Journalismus ist ein Zivilstand»

Peter Wolf ist eine Marke. Für Ringier testet er alles Technische vom Rasierapparat bis zum Smartphone. Seine Testberichte helfen bei der Bedienung biestiger Geräte und sind obendrein unterhaltsam. Doch Wolf ist nicht nur Verbraucherjournalist. Er hat unter anderem Ringiers Newsroom mit aufgebaut und zeichnet für diverse weitere Projekte an der Dufourstrasse verantwortlich. Wer ist dieser Wolf?

Dieser Artikel von Anne-Friederike Heinrich stammt aus der aktuellen Printausgabe der Werbewoche.
Wer mit Peter Wolf (45) am Tisch sitzt, muss teilen können. Denn iPhone, Android-Handy, Blackberry, Kindle und iPad sind immer mit dabei. «Ich bin kein Gadgetfreak», meint Wolf trotzdem. Und in der Tat, ein Freak ist er nicht. Doch er kennt sich gut aus – verdammt gut, um genau zu sein – und arbeitet mit Smartphones und Lesegeräten wie unsereiner mit Buch, Block und Bleistift. Leser kennen den Technikjournalisten vor allem von seinem inzwischen eingestellten Cash-Blog sowie von zahlreichen Tests technischer Geräte in Blick, SonntagsBlick und verschiedenen Kundenmagazinen. Doch Wolfs Begeisterung für die digitale Welt, für Vernetzung und Verzahnung reicht noch viel weiter: Nicht nur, dass er stets mindestens fünf Geräte mit sich herumträgt, die selbstverständlich perfekt aufeinander synchronisiert sind. Wolf hat auch die IT- und Multimediaseiten im Blick und SonntagsBlick konzipiert und geleitet. Er hat bei Ringier das Wissensmanagement-Tool Yammer gelauncht und ist einer der Köpfe hinter dem viel beachteten Newsroom. Nebenbei doziert Wolf auch noch an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Chur über Digital Publishing und Social Media.
«Journalismus ist kein Beruf, sondern ein Zivilstand», sagt Wolf. «Bei Ringier wissen sie, dass ich so denke. Auch deshalb geniesse ich viele Freiheiten, für die ich sehr dankbar bin.» Arbeit muss für Wolf zwei Bedingungen erfüllen: Sie muss Spass machen und einen Sinn ergeben. «Für einen Dokumentarfilm über den Swiss Alpine Marathon habe ich aus einem Helikopter heraus gefilmt», erzählt er. «Das war cool, aber darum ging es mir nicht. Wir wären anders nicht zu den Aufnahmen gekommen, die wir haben wollten. Für ein aussergewöhnliches Resultat stelle ich Vieles auf die Beine.»
Erkennen, was die Welt …
Peter Wolf wird 1964 in Davos geboren – was eine grössere Rolle spielt, als man zunächst vermutet. Denn wenn in Davos nicht gerade Ski gefahren wird, ist dort ziemlich wenig los. Wolf aber liebt und braucht die Abwechslung. Also mischt er seine Heimatstadt bereits als 16-Jähriger kräftig auf: Gemeinsam mit zwei Schulfreunden produziert er eine Schülerzeitung, organisiert und leitet den Jugendtreffpunkt Terminus mit Veranstaltungen und Disco und managt drei Jahre in Folge eine Auswahlschau aus den Solothurner Filmtagen. Ausserdem spielt er Keyboard in der Elektropop-Band Didadomino, die es zu immerhin einer Kassette bringt. «Ich musste einfach etwas machen», erinnert sich Wolf. «In der Zwischensaison hätte man auf der Strasse schlafen können, ohne überfahren zu werden.»
Wolf ist gierig: Gier nach Neuem und Spass an der Veränderung sind sein Antrieb. Sein Vater, ein Uhrmachermeister, gestattet Peter, alles auseinander- und wieder zusammenzubauen, was er will. Das tut er mit Leidenschaft. «Vom Kugelschreiber bis zur Spieldose habe ich alles auseinander geschraubt, was ich in die Finger bekam», erzählt Wolf. «Im Gegensatz zu heute bestand damals die Gefahr, dass man die Dinge nicht mehr zusammenkriegte. Ich habs aber immer hinbekommen.» Trotz seinem Faible für Feinmechanik will Wolf nicht Uhrmacher werden. Eher Tierarzt. Oder Elektroingenieur. Oder Journalist. Im Traumberuf Nr. 3 startet Wolf mit 19 Jahren: 1984 und 1985 schreibt und fotografiert er als freier Mitarbeiter für die Davoser Zeitung. Doch schnell sind das Blatt und Davos für Wolf zu klein. Ende 1985, nach der Matura, geht er nach Zürich, um an der ETH Elektroingenieurwesen zu studieren. Er eifert damit seinem Onkel nach, der als Elektroingenieur bei der NASA arbeitet. Ein cooles Vorbild für den jungen Mann. Allerdings will Wolf nicht in den Weltraum, sondern Fachjournalist werden. Er beginnt zu studieren – und steigt mit 20 Jahren als Produzent und Abschlussredaktor beim Blick ein.
