«Ich bin ein Optimist»

Pietro Supino ist Urenkel von Tamedia-Gründer Otto Coninx-Girardet, Verwaltungsratspräsident von Tamedia und seit vergangenem Herbst Präsident des Verlegerverbandes, kurz: der mächtigste Mensch in der Schweizer Medienlandschaft. Wie er die Veränderungen in dieser wahrnimmt, welche Konflikte und Probleme in der nahen Zukunft bearbeitet werden müssen, darüber hat die Werbewoche mit ihm gesprochen.

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Barcelona-Sessel in Dunkelbraun, die passenden Glastische dazu. Zwei taubenblaue Sofas, fast im gleichen Blauton der Teppichboden. Pietro Supinos Büro ist riesig, viel Holz, viel Licht, erinnert irgendwie an ein Lehrerzimmer. Ein Lehrerzimmer an einer Privatschule; klassisch, gute Qualität, möbliert in den 1980er-Jahren mit Designelementen vergangener Zeiten. Selbst eingerichtet hat Supino sein Büro nicht, er hat es so von seinem Onkel und Vorgänger Hans Heinrich Coninx und dieser wiederum vom ehemaligen Tamedia-Manager Heinrich Hächler übernommen. Der Tamedia-Chef sitzt in den Kissen des einen Sofas, hemdsärmelig, gut gelaunt, in Plauderlaune. Bei der ersten Frage wird sein Rücken ein My gerader, der Blick einen Tick wacher.

Werbewoche: Ihre Aufgaben als Verwaltungsratspräsident von Tamedia und Präsident des Verlegerverbandes bringen ein gewisses Mass an Öffentlichkeit mit sich. Wie gehen Sie damit und mit Kritik um?

Pietro Supino: Die breite Öffentlichkeit beschäftigt sich zum Glück mit wichtigeren Themen als mit meiner Person. In unserer kleinen Welt der Medien beschäftigen wir uns aber tatsächlich viel mit uns selber. Da finden sich Menschen mit unterschiedlichen Motivationen und Ansichten. Wichtig ist, eine Überzeugung zu haben und mit sich im Reinen zu sein. Man sollte eine Vorstellung davon haben, was man für richtig hält und wohin der Weg führen soll. Kritik muss man ernst nehmen, mit Nörglern sollte man sich aber nicht zu lange aufhalten.

Sie wirken meist sehr positiv, enthusiastisch. Sind Sie ein Optimist?

Ja, ich bin ein Optimist und pflege aus Überzeugung eine positive Haltung. Meine positive Sicht der Dinge ist aber auch begründet. Unsere Situation in der Schweiz ist gesamthaft gesehen sehr gut. Das gilt auch für die Medienbranche. Mir tut es leid, wenn Menschen sich mehr oder lieber mit Negativem beschäftigen – das es natürlich auch gibt. Aber: Wer keine positive Haltung pflegt, verpasst ganz viele Chancen. Es ist doch schade, wenn ich nicht merke, dass es mir eigentlich gut geht. Das Positive als Ausgangspunkt anzuerkennen, finde ich wichtig.

Trotzdem werden eher besorgte bis schwarzmalerische Stimmen laut, wenn von der Zukunft der Branche gesprochen wird…?

