Showdown in Stockholm

Pendlerzeitungen Was Zürich mit dem Express-Launch Ende März bevorsteht, tobt in Schwedens Metropole bereits seit fünf Monaten: ein Gratiszeitungskrieg mit allen Finten und Finessen.

Pendlerzeitungen Was Zürich mit dem Express-Launch Ende März bevorsteht, tobt in Schwedens Metropole bereits seit fünf Monaten: ein Gratiszeitungskrieg mit allen Finten und Finessen.Etwas ist Schweizer und schwedischen Platzhirschen gemein: Sie schlafen gut, und sie verteidigen ihr Revier erst, wenns ihnen ans Lebendige geht, dann jedoch umso aggressiver. Während Tamedia sich nach dreieinhalb Jahren doch noch anschickt, 20 Minuten zum Übernahmekandidaten zurechtzustutzen, hat Bonnier gar doppelt so lange gewartet, bis sie Metro, den Erfindern der «free commuter newspapers», deren Ursprungsmarkt streitig gemacht haben.Am 21. Oktober 2002 wurde in Stockholm endlich zur Aufholjagd auf dem verlustreichen, durch Dagens Nyheter und Expressen ehedem gut abgedeckten Metropolenmarkt geblasen: Das weit vor Schibsted mächtigste Medienhaus Skandinaviens (siehe Kasten) lancierte mit Stockholm City seine eigene Pendlerzeitung, die sich – im Gegensatz zum durch Regionalausgaben in Malmö und Göteborg längst nationalisierten Metro – von Beginn weg ganz als Organ der pendelnden Stadtbewohner präsentierte.
Aggressiver ZahlenpokerSolche und weitere Strukturanalogien zwischen dem angekündigten Zürcher und dem aktuellen Stockholmer Konkurrenzkampf hat die hiesigen Kontrahenten aufhorchen lassen. «Ja, wir beobachten diesen Markt trotz seiner eingeschränkten Vergleichbarkeit schon länger sehr aufmerksam», heisst es denn auch unisono von Express-Verlagsleiter Marius Hagger und seinem 20-Minuten-Kollegen Rolf Bollmann. Kein Wunder, schliesslich liefert dessen Entwicklung neben Anschauungsunterricht wohl auch die eine oder andere Argumentationshilfe, um skeptische Verwaltungsräte von der eigenen (Vorwärts-)Strategie zu überzeugen. So dürfte sich Hagger über die – nach einem kurzen, verteillogistisch bedingten Einbruch – konstante Reichweitensteigerung des Newcomers freuen (siehe Grafik). Dies umso mehr, als von Stockholm City gemäss Bonnier-Sprecher Erik Mansson bis heute werktäglich «nur die Startauflage von 240000 Exemplaren» verteilt wird. Um die Hälfte gekürzt wurde Anfang 2003 aus Kostengründen jedoch die Zahl der anfänglich 600 (!) Kolporteure, die das im Schnitt 32 Seiten umfassende Blatt auf öffentlichen Plätzen sowie vor den bis 2005 unter Metro-Exklusivvertrag stehenden U- und S-Bahn-Stationen verteilen.
Dass die Mutter aller Pendlerzeitungen auf ihrem Heimterrain laut einer von Stockholm City beim schwedischen Wemf-Äquivalent Sifo in Auftrag gegebenen Befragung seit Oktober satte 22 Reichweitenprozent verloren haben soll, gäbe noch mehr Wasser auf die Mühlen der Express-Verantwortlichen. Wären da nicht die offiziellen Zahlen desselben Instituts fürs vierte Quartal 2002, die Metro Stockholm durchschnittlich 679000 Leserinnen und Leser attestiert.
Wer – wie Bonnier – den Grund für diese matchentscheidende Diskrepanz alleinig in «unterschiedlichen Erhebungsdaten und
-methoden» sucht, muss sich bei dieser brisanten Marktlage nicht wundern, wenn ihm die Gegenseite «amateurhafte Manipulationsversuche» vorhält. Gemäss dem operativen Chef von Metro International, Jens Torpe, hat Bonnier seiner ersten und nach wie vor wichtigsten Filiale zudem verschiedentlich «masslos überrissene» Auflageerhöhungen unterstellt. Zwar konzediert er, seit Oktober «um 40000 bis 50000 Exemplare» aufgestockt zu haben. Die Konkurrenz spräche gegenüber Anzeigenkunden und Fachpresse jedoch von doppelt so viel. Zusammen mit dem gleichzeitig suggerierten Reichweitenverlust erfülle diese gezielte Falschinformation «den Tatbestand geschäftsschädigender Verleumdung», empört sich Torpe gegenüber der Werbewoche.
