Seltsame Verwandte

Hintergrund Glaubt man Kurt W. Zimmermann, so ist der «Clash of Cultures» zwischen Public Relations und Journalismus Schnee von gestern. Eine postideologische Analyse zweier Berufs- und Selbstbilder.

Hintergrund Glaubt man Kurt W. Zimmermann, so ist der «Clash of Cultures» zwischen Public Relations und Journalismus Schnee von gestern. Eine postideologische Analyse zweier Berufs- und Selbstbilder.Der Witz über den Unterschied zwischen Journalisten und PR-Leuten ist zwar in die Jahre gekommen, ich bringe ihn trotzdem nochmals. Der PR-Chef der Grossbank und der Journalist treffen vor dem Bankgebäude den CEO, mit dem ein Interviewtermin verabredet worden ist. In diesem Moment fällt auf der anderen Strassenseite ein wild gewordener Rottweiler über ein Kind her. Ohne zu zögern, stürzt sich der CEO auf den riesigen Hund, und nach ein paar blutigen Minuten liegt der Rottweiler tot am Boden. Das Kind überlebt.Der PR-Chef der Bank rennt in sein Büro und formuliert sein Communiqué: «Bankier riskiert sein Leben, um ein Kind zu retten». Der Journalist rennt desgleichen in sein Büro und formuliert seine Schlagzeile: «Bankenboss erwürgt Haustier!»
Es ist der unterschiedliche Blickpunkt, der die beiden Branchen im Klischee trennt: PR-Leute sind nur ihrem Auftraggeber verpflichtet, den sie in der Öffentlichkeit in ein möglichst gutes Licht zu rücken suchen. Journalisten indes sind keinem Auftraggeber, sondern nur der Öffentlichkeit verpflichtet, der sie die ungeschönte Wahrheit vermitteln.
Romantisierte ObjektivitätDas Lehrbuch würde es so formulieren: PR ist wirkungsorientiert, sie will durch Information eine bestimmte Meinung machen. Medienprodukte sind inhaltsorientiert, ihre Informationsleistung soll verschiedene Meinungen ermöglichen.
Mein heutiger Eindruck stellt diese Lehrmeinung in Frage. Meine These ist eine Art Konvergenztheorie. Ich glaube, die beiden Bereiche haben sich im Berufsalltag und im Berufsbild angenähert. Die PR-Branche ist im Anspruch journalistischer geworden, also mehr als zuvor an Objektivität und weniger an Interessenvertretung interessiert. Der Journalismus hat PR-Modelle integriert, er ist weniger als zuvor an Objektivität und mehr an Interessenvertretung interessiert.
Ich bin in Solothurn aufgewachsen. Dort gab es vor 40 Jahren drei Zeitungen, «Das Volk» (sozialdemokratisch), die «Solothurner Zeitung» (freisinnig) und die katholisch-konservativen «Solothurner Nachrichten». Alle drei betrachteten die Welt aus rein parteipolitischer Optik, alle drei waren hemmungslos tendenziös, alle drei Redaktionen betrieben lustvolle Desinformation.
In der Rückblicksromantik nennen wir das Meinungsvielfalt. Ich glaube eher, vor 40 Jahren machte es einfach keinen grossen Unterschied, ob man nun als PR-Mann oder als politischer Journalist arbeitete. Man war so oder so Interessenvertreter. Journalisten in Solothurn und anderswo waren eine Art PR-Leute der Parteien, rechts, links oder liberal.
Erst als sie anfingen, flächendeckende Monopole zu bilden, musste die politische Linie aus den Zeitungen verschwinden. Das Forumsmodell entstand. An die Stelle der Verantwortlichkeit gegenüber einer politischen Partei rückte ein neuer, etwas diffuser Auftrag: die Verantwortlichkeit gegenüber der Öffentlichkeit. Zielbegriffe waren nun Objektivität und Sachgerechtigkeit, folgerichtig verbreitete sich ab den Siebzigerjahren der so genannte Recherchierjournalismus.
Der Grossteil der PR-Branche aber arbeitete in dieser Phase noch im Stil der vormals üblichen direkten Interessenvertretung weiter. Sie folgte der Mentalität, mit der Rudolf Farner für eine Million Franken auch einen Kartoffelsack zum Bundesrat gemacht hätte. Nun klafften die zwei Branchen in der veröffentlichten Wahrnehmung plötzlich weit auseinander: hier die edle Wahrheitssuche und Unbestechlichkeit, dort die schnöde Manipulation und Käuflichkeit.
Rückfälle allenthalbenAls dritte Phase hat nun die Konvergenz der beiden Kommunikationsfelder eingesetzt. Die Informationsüberflutung beendet vor allem in der Presse das vormalige Modell des offenen Infoforums. Orientierung ist wieder gefragt; gefragt sind damit Haltung und Meinung und somit unvermeidlich auch Voreingenommenheit und Vorurteil. Der Anspruch, dem Bürger das Material zur eigenen Meinungsbildung zu liefern, scheint mir zunehmend passé. Meinung wird heute wieder von den Medien selber in ihren Markt gedrückt, und dies beileibe nicht nur in den Kommentarspalten. Eine zumindest PR-verwandte Strategie.