In Zeiten des Wandels gibt es viel Ungewissheit. Damit kann der Mensch nicht gut umgehen. Die Unsicherheit in unserer Branche ist ja tatsächlich sehr gross, und weil wir mit ihr nicht gut umgehen können, empfinden wir sie zu oft als etwas Negatives. Ungewissheit ist aber per Definition neutral oder ergebnisoffen. Natürlich steht die Branche vor riesigen Herausforderungen, aber die letzten 20 Jahre waren auch nicht nur einfach, und ich finde, unter dem Strich hat sich die Medienlandschaft gut entwickelt, steht teilweise sogar besser da als früher. Das Angebot heute ist breit, den Menschen stehen mehr Informationen und mehr Eindordnungsangebote zur Verfügung als je zuvor. Auch unsere eigenen Medien haben sich gut entwickelt. Nehmen Sie den Tages-Anzeiger: Wir bieten heute mehr als früher. Natürlich muss das im Einzelnen differenziert betrachtet werden, aber pauschal gesprochen, war die Entwicklung bis hierher positiv. Das gibt mir Zuversicht, dass wir auch in den nächsten 20 Jahren weiterkommen können. Ich weiss auch nicht, wie die Zukunft im Einzelnen aussehen wird, aber wenn ich einmal aufs Matterhorn gestiegen bin, darf ich die berechtigte Hoffnung haben, dass ich es auch auf den Monte Rosa schaffe…

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Wo haben Sie Ihren persönlichen Aufstieg begonnen? Was wollten Sie als Kind werden?

Fussballer, der Klassiker (lacht). Ich kann mich nicht erinnern, dass die berufliche Zukunft ein grosses Thema für mich war als Kind. Eines weiss ich aber: Ich habe ganz sicher nicht davon geträumt, Verleger zu werden (schmunzelt). Als Jugendlicher wurden die Vorstellungen dann schon konkreter. Ich war trotzdem lange hin und her gerissen, ob ich Medizin oder Recht und Ökonomie studieren sollte. Dass ich nach dem Studium dann zunächst Anwalt wurde, war eine einfachere Entscheidung. Der Beruf hat mich inhaltlich interessiert. Und das Bild des freien Berufs hat mir gefallen. Auch der Journalismus ist ja eine Art freier Beruf. Da sehe ich eine Verbindung, einen gewissen Konnex von der Geisteshaltung her zu dem, was ich heute mache. Natürlich hat diese «freiberufliche» Komponente sich im Journalismus verringert. Da geht etwas verloren, und ich kann die Wehmut darüber verstehen. Die Industrialisierung der freiberuflichen Welt geschieht aber nicht nur in unserer Branche – auch in Anwaltskanzleien findet man heute den universalgelehrten Partner kaum mehr…

Sie gelten als der mächtigste Mann in der Medienbranche. Macht bringt Verantwortung mit sich. Drückt Sie diese manchmal?

Nein. Verantwortung ist etwas Positives für mich, bedeutet Gestaltungsmöglichkeit. Und das macht mir Freude. Ich bin ja auch nicht ein Einzelner, der Macht ausübt, sondern Mitglied eines Teams. Unsere Zusammenarbeit bei Tamedia ist eng und konstruktiv, aber auch geprägt von einem klaren Rollenverständnis, das ist hilfreich. Die Arbeit im Verband macht mir genauso Freude, auch dort sehe ich mich als Teil eines guten Teams. Ich spüre, dass wir Verleger viele gemeinsame Anliegen haben. Mir macht es Spass, diese Anliegen zu formulieren, wenn nötig darüber zu streiten, zu diskutieren, um sie schliesslich nach aussen vertreten zu können.

Pietro Supino spricht zügig, zögert nur, wenn er während des Redens zu sehr mit dem Weiterspinnen seiner Gedankenfäden beschäftigt ist. Entspannt, aber präsent. Seine Worte unterstreicht er mit mal mehr, mal weniger lebhaften Gesten – je nachdem, wie sehr ihn ein Thema, positiv oder negativ, bewegt.

Anliegen, Baustellen hat der Verband einige. Zum Beispiel im Zusammenhang mit der SRG?