Täglich 50000 Franken Verlust
Dennoch ist unumstritten, dass Stockholm City im Lesermarkt schnellere Fortschritte macht, als Beobachter vor Ort erwarteten. So spricht das Fachblatt Resumé in seiner neusten Ausgabe diesbezüglich von einem «überraschend klaren Etappensieg». Der allerdings musste teuer erkauft werden: Insider schätzen das Defizit des solide, aber unspektakulär gemachten Schnelllesetitels auf täglich 40000 bis 50000 Franken. Denn das Anzeigengeschäft läuft trotz Dumpingpreisen – der aktuelle Seitentarif von knapp 4000 Franken unterbietet denjenigen von Metro um das Fünffache – gelinde gesagt harzig. Nicht so bei der Konkurrenz: Laut offizieller Statistik konnte Metro im umsatzträchtigen Dezember 20 Prozent des Stockholmer Anzeigengeschäfts für sich verbuchen; die Herausforderin hingegen kam gerade mal auf ein Prozent.
Selbst wenn sich diese Extremwerte mittlerweile angenähert haben sollten: Um Rentabilität des eigenen Produkts scheint es dem Platzhirsch beim Showdown mit dem (seinerseits inzwischen bestens etablierten) Wilderer im Inserate-revier offenkundig nicht zu gehen. Über Bonniers Motive für seine massiven Investitionen kursieren in schwedischen Fachkreisen derzeit drei Theorien.
Platz für zwei Anbieter?
Die plausibelste: Stockholm City strebt für 2005 Metros Nachfolge als Exklusivpartnerin der hauptstädtischen Verkehrsbetriebe an und wird dafür systematisch positioniert.
Die konspirative: Bengt Braun, Bonnier-CEO und Ex-Präsident des Weltzeitungsverbands, möchte in Stockholm ein Exempel von internationaler Strahlkraft statuieren und mit Metro am liebsten gleich dem gesamten Pendlerzeitungsgenre den Garaus machen.
Die televisionäre: Bonnier möchte die Kontrolle über Schwedens grössten Privatsender TV 4 (an dem beide Kontrahenten knapp 20 Prozent halten) gewinnen und benutzt Stockholm City lediglich als finanzielles Druckmittel, um billiger an die MTG-Anteile zu kommen.
Für die erste Spekulation spricht Bonniers ziemlich zynische Einschätzung, dass der von Metro vorbildlich aufgebaute Stockholmer Pendlerzeitungsmarkt «Platz genug für zwei Anbieter» (Mansson) biete. Wobei jedoch klar ist, dass für schwarze Zahlen die direkte Produktpräsenz in Bussen und Bahnen unabdingbar ist. Entsprechend nahe liegt der Schluss, dass es sich beim derzeitigen Zahlenzank nur um strategisches Vorgeplänkel handelt und die Entscheidungsschlacht erst in zwei Jahren ansteht.
Mit dieser Pippi Langstrumpf – «einer richtigen Stockholmerin» – wirbt Stockholm City um die Leser- und Inserentengunst.
Harry Potters Verleger: Bonnier im ProfilMit einem Jahresumsatz von zuletzt 2,8 Milliarden Franken (2001: 2,7 Milliarden Franken) und rund 10000 Mitarbeitern ist Bonnier SA – vor Metros Muttergesellschaft Modern Times Group (2002: 967 Millionen Franken) – das mit Abstand grösste Medienhaus Schwedens. Ertragstärkstes Geschäftsfeld des aus einem 1804 gegründeten Buchverlag hervorgegangenen Familienunternehmens sind trotz sinkender Tendenz nach wie vor die Tageszeitungen. Dazu gehören neben den in der Hauptstadt erscheinenden Dagens Nyheter, Expressen und der neuen Pendlerzeitung Stockholm City auch das Sydvenska Dagbladet aus Malmö und das Göteborger Boulevardblatt GT. International aktiv ist Bonnier seit den Achtzigerjahren in den Bereichen Wirtschaftspresse, Zeitschriften und Buchverlag. In Deutschland besitzt die Bonnier Media Deutschland GmbH die Buch- verlage Ars Edition, Piper, Carlsen (Harry Potter) und K. Thienemann. (oc)
Oliver Classen

Weitere Artikel zum Thema