«Wir wollen den Akzent mehr auf die Freuden des Lebens legen»

Presse Seit dem 1. Mai hat das Westschweizer Ringier-Magazin L’Hebdo ein neues Konzept und ein neues Kleid. Chefredaktor Alain Jeannet – neu auch er – erörtert beides mit Christophe Büchi, Westschweiz-Korrespondent der NZZ und langjähriger Mitarbeiter der Werbewoche.

Presse Seit dem 1. Mai hat das Westschweizer Ringier-Magazin L’Hebdo ein neues Konzept und ein neues Kleid. Chefredaktor Alain Jeannet – neu auch er – erörtert beides mit Christophe Büchi, Westschweiz-Korrespondent der NZZ und langjähriger Mitarbeiter der Werbewoche.WW: Monsieur Jeannet, Sie sind seit kurzem Chefredaktor von L’Hebdo. In welchem Zustand haben Sie das Magazin angetroffen, an dem Sie lange Zeit gewirkt haben?Alain Jeannet: L’Hebdo war mit einem Phänomen konfrontiert, das andere Newsmagazine auch kennen: einer Erosion der Verkaufsauflage.
Wie stark war denn der Rückgang bei L’Hebdo?Der Verkauf liegt bei 48000 Exemplaren (letzte Beglaubigung der Wemf), davon sind fast 90 Prozent Abonnemente.
Und wo war die Spitze?In den besten Zeiten – um 1994 – setzten wir 61000 Exemplare ab. Doch war der Wettbewerb damals wesentlich weniger hart als heute.
Die Reaktion kam bei L’Hebdo relativ spät. Warum?
Verglichen beispielsweise mit Le Point und L’Express wurde relativ lange zugewartet. Dies hat wohl damit zu tun, dass L’Hebdo das einzige Newsmagazin auf dem welschen Markt ist und der Druck hier etwas weniger schnell spürbar wurde.
Hat es in der Romandie überhaupt noch Platz für ein Newsmagazin?Davon bin ich überzeugt. Aber es ist klar: Der publizistische Wettbewerb ist für uns viel härter geworden – wegen der wachsenden Konkurrenz unter anderem durch die Tagespresse, aber auch durch die audiovisuellen Medien wie das Westschweizer Radio, das sich heute viel stärker in die politische Debatte einschaltet.
Sie denken an die Diskussionssendung «Forum» von Radio Suisse Romande La Première?Ja, natürlich, unter anderem. Aber mit 48000 verkauften Exemplaren und 222000 Lesern bleiben wir eine Lokomotive. Bei aller notwendigen Selbstkritik: Wir haben einen soliden Sockel von Lesern und mit einer Reichweite von 16,8 Prozent mehr als jedes andere Newsmagazin in Europa.
Wie sieht das sozioökonomische Profil Ihrer Leserschaft aus?Wir haben viele gut ausgebildete Leser. Unsere Reichweite bei den Leadern und Topleadern ist bereits hoch (40,5 % respektive 39,6 % gemäss MACH-Leader), höher als bei der Tageszeitung Le Temps. Aber wir wollen sie noch erhöhen. Und das ist die Hauptzielrichtung unseres Relaunches.
Also etwas mehr Direktoren statt Direktionsassistentinnen und Lehrer? Etwas weniger «classe moyenne»?
Wir wollen unsere Leserschaft in den Mittelschichten noch verstärken und bei den Entscheidungsträgern hinzugewinnen. Aber es stimmt: Wir hatten auch das Problem, dass das Profil von L’Hebdo und jenes von Illustré zu nahe beieinander lagen. Wir müssen uns da stärker abgrenzen.
Sagen Sie uns doch ein bisschen mehr über Sinn und Zweck Ihrer «nouvelle formule»?Unser Relaunch besteht in einer redaktionellen Neuorientierung und nicht nur aus einem blossen Lifting. Aber das natürlich auch.
Sprechen wir zuerst einmal von der Gestaltung. Was ist anders geworden?
Wir wollten weg vom Stil der Neunzigerjahre à la Focus oder Capital, dem französischen Wirtschaftsmagazin von Prisma Presse. Dieser Stil war stark vom Fernsehen und vom Internet inspiriert, das ist bei uns jetzt vorbei. Wir wollen wieder vermehrt den Text in den Mittelpunkt rücken. Das bedeutet: weniger Fotos, diese aber besser einsetzen. Weniger grafische Patisserie, diese aber effizienter verteilen. Kein Hochglanzpapier mehr, sondern halbmattes.
Und inhaltlich?
Das ist das Entscheidende. Wir wollen wieder vermehrt die traditionellen Trümpfe der Wochenpresse ausspielen. Der Leser soll bei uns mehr originelle Informationen, mehr Recherche finden, die er von der Tagespresse nicht bekommt. Wir wollen aber auch mehr die gesellschaftlichen Entwicklungen antizipieren, eine Art Pilotfisch spielen – das ist fast eine Obsession von mir. Also mehr Hintergrund bringen und weniger an der Aktualität kleben. Und uns resolut vom Meinungs-Mainstream und der Political Correctness absetzen.
Weshalb gingen Sie denn in der Entschlackung, in Ihrer Rückkehr zum Text nicht so weit wie die Weltwoche?Es ist klar, dass wir die neue Weltwoche sehr genau studiert haben, denn ihr Relaunch ist sicher eines der interessantesten Experimente der Schweizer Presse der letzten Jahre. Aber die Ausgangslage war bei uns doch recht verschieden von jener der Weltwoche.
Etwas genauer, bitte?Erstens sind wir das einzige Newsmagazin und somit Leader auf unserem Markt, während die Weltwoche mit dem Magazin Facts rechnen muss. Zudem hat die Weltwoche ihre eigene Geschichte als Wochenzeitung auf Zeitungspapier, dies musste sie ebenfalls berücksichtigen. Und schliesslich war unsere wirtschaftliche Situation zwar problematisch, wir befanden uns aber nicht in einer Überlebenskrise wie die Weltwoche. Wir mussten und durften deshalb auch etwas behutsamer vorgehen. Angesichts unserer Reichweite durften wir aber auch nicht allzu elitär werden.