Beruhigend, dass auch Wolf diesen Karrieresprung als erklärungsbedürftig betrachtet: «Mein Freund aus Davos rutschte durch einen Zufall in die Ringier-Journalistenschule. Er fiel dem damaligen Chefredaktor Peter Übersax auf, der ihn vom Fleck weg engagierte – ebenso wie einen zweiten Teilnehmer des Sommerkurses, der direkt wieder kündigte. Für diesen brauchten sie schnell Ersatz, und Christoph hat so lange auf mich eingeredet, bis ich ‹ja› gesagt habe.» Wolf, der seine Maturaarbeit über «Bild und Günther Wallraff» geschrieben hatte, geht widerstrebend zum Blick. Denn er fürchtet, das Blatt sei wie der von Wallraff beschriebene Sauhaufen bei der Bildzeitung. Diese Einschätzung seines Arbeitgebers revidiert er aber schnell. Drei Jahre arbeitet Wolf als Blick-Produzent, vom ersten Tag an darf er direkt in die Zeitung hineinproduzieren. Bei dieser Arbeit hilft ihm sein ausgeprägtes visuelles Gespür: Wolf ist ein guter Fotograf, versteht viel von Filmen und liest leidenschaftlich gern Comics.
…im Innersten zusammen hält
Neben dem Produktionsjob schreibt und fotografiert Wolf auch drei Jahre lang für die Musik-, Film- und Nachrichtenseiten des Blick. Dann hat er genug vom Journalismus. Er nimmt einen Job als Systemberater für DTP-Lösungen an, macht seine Sache aber zu gut: Der Markt der Early Adopters ist bereits nach einem Jahr gesättigt. Wolf kehrt als Produzent zum Blick zurück. Nach einem halben Jahr bekommt er zusätzlich eine eigene Seite, die wöchentlich erscheint: «Rock & Pop mit Peter Wolf». Der 24-Jährige reist umher, macht Fotoreportagen und Konzertberichte und führt über 100 Interviews mit Grössen wie den Scorpions, Pink Floyd, David Hasselhoff oder Ozzy Osbourne. «Weil ich mit der Kamera auf der Bühne stand, dachten die meisten Musiker, dass ich nicht schreiben kann», erzählt Wolf. «So haben sie mir oft Details erzählt, die ich nicht erfahren hätte, wenn ich danach gefragt hätte.»
Diesmal hält es Wolf dreieinhalb Jahre beim Blick aus, 60 Prozent als Produzent, 40 Prozent als Journalist. Dann muss eine neue Herausforderung her. 1992 gründet er eine Firma für Textveredelung und journalistische Dienstleistungen, 1993 wird er Reporter und Nachrichtenredaktor beim ersten Schweizer Privatsender Tell TV. Doch dem Sender geht kurz vor der ersten Sendung das Geld aus. «Trotzdem habe ich in dieser Zeit viel gelernt», betont Wolf. «Wir hatten den Keller voller Schnittplätze und technischem Equipment. Während meine Kollegen sich den Kopf über die finanzielle Situation zerbrachen, habe ich im Schnittraum herumexperimentiert und mir viele Fachkenntnisse angeeignet.» Wenn ein Projekt scheitert, startet Wolf gleich ein neues: Schon 1992 hatte er das Party- und Trendmagazin Sputnik mitgegründet, das eigentlich als Flyer zur ersten Zürcher Streetparade geplant war. Nun soll noch Sputnik TV entstehen. Um sich während des Aufbaus zu finanzieren, heuert Wolf wieder als Produzent beim Blick an. Ab 1993 berichtet Sputnik TV alle 14 Tage 30 Minuten lang über Partys und Trends – mit Peter Wolf als Kameramann, Cutter, Reporter, Redaktor und Aufnahmeleiter. 1995 geht auf der Frequenz von Radio24 ausserdem Sputnik Radio auf Sendung. Sputnik war der erste Medienverbund der Schweiz.
Immer wieder Ringier
Ab 1994 engagiert sich Wolf auch als Verleger. Mit zwei Geschäftspartnern gründet der Tausendsassa den Verlag «SmartBooks» und verlegt Ratgeberbücher über Management, Macintosh-Rechner und das Internet. Als Cheflektor und Produktionsleiter produziert Wolf rund 50 Bücher. Er steigt in die Geschäftsleitung auf, bevor er den Verlag 1999 verlässt. Und dann? Geht Wolf wieder zum Blick. Dreimal konnte Ringier seinen Mann für das Technische wieder zurückholen. Das dritte Mal ist Wolf geblieben. Bisher elf Jahre lang.
