Berliner Mut- und Mobilmachung

Deutsche Presse Neben politisch-ökonomischen Patentrezepten gegen die Zeitungsdepression gabs am diesjährigen Verlegerkongress auch redaktionelles Innovationsdenken. Und das kam ausgerechnet von einem Werber.

Deutsche Presse Neben politisch-ökonomischen Patentrezepten gegen die Zeitungsdepression gabs am diesjährigen Verlegerkongress auch redaktionelles Innovationsdenken. Und das kam ausgerechnet von einem Werber.
Wir haben keine Chance, aber die nutzen wir umso entschlossener und effizienter: Paradox am 49. Jahrestreffen des Bundesverbands deutscher Zeitungsverleger (BDZV) war nicht nur dessen «gedrückte Aufbruchstimmung» (Springer-Boss Matthias Döpfner). Auch viele Analysen und Anliegen, welche die rund 600, vornehmlich aus der Medienprovinz angereisten Teilnehmer beim Hauptstadttreffen austauschten, waren widersprüchlich.«Wir sind keine Konsensfetischisten», stellte BDZV-Präsident Helmut Heinen denn auch gleich zu Beginn klar. Und lieferte Gerhard Schröder, der zu Fuss aus dem nahe gelegenen Kanzleramt herbeieilte, um den Verlegern Mut und Beine zu machen, damit eine ungewollte Steilvorlage. Zwar sprach sich der deutsche Regierungschef grundsätzlich für eine Revision des «von der Marktrealität längst überholten» Pressefusionsgesetzes von 1976 aus. Doch die besonders von den Grossverlagen erhoffte verbindliche Zeitzusage blieb Schröder schuldig (siehe WochenInterview Seite 29). Und zwar mit dem Hinweis, die Betroffenen müssten sich vorab erst mal auf eine gemeinsame Position einigen.
Uneins waren sich die Branchenvertreter auch in der Frage, ob und allenfalls wie die Branchen-Cashcow «Rubrikenanzeige» in
ihrem papiernen Stall, den Zeitungen, gehalten werden kann. Während Heinen die anhaltende Schrumpfung des Auto-, Immobilien- und Stellenmarkts für «überwiegend konjunkturbedingt und durchaus wieder umkehrbar» hält, sieht Star-Werber Sebastian Turner im kommerziellen Kleinvieh nur mehr «unkreativen Ballast», den zukunftsfähige Zeitungen sowieso abwerfen müssten. Friedhelm Haak wiederum hält die Tendenzen zur Abwanderung ins Internet zwar nicht für begrüssenswert, aber doch unaufhaltsam. Zeitungen, die weiter bloss Millimeter vermieten statt online aufzurüsten, sind für den CEO der Hannoveraner Madsack-Gruppe «im Prinzip heute schon nicht mehr wettbewerbsfähig».
Zauberformel Digital Workflow
Durch konsequente Digital Workflows in der Anzeigen- und Abobewirtschaftung können mittelständische Verlage laut Haak nicht nur Rubrikenfressern wie eBay Paroli bieten, sondern auch ihre Personalkosten von durchschnittlich fast 50 auf «vernünftige 30 Prozent» senken. Madsack jedenfalls habe seine Mitarbeiterzahl seit Beginn der Umstellung vor zehn Jahren in etwa halbieren und so – trotz hoher Anfangsinvestitionen und der aktuellen Werberezession – inzwischen wieder in den schwarzen Bereich zurückkehren können. «An den Fliessbändern der Autofabriken stehen schliesslich schon lange ein paar Roboter statt hunderter Handwerker», begründete er die Vorbildfunktion jener Branchen, die ihren Strukturwandel bereits durchgemacht haben.
Wie die (verbands-)politischen stiessen auch solch unternehmerische Patentrezepte auf geteiltes Echo und verpufften – wie bei Selbstdarstellungen üblich – weit gehend wirkungslos. Kein Wunder, sassen im Publikum doch Zeitungskonzern-Manager neben Lokalverlegern und Anzeigenleiter neben Chefredaktoren. Aufhorchen liess vor allem Letztere dann Sebastian Turners Antwort auf die Podiumsfrage «Müssen wir den Werbeträger Nummer eins neu erfinden?». Der Vorstandsvorsitzende von Scholz & Friends forderte nämlich nicht wie erwartet sexy Sonderwerbeformen, sondern redaktionelle Reformen. Die wichtigste: Um sich von der Suchmaschine Online-Journalismus qualitativ deutlicher abzuheben, müsse die Zeitung noch stärker als «Findmaschine» begriffen und gestaltet werden.
«Im deutschen Kulturraum wurde bislang sträflich ignoriert, dass Leser durch ‹Tagesschau› oder Radio meist schon teilvorinformiert sind, bevor sie ihr Leibblatt zur Hand nehmen», so des Werbers These. Weswegen selbst in guten Artikeln häufig «30 bis 60 Prozent Redundanz, sprich Langeweile» stecke, die sich durch Content Management elegant eliminieren liesse. Als Beispiel diente dem heutigen ADC-Präsidenten die englischsprachige Montréal Gazette. Deren Artikel werden nach Möglichkeit in die drei aufeinander folgenden Kategorien «background», «news» und «outlook» unterteilt. Dass aus solch radikaler Leserführung zwangsläufig agenturmässiger Häppchenjournalismus resultiere, bestreitet Turner. «So kriegt man endlich direkten Zugriff auf die Filetstücke eurer Produkte.»
Forderte eine gemeinsame Verlegerposition: Gerhard Schröder.
Oliver Classen

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