Presserat: Privatsphäre trotz Doppelmord

Medien müssen bei der Namensnennung selbst bei spektakulären Verbrechen äusserte Zurückhaltung an den Tag legen. Der Presserat rügte im Zusammenhang mit einem Doppelmord im Bündner Südtal Puschlav zwei Tessiner Zeitungen, wie er am Dienstag bekanntgab.

Den Anfang machte Radiotelevisione Svizzera (RSI), die im Dezember letzten Jahres in mehreren Sendegefässen berichtete, ein Lastwagenfahrer sei im Fall des Doppelmordes von Brusio verhaftet worden. Der Mann, der mit vollem Namen genannt wurde, werde verdächtigt, den Mord im November 2010 in Auftrag gegeben zu haben. Dann zogen die Online-Portale der Tessiner Tageszeitungen Giornale del Popolo und Corriere del Ticino mit der Namensnennung nach. Familienangehörige des Verhafteten beschwerten sich in der Folge beim Schweizer Presserat und machten einen Verstoss gegen die «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» geltend.

Privatsphäre respektieren

Die Beschwerde wurde gutgeheissen: Presserat ruft in seinem am Dienstag veröffentlichten Entscheid in Erinnerung, dass Medienschaffende verpflichtet sind, die Privatsphäre der einzelnen Person zu respektieren, sofern das öffentliche Interesse nicht das Gegenteil verlangt. Der im Zusammenhang mit dem Doppelmord von Brusio Verhaftete sei keine öffentliche Person. Selbst eine Verhaftung bei einem aufsehenerregenden Doppelmord begründe noch kein öffentliches Interesse an einer identifizierenden Berichterstattung, schreibt der Presserat weiter. Gerügt wird auch die offenbar im Kanton Tessin verbreitete Praxis, bei schweren Delikten Namen zu nennen. Die gerügten Zeitungen durften zudem nicht davon ausgehen, dass der Name des Verhafteten bereits allgemein bekannt sei, weil die RSI zuvor identifizierend berichtet hatte. Auf die Beschwerde gegen die RSI-Berichterstattung ging der Presserat nicht ein, weil ein Parallelverfahren beim Ombudsmann der RSI läuft. (SDA)
 

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