Fatale Fixierung auf Zürich

Tamedia Welche strategischen Möglichkeiten hat der Zürcher Medienkonzern nach dem P-NZZ-Deal? Die Lösung liegt in der Schublade – von Ringier.

Tamedia Welche strategischen Möglichkeiten hat der Zürcher Medienkonzern nach dem P-NZZ-Deal? Die Lösung liegt in der Schublade – von Ringier.Nach dem Einstieg der NZZ-Gruppe beim Zürcher Unterländer und der Zürichsee-Zeitung wird in der Branche heiss diskutiert, was die Tamedia nun machen werde. Vom Zürcher Medienhaus selbst sind nur sehr allgemeine Äusserungen zu hören. So wird etwa Tagi-Chefredaktor Peter Hartmeier mit der Aussage zitiert: «Jetzt wissen wir, woran wir sind, und dass wir auf unsere eigenen Stärken bauen müssen.» Und Tamedia-Sprecherin Franziska Hügli doppelt mit der Aussage nach: «Es ist klar, dass wir den Tages-Anzeiger aus eigener Kraft weiterentwickeln werden.»Keine Tabus – oder doch …
Wesentlich konkretere Informationen sind einem Interview von Peter Hartmeier in der Hauszeitung doppelpunkt in diesem Frühjahr zu entnehmen. Dort betonte Hartmeier, dass es bei der Weiterentwicklung des Tages-Anzeigers keine Tabus gebe. So sei unter anderem auch die Frage gestellt worden, ob man den Tages-Anzeiger als eine reine Stadtzürcher Zeitung weiterentwickeln und parallel dazu eine Zeitung für das Umland gründen solle. Man sei dann aber zum Schluss gekommen, dass «wir keine Kompaktzeitung, sondern weiterhin eine politische Komplettzeitung machen wollen. Wir wollen die Identität, das Unverwechselbare des Tages-Anzeigers nicht antasten, sondern weiterentwickeln.» So gesehen gibt es eben doch ein Tabu. Der Tages-Anzeiger soll also nur angepasst, aber nicht radikal verändert werden. Vielleicht sollte man das doch noch einmal überdenken.
Die klassischen Tageszeitungen von heute haben ja vor allem das Problem, dass sie die Bedürfnisse der ganzen Bevölkerung eines bestimmten geografischen Gebietes abdecken müssen. Diese Bedürfnisse sind aber zunehmend heterogen. Eine Zeitung für alle wird damit zu einer Fiktion. 20 Minuten ist der beste Beweis dafür, dass man auch im Zeitungsmarkt mit Zielgruppendenken weiterkommt. Was kann das nun für den Tages-Anzeiger heissen? Er muss sich für eine Zielgruppe entscheiden und allenfalls für eine dadurch vernachlässigte Zielgruppe einen neuen Titel lancieren. Diese Strategie ist zwar teuer, aber kaum erheblich teurer als die gerüchteweise kolportierte Lancierung von Regionalsplits für einzelne Regionen des Kantons Zürich. Mit solchen Regionalsplits könnte man eigentlich nur etwas erreichen: Die Konkurrenz durch aufgeblähte Marketingkosten so lange zermürben, bis sie aufgibt. Angesichts des jüngsten Deals zwischen NZZ und PubliGroupe sind die Erfolgsaussichten einer solchen Strategie aber deutlich gesunken. Sie würde die noch weich zu klopfenden Landverleger direkt in die Arme der NZZ treiben, die mit Unterstützung der «P» alles daran setzen dürfte, dass die Strategie Tamedia nicht aufgeht.
Die Lösung liegt vielmehr in der offenbar verworfenen Idee der Konzentration des Tages-Anzeigers auf ein engeres Gebiet und der Lancierung eines neuen Titels. Dabei sollte sich die Tamedia aber nicht weiter derart verbissen auf den Kanton Zürich fixieren. Denn gerade darin dürfte einer der Gründe liegen, warum der Konzern nicht weiterkommt. Das wird klar, wenn man die Umsätze der drei Zürcher Grossverlage im letzten Jahr mit denjenigen von 1996 vergleicht. Während der Umsatz der Tamedia praktisch stagnierte (–0,6%), wuchs er bei der NZZ um 34,1 und bei Ringier um 17,2 Prozent. Vergleicht man die Strategien der Verlage, liegt eine mögliche Erklärung auf der Hand: Die Tamedia erwirtschaftete den grössten Teil ihres Umsatzes im Grossraum Zürich. Die NZZ kaufte sich dagegen Umsatz in verschiedenen Regionen der Deutschschweiz dazu, und Ringier dehnte sich vor allem im Ausland aus. Die Tamedia hat dadurch ein deutlich höheres Klumpenrisiko als die beiden andern Verlage.
Mit dem Kauf von 20 Minuten hat sie dieses Klumpenrisiko etwas verringert. Die Regionalausgaben in Basel, Bern, neuerdings Luzern und bald wohl auch in St. Gallen dürften bereits in diesem Jahr gut zehn Millionen Franken Umsatz generieren. Nahe liegend wäre nun eine Regionalisierungsstrategie des Tages-Anzeigers in der ganzen deutschen Schweiz. Dies dürfte aber abgesehen von hohen Kosten genauso wenig bringen wie Regionalausgaben im Kanton Zürich.
Kompakt für Anspruchsvolle
Die Lösung liegt vielmehr in der Lancierung einer neuen Zeitung, die 20 Minuten und den Tages-Anzeiger ergänzt. Der Tagi würde stärker auf den Grossraum Zürich fokussiert und den nationalen Anspruch völlig aufgeben. Parallel dazu würde eine neue, deutschschweizerische Tageszeitung im Tabloidformat lanciert, eine profilierte, aber sehr kompakte Publikation für anspruchsvolle Leser. Sie enthielte kurze Artikel und Kommentare über das politische, wirtschaftliche und sportliche Geschehen in der Schweiz und im Ausland.
Zielpublikum wären vor allem Personen in Führungsfunktionen, die in ihrem dicht gedrängten Terminkalender kaum mehr Zeit finden, die für sie relevanten Informationen in einer konventionellen Tageszeitung zusammenzusuchen. Im Gegensatz zu 20 Minuten dürfte eine solche Zeitung nicht gratis sein. Sie müsste in der ganzen Schweiz in der Frühzustellung verbreitet werden, damit die anvisierte Zielgruppe das Blatt auf dem Arbeitsweg lesen kann.
Es ist zu vermuten, dass das in einer Schublade von Ringier ruhende Tageszeitungsprojekt etwa so aussieht. Im Gegensatz zur Konkurrenz von der Dufourstrasse hat die Tamedia bezüglich Ressourcen aber die wesentlich besseren Startchancen. So kann sie die heutige (sehr grosse) Redaktion des Tages-Anzeigers auf die beiden Titel aufteilen und gezielt ergänzen. Bei der Lancierung kann sie sich auf die Abonnenten von Tages-Anzeiger, SonntagsZeitung und Facts abstützen.
Es ist klar, dass durch eine solche neue Zeitung der Tages-Anzeiger an Auflage verlieren würde. Als Regionalzeitung für den Grossraum Zürich hätte er aber eine weitaus klarere Perspektive als heute. Und die NZZ erhielte eine klare Konkurrenz und müsste sich vielleicht dann doch einmal überlegen, ob die alte Tante nicht gelegentlich ein Facelifting braucht.
NZZ und PubliGroupe stärken die Fronten gegen den Tages-Anzeiger. Tamedia reagiert bisher gelassen, steht aber klar unter Zugzwang.
Ueli Custer

Weitere Artikel zum Thema