Le Matin verabschiedet sich mit 64 Seiten und einer Todesanzeige

Mit einer 64-seitigen Spezialausgabe und schlicht gehaltener Todesanzeige auf der Titelseite nimmt die grösste Westschweizer Tageszeitung Le Matin Abschied von ihrer Leserschaft. Eine samstägliche Dernière voller Emotionen und Trauer.

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Von der letzten Ausgabe seien 80’000 Exemplare gedruckt worden, das doppelte der üblichen Auflage, erklärte der scheidende Chefredaktor Grégoire Nappey gegenüber Keystone-SDA. Die Abschiedszeitung umfasst 64 Seiten und ist bis nächsten Dienstag zum normalen Preis an den Kiosken erhältlich. Auf der Titelseite der letzten Printausgabe vermeldet eine schlichte, in schwarz-weiss gehaltene Todesanzeige mit den Namen sämtlicher Angestellten «zutiefst bekümmert» den Hinschied von Le Matin.

Zudem erschien am Samstag auf Initiative der «kleinen Brüder und Schwestern, Cousins und Cousinen» aller anderen Tamedia-Zeitungen in der Westschweiz in sechs Titeln eine Todesanzeige zum Ende von Le Matin. Le Matin sei im Morgengrauen des 21. Juli 2018 im Alter von 125 Jahren ohne schmerzlindernde Massnahmen eingeschläfert worden, heisst es darin. Anstelle von Blumen bittet die Trauerfamilie darum, doch bitte «für Informationen zu bezahlen». Le Matin war aus der Tribune de Lausanne hervorgegangen, die 1893 gegründet wurde.

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Die orange DNA

Wer die letzte Ausgabe des Le Matin durchblättert, die das Zeug zum Sammlerstück hat, trifft noch einmal auf sämtliche Bereiche, die für das Zustandekommen einer gedruckten Zeitung wichtig sind: Produktion, Titelsetzung, Fotodienst, Grafikabteilung, Auslieferer, Kioske und Journalisten.

Auf 64 Seiten bietet die Redaktion ihren Leserinnen und Lesern ihre letzten Primeurs, Enthüllungen und Artikel an. Die Redaktorinnen und Redaktoren schreiben über alltägliche und aussergewöhnliche Begebenheiten, erklären die orange DNA der bisher grössten Tageszeitung der Westschweiz, und berichten über unvergessliche Begegnungen. Die Macher ziehen noch einmal den Hut vor ihrer Leserschaft. Auf acht Seiten gibt die Zeitung einigen Hundert Leserinnen und Lesern ein Gesicht in Form von aufgereihten passähnlichen Fotos mit einigen Testimonials. Es erscheinen auch noch einmal Gesichter aus Politik und Gesellschaft, die der Zeitung in den vergangenen Jahrzehnten die grossen Schlagzeilen geliefert haben.

Alten Geist auch digital bewahren

Obwohl es Le Matin künftig nur noch digital gibt, wollten die Mitarbeiter den alten Geist der Zeitung bewahren, wie der neue Chefredaktor Laurent Siebenmann schreibt. Der Verzicht auf die gedruckte Ausgabe geht auf einen Entscheid des Tamedia-Verlags zurück. Dieser begründete den Schritt mit den 34 Millionen Franken Verlust, die man in den letzten zehn Jahren mit der gedruckten Ausgabe von Le Matin eingefahren habe. Der Zürcher Medienkonzern setzt deshalb künftig ausschliesslich auf eine «solide digitale Marke». Er hatte am Donnerstag zudem den Mediationsprozess mit den Sozialpartnern einseitig beendet und damit bei Kantonsregierungen und Gewerkschaften heftige Reaktionen ausgelöst. Das Ende von Le Matin findet am Samstag in allen anderen Westschweizer Tageszeitungen grossen Widerhall in verschiedenen Schwerpunkten. Das Ende sei ein Jammer für die ganze Romandie, titelt Le Temps. Populär und frech habe Le Matin der Schweizer Medienlandschaft ein Gesicht geben, heisst es in 24 heures. Le Matin schlage zwar in neues Kapitel auf, die Medienlandschaft bleibe aber lebendig, heisst es in der Tribune de Genève.

Weniger Worte verlieren die Zeitungen in der Deutschschweiz. Die NZZ schreibt von einem «turbulenten Ende» der Tageszeitung. Auch in den Tamedia-Blättern wird das Ende von Le Matin in einigen wenigen Abschnitten beschrieben. Den meisten ist das Ende am Samstag nicht mehr als eine Kurznachricht wert. (SDA)

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