Presserat rügt 20 Minuten und Blick

Der Presserat heisst zwei Beschwerden gegen 20 Minuten und Blick teilweise gut. In beiden Fällen wurde die Identität der Beschwerdeführer in der Berichterstattung unzureichend geschützt.

Der erste Fall thematisiert die Blick-Berichterstattung über einen tragischen Verkehrsunfall («Zebrastreifen-Drama von Worb»), bei welchem im November 2011 ein 10-jähriger Junge ums Leben kam. Blick berichtete, die Ermittler seien überzeugt, ein 70-jähriger Rentner («Der Unfall-Rentner») mit zwei Promille Alkohol im Blut habe das Kind durch fahrlässiges Verhalten im Feierabendverkehr totgefahren. «Der Besoffene» habe danach Fahrerflucht begangen, sei jedoch kurz danach von der Polizei gestellt worden («Die Schäden an seinem Auto verraten ihn»).

Wenige Wochen später berichtete Blick unter Nennung von Vorname und Initial des Nachnamens, der ehemalige Präsident der Arbeitnehmer- und Rentnerpartei sei im Zusammenhang mit besagtem Unfall festgenommen worden («Ex-Politiker verhaftet»). Blick schrieb zudem, der Beschuldigte habe schon einmal wegen Betrugs im Gefängnis gesessen und veröffentlichte dazu ein mit schwarzem Balken zensiertes Foto.

Im März 2012 beschwerte sich der Beschuldigte beim Presserat, die Blick-Berichte würden die Ziffern 3 (Anhörung bei schweren Vorwürfen) und 7 (Privatsphäre/Identifizierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletzen. Die Blick-Reporter seien unter anderem mehrmals in die Mietliegenschaft eingedrungen, hätten bei Mitbewohnern geklingelt und seine 89-jährige Mutter belästigt. Die Auflistung seiner früheren Verurteilungen trage zudem nichts zur Aufklärung des Verkehrsunfalls bei. Das Bild sei ohne seine Zustimmung veröffentlicht worden und es habe nie Anlass gegeben, seinen Vornamen und den ersten Buchstaben des Nachnamens zu nennen. Des weiteren sei er nie zu den schweren Vorwürfen befragt worden.

Der Presserat kam nun zum Schluss, dass die Beschwerde teilweise gutgeheissen wird und eine Verletzung von Ziffer 7 vorliegt. Der Unfall sei zwar von öffentlichem Interesse, rechtfertige aber keine identifizierende Berichterstattung. Der Beschuldigte sei – wenn überhaupt – nur vor 15 Jahren eine Person des öffentlichen Interesses gewesen. Obwohl nicht der ganze Name genannt wurde, sei die Person über ihr engeres Umfeld hinaus erkennbar.

Die anderen Vorwürfe wies der Presserat ab, auch wenn die «Belästigung» der 89-jährigen Mutter «grenzwertig» sei.

Nähere Informationen: http://www.presserat.ch/_46_2012.htm

Beschwerde gegen 20 Minuten und 20 Minuten Online

Im zweiten Fall wurde Beschwerde gegen 20 Minuten und 20 Minuten Online eingereicht. Unter dem Titel «Die Edelhure, die sich nimmt, was sie will» berichtete 20 Minuten Online im Februar 2012 über die Verurteilung einer Prostituierten wegen Freiheitsberaubung und Betrugs. Sie soll einen Banker terroisiert und mehrfach in der Wohnung eingesperrt haben. Vom Vorwurf der sexuellen Nötigung sei die Frau aber freigesprochen worden («Beim ersten Mal soll sie ihn sogar gegen seinen Willen zum Geschlechtsverkehr gezwungen haben»).

Am nächsten Tag hielt die Printausgabe von 20 Minuten fest, die «Edelprostituierte» habe den «CS-Kadermann» nicht zum Sex gezwungen. Allerdings sei diese wegen IV-Betrugs und weiterer Delikte verurteilt worden. Eines der Bilder zeigte das Facebook-Profilfoto, auf dem die Angeschuldigte eine Maske trug. Die Frau beschwerte sich darauf beim Presserat: Durch das Facebook-Bild hätten viele Bekannte sie erkannt. Der Eingriff in ihre Privatsphäre habe ihre Persönlichkeit verletzt. Zusätzlich fühlte sie sich verletzt durch den Titel «Die Edelhure, die sich nimmt, was sie will» und die Veröffentlichung intimer Details wie ihre Borderline-Erkrankung oder ihre berufliche Tätigkeit als Prostituierte.

Die Rechtsabteilung von Tamedia räumte Ende März 2012 ein, die Anonymisierung der Frau sei unzureichend gewesen. Man sei davon ausgegangen, die Maske würde ihre Identifikation verunmöglichen – stattdessen sei die Beschwerdeführerin gerade aufgrund der Maske für einen breiten Personenkreis individualisierbar gewesen. 20 Minuten habe nicht beabsichtigt, die Privatssphäre der Frau zu verletzen und habe den Artikel deshalb umgehend aus dem Online-Archiv entfernt.

Der Presserat bestätigte nun, dass die Veröffentlichung des Facebook-Fotos Ziffer 7 (Identifizierung) der «Erklärung der Pflichten und Rechte der Journalistinnen und Journalisten» verletze. Die Eingestehung des Fehlers durch die 20 Minuten–Print-Redaktion ändere nichts an dieser Tatsache. Alle anderen Beschwerden weist der Presserat ab, die Berichte von 20 Minuten und 20 Minuten Online hätten die Persönlichkeit nicht schon dadurch verletzt, dass sie wahrheitsgemäss und in verhältnismässiger Weise über die Gerichtsverhandlung berichtet haben, auch wenn sie dabei auch Privates und Persönliches thematisierten.

Nähere Informationen: http://www.presserat.ch/_47_2012.htm
 
Teaserbild: Screenshot Blick.ch

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