Ja, und sie werden sich nicht alle einfach lösen lassen. Die Situation mit der SRG ist verfahren. Dennoch: Manche Punkte liessen sich doch einfacher lösen, als es scheint. Ein Verzicht der SRG auf Onlinewerbung inklusive Targeted Advertising wäre ein Ansatzpunkt. Für die SRG ein kleines Entgegenkommen, das jedoch für die Verleger sehr wichtig ist. Würde die SRG mit ihrem riesigen Werbeinventar daran festhalten, Targeted Advertising anbieten zu können, würde sie damit in eine direkte Konkurrenz zu allen verlegerischen Angeboten für enger definierte Zielgruppen treten und den Druck vor allem auf die kleineren Verleger massiv erhöhen. Das wäre über kurz oder lang eine Katastrophe für die Angebotsvielfalt und die demokratische Meinungsbildung in der Schweiz. Gleichzeitig ist völlig ungewiss, ob die SRG von Targeted Advertising profitieren würde – wenn sie einen Teil ihrer Zuschauer dank gezielter Werbeauslieferung besser kommerzialisieren kann, wird es ja nicht einfacher, die anderen Kontakte zu vermarkten. Der Schaden für die Verlage wäre enorm, der Nutzen für die SRG hingegen ist unklar, auf alle Fälle wäre er im Verhältnis zu ihrem jährlichen Ertrag von 1,6 Milliarden Franken, drei Viertel davon aus Gebühreneinnahmen, von völlig untergeordneter Bedeutung. Wenn die SRG auf einen Ausbau ihrer Kommerzialisierung verzichten würde, hätten wir die eine Seite des Konflikts gelöst.

Und die anderen Seiten?

Die direkte Konkurrenzierung der privaten Medienangebote durch die SRG mit dem laufenden Ausbau ihres Angebots, das schon heute weit über Radio- und Fernsehsendungen hinausgeht, zum Beispiel. Es ist für uns Verleger unmöglich, die Abonnementmodelle für unseren Premiumjournalismus in die digitale Welt zu transformieren, wenn wir dort durch das gebührenfinanzierte Gratisangebot der SRG konkurrenziert werden. Angesichts des enormen Wettbewerbs im Werbemarkt auch mit global agierenden Anbietern und des damit verbundenen Preiszerfalls ist für uns der Erhalt unserer Bezahlmodelle aber überlebenswichtig.

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Warum bekämpft der Verlegerverband Admeira so vehement?

Dass es nicht in Ordnung ist, das gebührenfinanzierte Werbeinventar der SRG in eine exklusive Partnerschaft mit einem einzelnen Schweizer Verleger und einem der grössten deutschen Verlagshäuser einzubringen, darüber herrscht mittlerweile weitgehend Einigkeit – nach dem klaren Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts hat sich auch in Bern der Wind gegen das unsensible Vorgehen der SRG gedreht.

Wie, wenn überhaupt, könnte dieser Streit beigelegt werden?

Mit etwas Distanz betrachtet, haben wir mehr Gemeinsamkeiten als Differenzen. Trotzdem ist es bis jetzt nicht gelungen, eine Basis für konstruktive Gespräche zu finden. Die Fronten sind verhärtet, die ganze Angelegenheit stark verpolitisiert. Viele der vorgebrachten Argumente halten einer näheren Betrachtung nicht stand. Eine Mediation wäre, meiner Meinung nach, ein möglicher Lösungsansatz. Jede Seite könnte ihre legitimen Interessen vorbringen, alle anderen müssten aussortiert werden, und dann wäre es gar nicht mehr so kompliziert, denke ich.

Eng verbunden mit der SRG-Baustelle ist die Baustelle «Ringier». Wie soll es da weitergehen?

Im Verband würden wir eine Rückkehr von Ringier begrüssen – wir haben viele gemeinsame Interessen, von der Aus- und Weiterbildung und der Pflege und Entwicklung unseres branchenspezifischen Savoir-faire über die Rahmenbedingugen für den Vertrieb von Zeitungen und Zeitschriften bis zur Konzentration der SRG auf ihren verfassungsmässigen Auftrag.

Wie ernst ist Marc Walders Aussage zu nehmen, dass alle Verlage sich herzlich gerne Admeira anschliessen dürfen?