Sie haben gesagt, dass Sie weniger an der Aktualität kleben und mehr Hintergrund bringen wollen. Können Sie das an einem Beispiel illustrieren?
Beim G-8-Gipfel waren wir drauf und dran zu passen. Denn es hat keinen Sinn, dass wir Sachen später und ausführlicher bringen, die im Kern schon anderswo zu lesen waren. Schliesslich haben wir doch einen längeren Beitrag gebracht, aber nur deshalb, weil einer unserer Redaktoren einen Blick auf die Veranstaltung gefunden hatte, den man sonst nirgendwo lesen konnte.
Sich stärker von der Aktualität absetzen – dies ist also die Kernbotschaft?Wir haben eine zweifache USP. Erstens wollen wir Informationen und Meinungen bringen, die man sonst in der Presse nicht findet. Und zweitens wollen wir den Akzent vermehrt auf die Freuden des Lebens legen – auf Humor und l’art de vivre.
Sie sprechen immer wieder davon, dass Sie mehr Recherche wollen. Sie setzen sich also klar von dem etwas feuilletonistischen Belehrungsjournalismus ab, der gerade in der Westschweiz zeitweise sehr stark den Ton angab?
Wir wollen von der Position des Journalisten mit dem erhobenen Zeigefinger, von der Lehrerattitüde wegkommen. Wir wollen überhaupt mehr Vielfalt. Deshalb werden wir vermehrt auch ausländische Autoren gewinnen sowie auch Autoren, die nicht aus dem Journalistenkuchen stammen. Wir Journalisten müssen sehr aufpassen, dass wir nicht autistisch handeln.
Sie rücken also ab vom Thesen- und Kampagnenjournalismus, der von Jacques Pilet mit Maestria, von seinen Epigonen dagegen mit wesentlich weniger Brio praktiziert wird?So möchte ich das nicht sagen. Ich habe ja lang unter Jacques Pilet bei L’Hebdo gearbeitet und viel von ihm gelernt. Er stand immer mutig zu seinen Ideen, hat sie langfristig und mit viel Können verteidigt.
Seine journalistischen Verdienste stehen ja nicht zur Diskussion! Dennoch: der Einsatz von L’Hebdo und Nouveau Quotidien für einen EU-Beitritt, die Cointrin-Affäre oder die Poussepin-Kampagne waren doch Beispiele für klassischen Kampagnenjournalismus, als die Medienschaffenden zeitweise direkt als Lobby ins politische Geschehen eingriffen.
Der «journalisme d’investigation» kann parallel laufen zu dem, was ich als «journalisme de proposition» (proposition = Vorschlag) bezeichnen möchte. Aber ich finde, L’Hebdo hat gerade in der Europafrage sehr gute Arbeit geleistet, viele Entwicklungen vorweggenommen, die öffentliche Diskussion vorwärts gebracht.
Das wollen Sie auch weiterhin tun?Natürlich, wir möchten auch in Zukunft profilierte Meinungen vertreten und Recherchen bringen. Aber es gibt nicht nur den «journalisme d’investigation», den Enthüllungsjournalismus. Wenn wir Scoops haben, dann natürlich umso besser. Aber gute Scoops bekommt man nur ein paar Mal pro Jahr. Wir dürfen uns nicht auf eine Primeurjagd fixieren, sondern müssen auch die Sachkompetenz in den Vordergrund rücken. Beispielsweise haben wir in den letzten Nummern Dossiers zur Altersvorsorge und Krankenversicherung publiziert. Das sind die grossen Fragen, zu denen wir etwas zu sagen haben.
Arbeiten Sie eigentlich auch mit den deutschsprachigen Ringier-Publikationen zusammen?Ja, wir tauschen mit Cash Artikel aus. Bisweilen arbeiten wir auch mit dem SonntagsBlick zusammen. Aber wir betreiben das nicht systematisch.
Und wie steht es mit Kooperationen auf französischer Seite?Wir arbeiten ein wenig mit L’Express zusammen, aber nicht sehr intensiv.
Sie wollen weg vom seichten Magazinjournalismus, setzen mehr auf Hintergrund und Kompetenz. Steht aber Ihre Kampagne, die mit Fotos von Promis voll auf People setzt, nicht im Widerspruch dazu?
Das sind ja nicht x-beliebige Persönlichkeiten, sondern eigentliche «Macher». Wir wollen mehr Topleute erreichen, und das wird auf kohärente und emotionelle Art kommuniziert. Aber indem wir Couchepin, Piccard usw. als Kinder zeigen, bringen wir auch ein wenig Humor und Ironie in die Sache. Wir wollen zeigen: Mit L’Hebdo kommt man sehr weit. Deshalb der Claim: «Dans la vie, rien n’arrive vraiment par hasard.»
Sie haben aber auch den alten Slogan «bon pour la tête» aus der Mottenkiste geholt. Warum?
Weil er ein ganz starker und in den Köpfen verankerter Slogan ist. Wir wollten damit auch Kontinuität herstellen.
Und wie waren die ersten Reaktionen auf Ihren Relaunch? Kommt L’Hebdo
voran?
Die Reaktionen waren sehr positiv, sowohl bei den Lesern als auch bei den Inserenten. Mit den ersten Nummern haben wir den Kioskverkauf verdoppelt. Ich bin überzeugt, dass dies rasch auch auf unsere finanzielle Situation durchschlagen wird, und wir auch die Themenführerschaft wiedergewinnen.
Ist der Begriff Themenführerschaft angesichts der Vielzahl der Medien und der enormen Konkurrenz überhaupt noch vertretbar?Wir wollen Debattenleader sein, auch wenn wir einräumen müssen, dass andere Medien auch gute Arbeit leisten. Vive la concurrence!
Couchepin hilft beim Relaunch von L’Hebdo mit.
Die Edelweiss-Connection

