Kein Brexit 
in Beromünster

Mit «No Billag» droht der Kahlschlag. Doch nach einer langen Abstimmungsdebatte mit apokalyptischen Visionen scheint die helvetische Vernunft zu siegen. Kolumne von Jürg Altwegg, Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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So verbissen wie in den vergangenen Wochen haben wir in der Schweiz schon lange nicht mehr gestritten. Der «Dichtestress» gegen die «Masseneinwanderung» war ein Sonntagsspaziergang im Vergleich zur apokalyptischen Rhetorik im neuen helvetischen Bürgerkrieg und Kulturkampf um die SRG. Der innere Zusammenhalt und die äussere Sicherheit des Landes wurden ins Feld geführt. In allen Landesteilen befürchten die Kulturverbände das Ende der Schweiz, zumindest deren «Verwüstung». Es gehe um die Existenz des Schweizer Films, der ohne das Fernsehen nicht leben könne. Wie die Musiker ohne die Tantiemen des Radios. Fast schon nüchtern wirkte angesichts der Schreckensvisionen das Szenario der SRG, die für den Fall eines Jas zu «No Billag» 6000 Entlassungen und den Sendeschluss verkündete.

Wochenlang ging es so, jede neue Runde trieb die Eskalation voran. Eric Gujer, Chefredaktor der NZZ, weitete die Kampfzone auf die Vergangenheit aus. Er bezeichnete die Sender als Überbleibsel der geistigen Landesverteidigung aus einer Zeit, da die Schweiz in ihrem «Reduit» von lauter Faschisten – Hitler, Pétain, Mussolini – umgeben war. Beromünster wurde inzwischen abgeschaltet. Und haarscharf gelangt Gujer zur zweifellos richtigen Einschätzung, dass heute kein Mensch auf die Idee käme, öffentlich-rechtliche Programme zu begründen. Wenn das kein überzeugendes Argument für ihre Abschaffung ist!

Da könnte eigentlich nur noch die SVP helfen. Sie hält die Mythen des Weltkriegs und des Kalten Kriegs aufrecht und mobilisierte die geistige Landesverteidigung durchaus erfolgreich im Kampf gegen Europa. Doch die Freude über den Brexit und der Kampf gegen die Masseneinwanderung scheint sie für die Überfremdung durch ausländische Programme erstaunlicherweise blind zu machen – denn auch darum geht es durchaus. Das hatte zumindest Roger de Weck begriffen, als er Admeira auflistete. Mit gutem Grund erwähnte er den Abfluss erklecklicher Summen durch die «Werbefenster» und die Vermarktung der Daten durch Google wie Facebook. Aber natürlich war die Allianz der SRG mit der Swisscom und Ringier eine unakzeptable Provokation, die den unsäglichen Streit zwischen den Verlegern stiftete. De Weck hat zu ihrer und seiner Verteidigung manchmal patriotische Töne angeschlagen, die wir sonst nur aus nationalkonservativen Kreisen vernehmen.

Seit dem Bedeutungsverlust der Armee und dem Crash der Swissair fühlte sich die SRG offensichtlich als letzter Stützpfeiler der nationalen Identität und entsprechend unverletzbar. Das Verhalten ihrer Führung erinnert durchaus an die Überheblichkeit der Swissair, deren Verantwortliche geglaubt hatten, dass sie im Alleingang überleben könne. Der Crash war nicht vorgesehen. Der SRG droht er mit «No Billag». Die Initiative zu ihrer Abschaffung wäre von allem Anfang aussichtslos gewesen, hätte man die Lehren aus der Abstimmung von 2015 über die Umwandlung der Gebühren in eine Zwangsabgabe gezogen. Gar nicht so sehr wegen des knappen Ausgangs, für den 3700 Stimmen den Ausschlag gaben: 50,08 Prozent.

Sondern wegen der Debatte im Wahlkampf. Er hatte erstmals bewusst gemacht, zu was für einem «Moloch» (so die NZZ am Sonntag) die SRG geworden war. Doch von Einsicht und Bescheidenheit keine Spur. Und den ersten Beitrag zur absehbaren Kampagne über «No Billag» leistete ausgerechnet Roger Schawinski, der einst mit Erfolg das Monopol bekämpft hatte, als Unternehmer im privaten Medienbereich tätig war und sich nun auch noch zum Retter der SRG aufspielen will. Einen Monat, bevor Roger de Wecks Abschied bekannt gegeben wurde, trat er bei «Schawinski» auf. Am Schluss der Sendung löschte der Ex-Pirat das Licht im Studio und fuchtelte mit einer Taschenlampe herum. Das Gesicht seines Gasts erschien nun im Kegel des fahlen Lichts. «Am Schluss es birebitzeli en Joke», kommentierte Schawinski seinen Gag, mit dem er sich über allfällige Sparmassnahmen bei der SRG lustig machte. Es war die erste apokalyptische Vision in der anlaufenden Diskussion um «No Billag», die lange nur als Alles-oder-nichts geführt wurde, inzwischen aber eine Wendung zur Vernunft genommen hat.

Der Auftrag an die öffentlich-rechtlichen Programme ist nicht die permanente Expansion. Es braucht in Zeiten der Pressekrise und des Kampfs um die Werbung im Internet ein neues Gleichgewicht in der Medienbranche. Doch dieses kann nicht mit einem Kahlschlag beginnen. Denn es würde heute auch keinem zeitgenössischen Eidgenossen in den Sinn kommen, ein derart komplexes Gebilde wie die Schweiz zu entwerfen.

Jürg Altwegg lebt in Frankreich und Genf, ist Autor mehrerer Bücher, Kulturkorrespondent der Frankfurter Allgemeinen Zeitung und Mitarbeiter der Weltwoche.

Diese Meinungskolumne stammt aus der Werbewoche 3/2018.

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