Die Beteiligten wollen den Eindruck erwecken, Admeira sei im Interesse der Branche. Wir haben versucht, die angeblich ausgestreckte Hand zu ergreifen und Gespräche aufzunehmen. Die erste Reaktion war, dass zunächst der Admeira-Verwaltungsrat begrüsst werden müsse. Auf Nachfrage wurde uns dann beschieden, dass keine Gespräche im Hinblick auf eine Branchenlösung geführt würden, sondern nur mit einzelnen Unternehmen, die sich bei Admeira einbinden könnten. Eine Branchenlösung, bei der alle gleichberechtigt mitmachen können, schliesst Admeira zum heutigen Zeitpunkt aus. Das finden wir unkorrekt. Wenn die öffentlich finanzierte SRG Partnerschaften in der Branche eingeht, sollten alle interessierten privaten Medienunternehmen diskriminierungsfrei zu gleichen Konditionen teilhaben können.

Also wäre eine engere Zusammenarbeit der Schweizer Verleger in gewissen Bereichen prinzipiell eine gute Idee?

Ja. Nur ist Admeira zunächst ein Versuch der SRG durch die Hintertüre, Onlinewerbung in Form von Targeted Advertising betreiben zu können. Damit ist für die Schweizer Medienlandschaft nichts gewonnen. So entsteht bloss ein inländischer Verdrängungskampf. Eine gemeinsame Data-Management-Plattform zum Austausch und zur Veredelung von Nutzerdaten, das wäre ein guter Ansatz. Damit könnten wir die Datenqualität der Schweizer Anbieter im Vergleich zu den grossen internationalen Konkurrenten wie etwa Google verbessern. Wobei die Abgrenzung zu Google und Facebook nicht unsere Motivation sein sollte. Das Ziel sollte die Qualitätssteigerung unserer Daten und die Etablierung nutzerfreundlicher Standards sein. Eine solche Plattform darf auch keine geschlossene Gesellschaft sein, die den Schweizer Markt unter sich aufteilen will. Sie sollte offen und gegenüber den Nutzern transparent sein. Wir können nicht nachhaltig mit Nutzerdaten Geschäfte machen, ohne dass die Nutzer selber damit einverstanden sind, weil sie einen Mehrwert darin erkennen. Wenn wir die Nutzer gut bedienen und ihr Erlebnis verbessern, dann werden sie uns auch erlauben, mit ihren Daten zu arbeiten. Eine solche User-Centric-Herangehensweise ist entscheidend – nicht nur in Bezug auf Handhabung von Nutzerdaten, sondern ganz generell.

Was meinen Sie damit?

Wir müssen als Branche die Fähigkeit entwickeln, uns mehr an den Bedürfnissen unserer Kunden zu orientieren. Das Auf-dem-hohen-Ross-Sitzen ist nicht mehr zeitgemäss. Das müssen wir uns abgewöhnen. Wir können sehr viel gewinnen, wenn wir uns weniger auf uns selber konzentrieren, dafür mehr auf die Menschen und ihre Bedürfnisse. Unsere Grundeinstellung muss sich ändern. Das ist mein wichtigstes Fazit aus meinem dreimonatigen Mini-Sabbatical in Kalifornien im vergangen Frühling.

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Was haben Sie während dieses Sabbaticals gemacht?

Mein Ausgangspunkt war die Stanford University in Palo Alto. Als Visiting Scholar hatte ich dort Zugang zum gesamten Programm und zu allen Instituten und Spezialisten. Mein Interesse galt vor allem den Entwicklungen an der Schnittstelle zwischen Journalismus und Technologie. Daneben habe ich verschiedene Konferenzen und einige ausgesuchte Vorlesungen besucht sowie viele Gespräche mit Persönlichkeiten aus der Venture-Capital-Industrie und von Start-ups geführt.

Welche Eindrücke haben Sie dabei gewonnen?