Es wäre vielleicht ein wenig übertrieben und der biblischen Vorlage nicht ganz gerecht zu behaupten, der Wiedereinstieg von Alain Jeannet als Chefredaktor des Ringier-Wochenmagazins L’Hebdo sei so etwas wie die Rückkehr des verlorenen Sohnes. Denn so verloren wirkte Jeannet bei Edipresse auch wieder nicht. Aber irgendwie stand es doch in den Sternen geschrieben, dass Jeannet und L’Hebdo früher oder später wieder zueinander mussten. Denn schliesslich hat der neue Chefredaktor sein journalistisches Metier bei L’Hebdo gelernt.
Der gebürtige Neuenburger (Jahrgang 1958) studierte nach der Matura (Typus A) an der Universität Lausanne politische Wissenschaften (wo der Autor dieser Zeilen ihn als Assistent betreuen durfte). Daneben spielte und sang er in einer Popgruppe. In einer Zeit, in der sich viele junge welsche Studenten in Kapitalismuskritik gefielen und von China und Nordvietnam schwärmten, zog es ihn bereits in die USA, in das Land des fast unbegrenzten freien Wettbewerbs. Als junger Journalist bei dem 1981 lancierten und von Jacques Pilet aufgepäppelten L’Hebdo machte er sich rasch einen Namen als Kenner der Chiptechnik, der New Economy und des Silicon Valley. Er wurde Chef des Wirtschaftsressorts und zog 1990, rechtzeitig nach der Wende, als Deutschlandkorrespondent nach Berlin.
Als Pilet 1991 vor allem mit Edipresse-Geldern die Tageszeitung Le Nouveau Quotidien auf den Markt brachte, wurde «Pilet-Boy Jeannet» Wirtschaftschef des neuen «journal suisse et européen». 1993 ging der geborene «Zupacker» dann als Reisläufer im Ringier-Sold nach Fernost, um dort in China, Vietnam und Indonesien ein halbes Dutzend «Printprodukte» aus dem sozialistischen Boden zu stampfen. 1996 kehrte er zum Nouveau Quotidien zurück und wurde kurz darauf von Edipresse in die Entwicklungsgruppe geholt. Dann zog es ihn zurück in den Journalismus: Er wurde Vizechefredaktor von L’Illustré, dann Chefredaktor von Bilan und – Ende gut, alles gut? – Chefredaktor von L’Hebdo.
Jeannet ist mit Renata Libal, der Chefredaktorin von Edelweiss, verheiratet und Vater von zwei Kindern. Bei solchen Eltern ist anzunehmen, dass sich die welschen Medien um Chefredaktorennachwuchs nicht sorgen müssen.
Wieder bei Ringier: Alain Jeannet.

Christophe Büchi

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