die politische Ausgewogenheit bei der Berichterstattung war uns sehr wichtig: In der professionellen Redaktion waren alle politischen Lager mit Ausnahme der extremen Gruppierungen links und rechts abgedeckt. Ich fühle mich – und das habe ich auch von meinen Mitarbeitern verlangt – den ethischen und handwerklichen Grundsätzen des Journalismus verpflichtet. Auch wenn das vielleicht in dieser Art und Weise, wie ich es 40 Jahre mit Passion leben durfte, in Zukunft nicht mehr zu finanzieren ist und verschwinden wird.

Was andere Medien teils ohne Hemmungen und gebotene Achtung bringen, war bei uns absolut tabu.

Wie waren Sie zuletzt aufgestellt? Wie viele Mitarbeitende waren fest angestellt, wie viele arbeiteten frei?

Wir waren 17 Teilzeit-Angestellte. Insgesamt entsprach das neun 100-Prozent-Stellen. Ausserdem kamen fünf freie Mitarbeitende und zwei freie Übersetzer hinzu. Das Team war eine Familie.

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Im Vergleich zu anderen Stadtmagazinen waren Sie ein grosses Team. Denken Sie rückblickend, dass Sie zu viele Festangestellte beschäftigt haben?

Nein. Gemessen an unserem publizistischen Output hatten wir eher zu wenig Mitarbeitende als zu viele. Unser Kostenbudget von unter zwei Millionen Franken haben wir auch strikt eingehalten. Aber eine effiziente Kostenstruktur nützt nichts, wenn man sich gleichzeitig auf der Einnahmeseite derart verschätzt. Mein ganz persönlicher, unverzeihlicher Fehler.

Haben Sie branchenübliche Löhne gezahlt oder Start-up-Löhne unter dem Durchschnitt?

Wir haben die branchenüblichen Löhne gezahlt, zum Teil sogar deutlich höhere als Mitbewerber. Und wenn wir mit Studenten zusammengearbeitet haben, war mein Credo schon immer: ausbilden und nicht ausbeuten.

Sie sagten, in zwei bis drei Jahren könnte der Markt so weit sein wird, dass sich Onlinemagazine werden finanzieren können. Was müsste sich hierzu konkret ändern?

Was ich von bekannten Verlegern – auch und gerade im deutschsprachigen Ausland – seit Jahren hörte, sind meist nur hilflose Äusserungen und keine klaren Strategien. Nutzer wurden aufgrund dieser Tatsache während mehr als einem Jahrzehnt mit Gratisnews verwöhnt. Bereits zwei Generationen sind deshalb in grosser Mehrheit heute nicht mehr bereit, für sauberen Journalismus zu bezahlen. Ich bin zwar ein Gegner der Bezahlschranke. Aber Verlage müssen sich endlich auf ein einheitliches System einigen und erkennen, dass sie sich nicht stur an den eigenen goldenen Zeiten orientieren dürfen. Die kommen nie mehr zurück. Wenn etablierte Medienhäuser heute dank dem endlich gewagten Einstieg in die digitale Welt Gewinn machen, dann vornehmlich durch Einnahmen aus Immobilien-, oder Fahrzeug-Portalen und nicht mit ihrer bisherigen Kernaufgabe publizistischer Angebote. Das kann staats- und medienpolitisch nicht die Lösung für unser Land sein.

Was ich von bekannten Verlegern höre, sind meist nur hilflose Äusserungen und keine klaren Strategien.

Ihre Zukunftsaussicht für digitale Medien ist also doch eher schwarz?

Nein, ich bin überzeugt, dass eine Basisfinanzierung durch Werbung online künftig sehr wohl möglich sein wird. Zunächst entfallen ja die massiven Kosten im Bereich Papier, Druck und Vertrieb. Aber man müsste endlich tieren, dass für Werbung auf Mobile Devices nicht die gleichen Preise bezahlt werden wie früher für Doppelhochglanzseiten. Wer aufhört seine Printangebote einfach als E-Paper auf Bildschirme statt Papier zu «drucken», hat grosse Chancen. Den Bedürfnisnachweis hat Barfi mit fast einer halben Million Besucher in einer einzigen Region bewiesen.

Wie schätzen Sie die Chancen für das neue Basler Onlinemagazin Prime News ein?

Prime News beschäftigt meines Wissens nur einen festen Angestellten und arbeitet mit freien Journalisten. Ein ganz anderes Konzept als Barfi, nicht vergleichbar, was das Output- Volumen und Themen-Setting betrifft. Aber ich wünsche Christian Keller natürlich Erfolg und drücke die Daumen.

Wie geht es jetzt für das Barfi-Team und für Sie persönlich weiter?

Die Firma ist ja nicht Konkurs. Jetzt sind wir mitten in den eingangs erwähnten Gesprächen, ob in ein anderes Unternehmen integriert werden kann oder einen Partner findet. Schlimm, dass wir diese nationale Beachtung erst durch unser vorläufiges Scheitern gefunden haben. Aber wie es auch ausgehen mag: Ich selbst werde nicht aufhören, als Journalist und Publizist zu arbeiten – dazu sind die neuen Herausforderungen viel zu spannend.

Interview: Ann-Kathrin Kübler

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