Meine Eindrücke sind natürlich vielfältig. Wenn es einen roten Faden gibt, dann ist das einerseits, dass wir in der Schweiz und bei Tamedia auch im Vergleich mit der Avantgarde der Entwicklung sehr gut dastehen. Andererseits hat mich die Grundeinstellung der Menschen beeindruckt, ihre Offenheit, die auch mit ihrer grossen Diversität zusammenhängt, und wie nutzer- und produktbezogen sie sich nach vorne orientieren.

Ist das bei uns anders?

Ja, und es ist erfrischend im Vergleich zu unserer Selbstbezogenheit. Das zeigt sich schon, wenn wir sagen und in Anspruch nehmen, dass wir mit unseren Medien eine besondere Rolle in der Gesellschaft einnehmen und uns damit quasi unter Heimatschutz stellen. Es stimmt, dass wir eine besondere Verantwortung tragen, aber wir sollten uns nicht allzu viel darauf einbilden, sondern unseren Status vielmehr durch unsere Leistung rechtfertigen. Das gilt nicht nur für den Journalismus, sondern auch für die kommerzielle Seite des Geschäfts. Wir haben mit unserer monopolähnlichen Stellung lange das Angebot bestimmen können, ohne nach den Kundenwünschen zu fragen. Das geht heute im Hyperwettbewerb um Nutzer und Anzeigenkunden nicht mehr.

Gibt es angesichts dieser Dynamik eine Zukunft für Print?

Print ist und bleibt sehr wichtig. Ich sage das nicht nur aufgrund meiner persönlichen Affinität. Gedruckte Zeitungen sind – Stand heute und auf absehbare Zeit – ohne Zweifel die wichtigste Mediengattung für die demokratische Meinungsbildung in der Schweiz. Aber gedruckte Medien können nur mit guten Rahmenbedingungen für ihren Vertrieb überleben. Neben der Wettbewerbsverzerrung durch die SRG ist der Vertrieb gedruckter Medien das grösste strukturelle Thema für die Branche.

Wird die indirekte Presseförderung als Entlastung also nicht ausreichen?

Gedruckte Medien sind ein Mengengeschäft. Die rückläufigen Auflagen sind darum ein Problem. Im Druck können wir Verleger den Rückgängen begegnen, indem wir die Kapazitäten anpassen und nötigenfalls Druckereien schliessen. Im Vertrieb sind die Kosten eine Funktion der Mengen in den gegebenen Verteilgebieten. Die Monopolstellung der Post erlaubt es ihr, die Preise bei rückläufigen Mengen zu steigern und ihre Grundversorgungskosten auf den Zeitungsvertrieb umzulegen. Das macht uns sehr zu schaffen. Dagegen schützt uns die indirekte Presseförderung nicht. Sie ist nicht der Weisheit letzter Schluss, aber eine gute und bewährte Sache, die es zu erhalten gilt. Zusätzlich sind wir aber darauf angewiesen, dass Zeitungen und Zeitschriften von der Post zu Grenzkosten vertrieben werden und nicht den Grundversorgungsauftrag mitfinanzieren müssen. Um diesen Punkt dreht sich die Frage, ob die Post mit dem Zeitungsvertrieb Geld verdient oder verliert. Für die Verleger bedeutet das eine existenzielle Differenz. Bevor der Staat sich Gedanken über eine direkte Presseförderung macht, wäre es deshalb sinnvoller und dringend, die Printmedien zu entlasten, indem er darauf verzichtet, mit ihnen Geld zu verdienen.

Das Vertriebsproblem wurde auch durch die Entwicklung im Onlinebereich erzeugt. Was kann denn Online zukünftig Positives für die Branche bringen?

