«Fünf vor zwölf» für die Verlage

Auflage Führt das neue Auflagereglement zuweiteren Manipulationsgeständnissen? Die Verlage haben jedenfalls noch eine Gnadenfrist.

Auflage Führt das neue Auflagereglement zuweiteren Manipulationsgeständnissen? Die Verlage haben jedenfalls noch eine Gnadenfrist.
Verlage, die «durch vorsätzlich falsche Angaben wiederholt versuchen, die tatsächlichen Auflagezahlen zu verfälschen», müssen mit einer Konventionalstrafe von 50 000 Franken pro Titel rechnen – wer die Manipulation vornimmt, ist dabei irrelevant. Wird die Strafe verhängt, verliert der Verlag auch «das Recht auf die Auflagebeglaubigung für die nächsten drei Jahre». So steht esim Auflagereglement, das seit dem 1. Juli 2004 in Kraft ist.
Nach dem Geständnis des Landboten (WW 25/04) steht nun die Frage im Raum, ob noch weitere Zeitungen oder Zeitschriften dem Beispiel folgen und Auflagemanipulationen offen legen. Da nicht rückwirkend bestraft werden kann, bleibt den Verlagen noch eine Gnadenfrist bis zum nächsten Deklarationstermin (30. Juni 2005). Führt das neue Auflagereglement also zu einem Grossreinemachen? Und war dies von der Wemf sogar beabsichtigt?
Manipulationen als Einzelfälle
Dort scheint man mit diesen Fragen aber nicht viel anfangen zu kön-
nen. Wemf-Direktor René Schmutz schreibt auf Anfrage kurz und bündig: «Ich nehme nicht an, dass Sie von mir erwarten, zu Ihren Spekulationen Stellung zu nehmen?» Und Christel Plöger, oberste Auflagebeglaubigerin, warnt gar: «Ihre These ist reine Spekulation, der ich mich nicht anschliessen möchte. Ich fände eine Veröffentlichung Ihrerseits gefährlich und nicht seriös.»
Wemf-VR-Päsident und NZZ-Verlagsleiter Tobias Trevisan hat offenbar mehr Distanz zur Angelegenheit. Mit den neuen Sanktionen sei kein Grossreinemachen beabsichtigt, schreibt er. Bereits heute schrecke ab, dass Auflagemanipulationen als Urkundenfälschung oder Betrug strafrechtlich verfolgt werden könnten. Bei den Manipulationen von Giornale del Popolo und Landbote geht er von «Einzelfällen» aus.
Ähnlich sieht es Hanspeter Lebrument, Präsident des Verbandes Schweizer Presse, der auch darauf hinweist, dass das neue Reglement ja «von den Verlagen begrüsst» worden war. Aus den beiden jüngsten Manipulationen «lässt sich allerdings kein Trend ablesen», schreibt Lebrument. Im Gegenteil, man habe sich – auch seitens der Verbände – in den letzten Jahren angestrengt, Auflagen und andere Zahlen sauber auszuweisen. «Das Resultat ist, von einzelnen Fehlleistungen abgesehen, überzeugend», schliesst Hanspeter Lebrument.
Bei den Werbekunden ist man misstrauischer. «Nur Transparenz schafft bei den Inserenten das nötige Vertrauen», sagt Urs Schneider, Vizepräsident von BSW/IGMA. Da er aber mittels einer simplen Rechnung Hinweise auf weitere Auflagefälschungen ausgemacht hat, ist er skeptisch. Beim Landboten, rechnet er vor, sei der LpE-Wert (Leser pro Exemplar) mit 1,59 seit Jahren um ein Viertel tiefer als bei andern Tageszeitungen (gut 2 LpE). «Der Grund ist eindeutig in der zu hoch deklarierten Auflage zu finden», sagt Schneider. «Dies ist ein Indiz für überhöhte Auflagezahlen.» Mit der Grossauflage habe es aber nichts zu tun: «Das neue Beglaubigungsreglement der Wemf scheint bereits Wirkung zu zeigen.»
Auch Jürg Siegrist, Direktor des Verbandes Schweizerischer Werbeauftraggeber, geht davon aus, dass mögliche Sanktionen «die Verlagshäuser sensibilisiert» haben. «Es ist jetzt fünf vor zwölf, um reinen Tisch zu machen», mahnt er und fordert eine ergänzende, vertrauensfördernde Massnahme. «Da die meisten Verlagshäuser eine AG sind, erwarte ich, dass das Controlling auch diese Zahlen prüft.»
Der Landbote als «seriöses» BeispielWie eine Auflagebeglaubigung abläuft, zeigt ein Artikel von Piero Schäfer in der Kundenzeitschrift Wemf-Report vom Juni 2002. Aus heutiger Perspektive peinlich ist aber, dass der beschriebene Vorzeige-Beglaubigungsbesuch ausgerechnet beim Landboten stattfand. Auch wenn nicht feststeht, dass beim Landboten schon damals Zahlen manipuliert wurden, muten Passagen in jenem Text heute direkt satirisch an.
Etwa wenn dem Landboten-Verlagsleiter attestiert wird, dass er «unter dem Jahr seriöse Arbeit geleistet» habe. Oder wenn dieser sagt, eine Beglaubigung sei für ihn «eine sehr persönliche Sache, denn mit diesen Zahlen arbeitet dann die Werbewirtschaft.» Und weiter: «Eine stille Freude kommt schon auf, wenn alles stimmt … Aber grobe Fehler unterlaufen uns eigentlich keine.» Als dann der Wemf-Kontrolleur einen Fehler von 24 Exemplaren findet, spricht der Verlagsleiter von einem «kleinen Versehen». (mk)
Markus Knöpfli

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