Eine Folge dieses Trends ist jene enorme Moralisierung der Medienlandschaft, die im CEO-Bashing von letztem Sommer ihren bisherigen Höhepunkt fand. Der Zürcher Soziologieprofessor Kurt Imhof hat diese Tendenz in seinem Text «Die Rache der Moral» brillant analysiert. Zitat: «Ein neues Gespenst geht um, es handelt sich um die ausserordentliche Durchwirkung der öffentlichen Kommunikation mit moralischen Urteilen.» Der frühere Recherchierjournalismus setzte dort ein, wo ein Vorurteil oder eine Meinung an der Faktenlage gemessen wurde. Der von Imhof beschriebene Journalismus endet dort, wo die Faktenlage das Vorurteil oder die Meinung gefährden könnte.
Zwei, drei Beispiele: Was Christoph Blocher auch tut oder sagt, der Blick greift ihn an. Gleich ergeht es nahezu der gesamten Wirtschaftselite. Sie haben immer Unrecht, über Jahre hinweg – was objektiv kaum möglich ist. Die sachorientierte Analyse wurde im Mottenschrank der Achtziger- und Neunzigerjahre verstaut und durch Voreingenommenheit oder – weniger despektierlich – Haltung ersetzt. Wobei anzuerkennen ist, dass es sich dabei immerhin um offen deklarierte Voreingenommenheit handelt. Polit- und Wirtschaftsjournalisten beim Blick sind in diesem Sinne mit PR-Journalisten verschwägert.
Man könnte auch den Tages-Anzeiger nennen, der sich in den letzten Jahren wieder zur sozialdemokratischen Plattform entwickelt hat. Wenn Stadtpräsident Elmar Ledergerber ein objektiv reichlich dünnes Papier zur Asylfrage vorstellt oder Bundesrat Moritz Leuenberger ein objektiv ziemlich miserables Verhandlungsresultat zur Flughafenfrage vorlegt, ist ihnen Applaus dennoch sicher. Kritische Journalisten würden solche Geisteshaltung bei anderer Gelegenheit als PR-Syndrom geisseln.
Damit man mir nicht politische Einäugigkeit vorwirft: Auch die Weltwoche hat, an der Resonanz zu messen, in den Anfängen ihres Relaunchs ihre deregulatorische Antithese allzu gezielt forciert. Der Eindruck, sie sei zeitweise zu einer PR-Plattform für die Exponenten des helvetischen Neoliberalismus geworden, war sicher nicht ganz falsch.
Beispiel HartmeierKurzum: Der Journalismus bewegt sich derzeit in Richtung Subjektivismus; die PR-Branche hingegen tendiert zugleich in Richtung Objektivismus. Gute PR vermittelte schon immer faktendichte Information und mied plump Propagandistisches. Dieser Ansatz scheint nun immer branchentypischer zu werden. Im Berufskodex des PR-Verbandes steht mittlerweile prominent der Satz, dass «keine falschen oder irreführenden Informationen» verbreitet werden dürfen. Diese Formulierung könnte auch vom Presserat stammen.
Nach allem, was ich höre, hat sich ein grosser Teil der PR-Branche in jene Richtung bewegt. Wenn ich mit dem Management grösserer Unternehmen rede, sagt man mir etwa, dass die eigenen PR-Berater heute häufig die kritischeren und kompetenteren Fragen stellen als die Medien, die sich aus Mangel an Zeit, Personal oder Fachkenntnis mit komplexen Problemen sehr oft schwer tun.
Damit sich die Öffentlichkeitsarbeiter nun nicht vorschnell auf die Schulter klopfen, folgt gleich die Einschränkung. Die PR-Branche konnte gar nicht anders, als sich einen offeneren, kundenkritischeren Stil zuzulegen. All die Kommunikationsgaus – von Adtranz über Expo.02 und Holocaust-Gelder zu Swissair und Zürich – kratzten am Renommee dieser Berufsgattung und bescherten auch ihr ein Glaubwürdigkeitsproblem.
Die beschriebene Annäherung der beiden Branchen schlägt sich natürlich auch im Personalkarussell nieder. Journalisten, egal, wo sie politisch stehen, wechseln neuerdings gern in PR-Jobs. Bei einer Vielzahl grosser Unternehmen stehen oder standen in jüngster Vergangenheit ehemalige Journalisten in PR-Führungsfunktionen: Migros, Swiss, Novartis, SRG, Vontobel, Sulzer, Centerpulse, Hotelplan, ETH, nicht zu reden von den PR-Vorhöfen der Bundesverwaltung, in denen es von Ex-Kollegen nur so wimmelt.
Aber auch der umgekehrte Weg scheint mittlerweile akzeptiert. Vergessen wir nicht: Bevor der Ex-Journalist Peter Hartmeier Chefredaktor des Tages-Anzeiger wurde, war er als Kommunikationschef von Tamedia auch für deren Public Relations zuständig. Ein PR-Mann.
Kein Problem mehr in unserer Zeit. Noch vor zehn Jahren, da bin ich sicher, hätte die Tagi-Redaktion im vergleichbaren Fall umgehend zur Protestversammlung geladen.
> Kurt W. Zimmermann war unter anderem Chefredaktor der SonntagsZeitung und von Facts, danach bis Ende 2001 Mitglied der Geschäftsleitung bei Tamedia. Er ist heute Inhaber der Unternehmensberatung Consist Consulting AG. Bei diesem Text handelt es …

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