Mich beschäftigt die Frage, wie wir die technologische Entwicklung noch besser in unseren Dienst stellen können. Erstens um effizienter zu werden und dem Kostendruck zu begegnen und zweitens – und das ist mir wichtiger – um neue und bessere Qualitäten zu leisten. Ein schönes Beispiel ist der Datenjournalismus. Unsere Journalisten können damit auf eine Weise recherchieren, die vorher so nicht möglich war und echte Mehrwerte bietet. Dahinter steht das breitere Feld der Data Science. Ihre Anwendung ermöglicht neue Qualitäten, aber auch die Automatisierung von Arbeitsschritten. Nun ist aber die Medienbranche stark fragmentiert und jedes einzelne Unternehmen ist oftmals von diesen neuen Möglichkeiten überfordert. Das gilt auch für Tamedia. Denn wir sind in Wirklichkeit ein grösseres KMU, auch wenn wir im engen Schweizer Kontext manchmal grösser wahrgenommen werden. Indem wir in der Medienbranche im präkompetitiven Bereich kooperieren, können wir zusammen besser vom technologischen Fortschritt profitieren. Das ist auch der Gedanke hinter der Lancierung eines Lehrstuhls und Zentrums für Medientechnologie an der ETH.

Wie lange sind Ihre Arbeitstage? Wie viel Zeit haben Sie, um Zeitung zu lesen?

Während der Woche arbeite ich vielleicht zehn Stunden am Tag und bin relativ oft unterwegs. Daneben lese ich viel Zeitung, was für mich aber zum Vergnügen zählt. Am Wochenende beschweren sich meine Kinder manchmal darüber, dass ich zu viel Zeitung lese…

Abgesehen vom Zeitunglesen: Was tun Sie, wenn Sie frei haben?

Dann verbringe ich die Zeit mit der Familie, gerne auch in der Natur und mit Sport. Im Winter unternehme ich kleine Skitouren und im Sommer gehe ich segeln. Dieses Jahr bin ich aber leider nicht dazu gekommen. Mit den Kindern vergehen die Tage oft schnell und unspektakulär – das ist auch schön.

Welche Ihrer Eigenschaften ist bei der Arbeit eher hinderlich?

Meinen Sie, dass ich Ihnen das verrate? (lacht, überlegt ein wenig länger als bei anderen Fragen). Ich nehme mir immer wieder die Musse, Themen zu vertiefen. Weil unsere operative Führung hervorragend ist, kann ich mir das leisten, ohne dass deswegen etwas liegen bleibt. Als Verleger habe ich das Privileg, intern und extern mit sehr interessanten Zeitgenossen zusammenzutreffen, und ich liebe diese Gesprächsmöglichkeiten, den Austausch mit spannenden Menschen. Dabei geht es nicht immer nur um sogenannt wichtige Fragen. Oftmals zeigt erst das Gespräch, ob sich etwas Wichtiges daraus ergibt. Und ich nehme mir als Familienunternehmer Zeit für Themen, die ein auf Effizienz getrimmter Manager weglassen würde. Ein Beispiel dafür ist unser Neubau hier auf dem Werd-Areal. Dafür habe ich mir viel Zeit genommen. Ich hatte bei diesem Projekt das Gefühl, dass es wichtig ist. Nicht nur, weil ich überzeugt bin, dass ein solcher Bau deutlicher als viele Worte transportieren kann, wie sehr wir an unsere Zukunft glauben, sondern auch, weil ich es wichtig finde, dass unsere Mitarbeitenden sich am Arbeitsplatz wohlfühlen können – gerade heute, wo der Druck enorm gross ist. Diese Eigenschaften kann man positiv sehen, aber auch kritisch, denn damit bin ich nicht immer effizient. Immerhin, indem ich mir gezielt Zeit nehme, lasse ich mich nicht nur von der Agenda treiben, sondern kann innehalten und mir Input, auch für das Tagesgeschäft, holen.

Sind Sie in zehn Jahren immer noch Verleger und VRP der Tamedia?

Sehr wahrscheinlich schon.

Text und Bilder: Nora Dämpfle

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