Streaming-Plattform: Scaglione lässt Originalmarke 105 wiederaufleben
Giuseppe Scaglione kehrt mit der interaktiven Streaming-Plattform «my105» auf die mediale Bühne zurück. Am Dienstag präsentierte er das Projekt im Zürcher Clouds den Medien.
Die Bilder seien «an Brutalität nicht zu überbieten» gewesen, als Anfang 2014 sein Unternehmen Music First Network die Bilanz deponieren musste und die von ihm betriebenen Radiostationen geschlossen wurden, so Scaglione. In der ebenso brutalen, leeren Zeit danach habe er sich irgendwann vor die Wahl stellen müssen: Absturz und sich gehen lassen – oder die ganze Kraft zusammennehmen und nochmal antreten.

Er hat sich für Zweiteres entschieden. Denn die Zeit der Abwesenheit hatte für Scaglione auch einen entscheidenden Vorteil: Die «epochale Veränderung» der Medienwelt habe er erst durch den Blick von aussen richtig erkannt. Gemeint ist die «Generation Kopfhörer», die durch die explodierende Smartphone-Dichte die omnipräsente Musik sehr selektiv konsumiert. «Streaming ist das Radio des 21. Jahrhundert», ist der 105-Gründer überzeugt.

Ein grosses Problem sieht Scaglione aber bei den etablierten Streamingdiensten wie Spotify oder den «100’000 Webradios»: Die grosse Auswahl an Musik, Kanälen und Diensten überfordere die Nutzer. Eine gewisse Auswahl sei gut, unendliche Auswahl nicht. Abhilfe würden «Leuchtturmmarken» schaffen und in diese Nische will Scaglione mit seinem alten, etablierten Brand 105 springen. Die Markenrechte für die Schweiz konnte er sich bei den italienischen Markeneigentümern sichern.

Am 28. Mai startet die interaktive Streaming-Plattform «my105». Auf vorerst acht Kanälen kommt der User via App und Web-Plattform «mit einem Klick zum Lieblingssound». Auf die Zielgruppe der 15- bis 39-Jährigen ausgelegt, können Stilrichtungen wie Hip Hop, Rock, Lounge, Schweizer Musik oder aktuelle Charts ausgewählt werden. Punkten will Scaglione dabei mit der klaren Differenzierung zu den verbreiteten Streaming-Angeboten: Die Musik wird nicht von Algorithmen, sondern durch Menschen ausgesucht, welche die Hörer überraschen könnten. Diese würden mit «Soft-Moderationen» durch den Tag begleitet – eine Alternative zur Anonymität der Streamingdienste. Auf Schweizerdeutsch – die lokale Positionierung soll später auch vermehrt durch Events und Community-Nähe unterstrichen werden. Der Community-Gedanke nimmt eine zentrale Position ein: Die Hörer können nicht nur die gespielte Musik bewerten und so die Rotation beeinflussen, sondern als Innovation auch Audionachrichten hochladen und abspielen lassen. «Eine in dieser Form einzigartige Verbindung von Community und Redaktion», ist Scaglione überzeugt.
Finanziert wird «my105» von Giuseppe Scaglione und seiner Frau Paola Libera. Zudem sind bereits beim Start mit Seat, Manor, Sobu.ch und Amavita Keypartner dabei. Weiter soll Geld verdient werden mit ins Programm eingebundenen Audiospots (Pre-Roll, In-Stream), durch exklusive Bannerplatzierungen und Promotionen. Vorerst ist das ganze Angebot kostenlos, kostenpflichtige Premium Accounts sind in Zukunft aber möglich.
Scaglione kümmert sich auch persönlich um die Musikauswahl und übernimmt die Oberleitung über ein Team verschiedener Fachleute, die sich im In- und wohl vor allem im Ausland befinden. «my105» ist rein Cloud-basiert und verzichtet auf gemeinsame Räumlichkeiten. Die neue Flexibilität – online, statt klassisches Radio-Business – eröffne eine völlig neue Kostenstruktur, erklärt Scaglione. Auf die Frage eines Journalisten, was eigentlich Roger Schawinski mit seinem Planet 105 zum neuen 105-Projekt sage, antwortet er mit einem Augenzwinkern: «Roger wird wohl begeistert sein!» Falls es dennoch Unstimmigkeiten gäbe, würde er Schawinski aber nahelegen, dass dieser den Namen ändere, denn: «Das wäre konsequent». Grundsätzlich sieht er aber keine Probleme, denn Planet 105 sei auf Zürich fokussiert, während «my105» erst auf die ganze Deutschweiz, später auch auf die Westschweiz und auf das Tessin abziele. Der Dienst kann grundsätzlich aber weltweit genutzt werden.
Thomas Häusermann