RTVG spült Geld in den TV-Werbemarkt

Mediaforschung Mit mehr als 140 Millionen Franken zusätzlichen Einnahmen rechnet die Prognos für den Schweizer TV-Werbemarkt nach der RTVG-Revision.

Mediaforschung Mit mehr als 140 Millionen Franken zusätzlichen Einnahmen rechnet die Prognos für den Schweizer TV-Werbemarkt nach der RTVG-Revision.Wenn die Totalrevision des Radio- und Fernsehgesetzes (RTVG) in der Debatte im Nationalrat keine Haare lassen muss, darf sich der Schweizer TV-Werbemarkt freuen. So jedenfalls sieht es die jüngste Studie der Prognos mit dem Titel «Daten und Fakten zum Werbemarkt Schweiz – ein Diskussionsbeitrag zum neuen RTVG», als deren Verfasser Josef Trappel und Daniel Hürst (Projektleiter) zeichnen. Die im Auftrag von IP Multimedia (Schweiz), Sat 1 (Schweiz) und SevenOne Media (Schweiz) erstellte Untersuchung bietet neben einem präzisen Überblick über die Geschichte des Schweizer TV-Werbemarktes von 1993 bis 2002 auch einen lohnenden Ausblick. Die Prognos hat für einige Teilbereiche ausgerechnet, wie viele Millionen Franken zusätzlich in den Schweizer TV-Werbemarkt gespült werden könnten – sobald Unterbrecher- und Alkoholwerbung für private TV-Anbieter zugelassen sind.
Schwierig vorherzusagen sind die zusätzlichen Umsätze, welche die Werbung für leichte Alkoholika bringen könnte. Zwar liefert Prognos keine konkreten Zahlen, vergleicht aber die Situation mit den angrenzenden Ländern, wo bis zu fünf Prozent der TV-Einnahmen von der Alkoholika-Werbung stammen. Allerdings werden diese Beträge bei uns kaum überborden, zumal die reichweitenstarken SRG-Sender nicht dabei sind.
Eliminierte Inspill-Effekte
Interessanter nehmen sich die Szenarien aus, die sich aus wegfallenden Inspill-Effekten ergeben könnten. Das ist jene Werbung, die auf ausländischen Sendern läuft und auch vom Schweizer Publikum gesehen wird. Die Liberalisierung der Unterbrecherwerbung wird Werbefenster in die Lage versetzen, solche Inspill-Effekte zu reduzieren, indem weitere Werbeinseln mit Schweizer Werbung überblendet werden können. Wegen der restriktiven Regelung von Unterbrecherwerbung in unserem Land – an die sich auch die Werbefenster halten müssen – ist das bisher nicht erlaubt.
Wie die Prognos errechnet hat, summiert sich der Wert der via Inspill in unser Land gelangenden Werbung auf den stattlichen Betrag von rund 1,5 Milliarden Franken brutto. Dies sei allerdings ein rein theoretischer Wert, von dem nur ein Bruchteil wirklich relevant sei. Und zwar deshalb, weil unter anderem die Zielgruppen in der Schweiz nicht eins zu eins erreicht werden und weil sich Zuschauerverhalten und Nutzungsintensität in der Schweiz vom angrenzenden Ausland unterscheiden. Zudem beziehe sich die Werbung in ausländischen Programmen zum grösseren Teil auf Produkte, die in der Schweiz nicht erhältlich seien. Und last, not least sei mit der bestehenden teilweisen Überblendung der Originalwerbung mit Schweizer Werbefenstern bereits ein Teil des potenziellen Inspills eliminiert.
Unverzichtbare SRG-Sender
All diese Einschränkungen abgezogen, errechnet die Prognos immer noch einen relevanten Werbedruck von rund 140 Millionen Franken, der durch Inspill-Effekte entsteht. Diesen Betrag müsste die Wirtschaft zusätzlich für TV-Werbung in der Schweiz ausgeben, wenn der wegfallende Inspill durch zusätzlichen Werbedruck kompensiert werden soll. Allerdings müsse davon ausgegangen werden, dass nicht sämtliche anfallenden Inspill-Effekte durch zusätzliche Werbeinvestitionen der betroffenen Unternehmen in der Schweiz ersetzt werden, vermutet die Prognos. Dies sei nur schon deshalb so, weil die Marketingbudgets der Unternehmen sich angesichts des allgemeinen Kostendrucks nicht beliebig erweitern liessen. Die Studie weist auch auf eine grosse Unwägbarkeit hin, weil SRG und Private mit unterschiedlichen Werberegeln werden leben müssen. So soll Alkoholwerbung bei den SRG-Sendern verboten bleiben, während gleichzeitig die bisher erlaubte Unterbrecherwerbung bei langen Spielfilmen entfallen soll. Diese Asymmetrie sei ein zweischneidiges Schwert. Denn erst eine hohe Reichweite sowie genügend Belegungs- und Kombinationsmöglichkeiten bei der Mediaplanung machten TV-Werbung für die Wirtschaft attraktiv. Daher könnten Firmen auf TV-Werbung verzichten, wenn ihnen die Reichweiten der SRG-Programme fehlen, vermuten die Zukunftsforscher.
Ein weiteres Problem, das die Verfasser der Studie erwähnen, ist der Streit um die «gleich langen Spiesse» zwischen in- und ausländischen privaten TV-Sendern. Diese Diskussion werde wahrscheinlich auch nach der RTVG-Revision nicht aufhören. Denn laut Trappel und Hürst drohe die Gefahr, dass das neue RTVG zum Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens bereits veraltet sei. Mit dem Resultat, dass die Schweizer Privatfernsehszene erneut schlechter gestellt sei als Anbieter im angrenzenden Ausland. Denn dort werde schon das gänzliche Wegfallen quantitativer Werbebeschränkungen und eine weitere Lockerung der Bestimmungen für Unterbrecherwerbung diskutiert.
Schmaler Schweizer TV-Anteil am Werbekuchen.
158 Prozent mehrErst die Einführung des RTL-Werbefensters im Jahr 1993 brachte Bewegung in den Schweizer TV-Werbemarkt. Der Effekt war nachhaltiger als jener der inländischen privaten Stationen, die ab 1994 im regionalen Raum und ab 1998 mit sprachregionalen Angeboten (Tele 24 und TV 3) in den TV-Markt einstiegen.
In den letzten zehn Jahren wuchs der Bruttoaufwand für Schweizer TV-Werbung um 158 Prozent. In dieser Zeit konnte das Fernsehen seinen Anteil an den gesamten Brutto-Werbeausgaben von 10 auf 17 Prozent steigern. Die Zahl der im TV werbenden Unternehmen und der beworbenen Produkte hat sich seit 1993 fast verdoppelt. Der Zuwachs bei den TV-Werbeausgaben kam im Wesentlichen Werbefenstern zugute, die aktuell fast 42 Prozent der Deutschschweizer TV-Spendings auf sich vereinigen. (dse)
Ländervergleich Werbemärkte 2001Basis: Brutto-Werbeaufwendungen
Anteile in % Schweiz Deutschland Österreich
Tageszeitungen* 43,0 21,1 38,1
Publikumszeitschriften 18,4 24,2 18,7
Fachzeitschriften  6,1  2,3  2,9
Fernsehen 18,1 44,2 24,8
Radio  3,4  5,5  8,7
Plakat 10,9  2,7  6,7
* in Österreich inkl. regionale Wochenzeitungen
Umrechnungskurs: 1 EUR = 1.51 CHF Quellen: Media Focus, ACNielsen, Focus Media Reserach
Daniel Schifferle

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