Doch die Zahl der Jahre täuscht: Bei Ringier ist Wolf kein bisschen weniger quirlig als zuvor. Fünf Jahre leitet er die IT- und Multimediaseiten des Blick, ab 2002 ausserdem das Multimediaressort des SonntagsBlick. Dann wird er in den Marketingausschuss von Thomas Trüb berufen, erarbeitet und realisiert Konzepte für verschiedene neue Blick-Seiten und Beilagen, bloggt für Cash über technische Errungenschaften, verantwortet den multimedialen Aufbau der Wirtschaftsplattform Cash daily und installiert das Webcenter, das Bewegtbilder für alle Ringier-Publikationen produziert.
Derzeit bezeichnet Wolf sich als Product-Manager E-Reading. Passender wäre Technikmissionar. Wolf knöpft sich Tag für Tag elektronische Lesegeräte, Smartphones, Social-Media-Plattformen und andere neue Kommunikationsformen vor und prüft sie auf ihre Nücken und Tücken. Gerade testet er das kleinste Tablet der Welt. «All diese Geräte auszuprobieren kostet viel Zeit und ist oft frustrierend», sagt Wolf. «Denn nicht immer funktioniert alles so, wie der Hersteller verspricht. Ich schreibe das dann, was zuweilen Mut braucht. Aber nur so kann ich meinen Lesern den gleichen Ärger ersparen, den ich beim Tes-ten hatte. Ich glaube fest daran: Many a false step is made by standing still.»
Zukunft im Blick
Wenn Wolf nicht schreibt, engagiert er sich in Projekten: Seit November 2007 gehört er zum Team, das den Integrierten Newsroom geplant, eingerichtet und eingeführt hat – und das ihn nun auch international implementieren wird. Und er beschäftigt sich mit neuen Möglichkeiten für digitales Publizieren, zum Beispiel mit E-Paper. «Ich habe seit einem Jahr kein Papier mehr in der Hand gehabt, wenigstens nicht zum Lesen», sagt er, als sei das für einen Journalisten selbstverständlich. «Bei Tickets allerdings vertraue ich noch nicht allein auf die elektronische Version. Da habe ich immer einen Ausdruck bei mir.» Vor zwei Jahren hat Ringier mit Tamedia/Edipresse, NZZ, Orell Füssli und Swisscom das Konsortium Codex gegründet. Codex will die Inhalte der beteiligten Content Owner auf mobile Displays bringen. Im August startete ein sechswöchiger Probelauf mit 150 Test-Usern. Sie konnten 20 verschiedene digitale Zeitungen, Zeitschriften und Bücher mit Spielgeld kaufen und auf einem Lesegerät lesen. «Der Test lief extrem gut und lieferte wichtige Erfahrungen. Das Projekt wird weiterlaufen», sagt Wolf. Mehr darf er nicht verraten.
Offenbar sind in Codex mehrere gute Nasen organisiert. Denn was derzeit hochaktuell ist, war vor zwei Jahren noch kein Thema. Einer, der es frühzeitig gewittert hat, ist Wolf: «Man muss ab und zu etwas riskieren», sagt er. «Wenn man Neues erst anpackt, wenn es alle machen, kann man es gleich lassen.
Europa ist beim Digital Publishing jetzt knapp vorm Tipping Point. Und wir sind bereit.» Dieser Wolf ist auch ein Trend Scout. Also stellen wir DIE Frage: Wird Papier überflüssig? «Auf keinen Fall», beruhigt Wolf. «Papier ist eigentlich nur ein Display, eine Zeitung ein Multidisplay. Es hat zwar eine langsame Refresh-Rate, es bewegt sich nichts, und es tönt auch nichts. Dafür ist alles farbig, absturzsicher und braucht keinen Strom. Das Display des Kindle überschreibt sich selbst, hat aber im Moment nur 16 Graustufen und ist zu langsam für Videos. Jedes Display hat seine Vor- und Nachteile. Auf E-Ink-Lesegeräten könnten in Zukunft alle Buch-Neuerscheinungen zu finden sein. Je nach Preis kann man sich 10, 50 oder 100 davon freischalten. Aber E-Ink, Print und Tablets werden koexistieren. Ich warte schon lange auf ein Tablet, das hinten ein E-Ink-Display drauf hat, oder auf einen Laptop, der eins im Deckel hat.» Wolf wird uns wissen lassen, wenn es das gibt. Und ob es was taugt.
Anne-Friederike Heinrich
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