Marktforschung – Bremse oder Motor für die Kreation?

Ist Marktforschung eine Hürde für die Kreation? Oder ist sie vielmehr das Sprungbrett für kreative Lösungen? Die Meinungen darüber gehen weit auseinander. Möchte man in Zeiten der Digitalisierung wirklich innovative und erfolgreiche Lösungen entwickeln, sollten Marktforschungsergebnisse integraler Bestandteil eines Kreativ-Briefings sein.

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Von Mark Burow, Creative Director und Head of User & Brand Experience bei Namics

Die Zeiten, in denen auf der Strasse oder am Telefon durch gestützte oder ungestützte Konsumentenbefragungen Marktforschung betrieben wurde, gehören mittlerweile der Vergangenheit an. Möchte man jedoch den Nutzer ins Zentrum seiner Lösungen stellen, muss man heute mehr denn je ein offenes Ohr für die Konsumenten haben.

Unternehmen müssen nicht nur wissen, welche Farbe ihres Produkts bei den Konsumenten am meisten Anklang findet oder welche Platzierung im (Online-) Shop zum Verkaufserfolg führt. Vielmehr erfordern die heutige Wettbewerbslage und die steigenden Ansprüche der Konsumenten eine tiefgreifende Auseinandersetzung mit den zu erreichenden Zielgruppen.

Heute werden solche Informationen nicht zwingend auf der Strasse, sondern vor allem digital gesammelt. Jeder Kunde hinterlässt über Pageviews, sein Such- und Surfverhalten oder Online-Bestellungen digitale Footprints. Die Interaktionen von Kunden und Interessenten werden somit messbar und ihre Bedürfnisse lassen sich vorhersagen – teilweise noch während sie entstehen. Oft ist es aber die Vielfalt und Menge der gesammelten Daten, welche die Unternehmen vor ganz neue Herausforderungen stellt. Um die Daten wirklich sinnvoll zu nutzen, müssen aus ihnen relevante Insights generiert werden.

Insights driven Marketing entlang der Customer Journey

Es reicht nicht mehr, demographische Daten oder Kontakte zu sammeln, vielmehr müssen Unternehmen auch die Interessen, Vorlieben, Ängste und Wünsche ihrer bestehenden und potentiellen Kunden kennen. Denn, je besser ein Unternehmen seine Zielgruppe und ihre Bedürfnisse und Wünsche kennt, desto stringenter lässt sich die Customer Experience über alle Touchpoints hinweg gestalten.

Während die Customer Journey durch die Digitalisierung und die steigende Anzahl der Kommunikationskanäle immer fragmentierter wird, müssen Unternehmen heute und in Zukunft so nah wie möglich am Konsumenten agieren – egal wo und zu welchem Zeitpunkt. Dies gilt es bei der Erhebung und der Analyse von Daten und in der Marktforschung zu berücksichtigen.

Nicht jeder Insight führt zu kreativen und innovativen Lösungen

Ein Beispiel: Ein führendes Unternehmen möchte sein Intranet neu gestalten. Analysiert man hier die Nutzungsdaten des bestehenden Intranets und fragt man die Nutzer, was man an der aktuellen Lösung verbessern könnte, erhält man vor allem Antworten, die auf bereits bekannte Funktionen abzielen. Beispielsweise die Verwaltung von Räumen, digitale Adressbücher oder der schnelle Zugriff auf Kantinenpläne.

Übersetzt man diese Insights in Funktionen, erhält man auf den ersten Blick zwar eine befriedigende Lösung, die das Unternehmen langfristig jedoch nicht weiterbringen wird. Untersucht man hingegen, welche Aufgaben die Mitarbeiter mit Hilfe des Intranets erledigen, welche anderen Tools ihnen im Arbeitsalltag weiterhelfen und in welchem Kontext sie auf das Intranet zugreifen, so können die Antworten zu ganz neuen Ansätzen und Funktionen führen. Das Intranet wird beispielsweise von einem reinen Informationskanal zu einem Kollaborationstool, das Kommunikationswege verkürzt, die Projektarbeit an einem zentralen Ort dokumentiert, auf den die Mitarbeiter jederzeit und von jedem Device aus zugreifen können.

Wie das Beispiel zeigt, ist der Mehrwert von Marktforschung stark abhängig von der Qualität und Relevanz der Insights. Kommen eher schwache Insights als Sprungbrett für die Kreation zum Einsatz, sind auch die Lösungen wenig kreativ oder innovativ. In diesen Fällen greift dann wohl auch das Argument derer, die behaupten, Marktforschung und Daten seien Gift für Kreativität und Innovationsgeist. Statt aber auf Marktforschung und die Erhebung von Daten zu verzichten, muss in diesem Bereich ein Umdenken stattfinden. Nur wenn die Emotionen, Einstellungen und Assoziationen der Nutzer entlang der gesamten Customer Journey in den Vordergrund gestellt werden, kann die Marktforschung als kreatives Sprungbrett für innovative Lösungen dienen.

Insights als Teil des Kreativ-Briefings

So verändert sich auch das Anforderungsprofil für die Marketingagenturen. Unternehmen brauchen Agenturen, die nicht nur implementieren und verkaufen, sondern auch strategisch beraten. In einer vorgelagerten Analyse- oder Strategiephase müssen die relevanten Fragen gestellt und Daten erhoben werden. Diese gilt es dann im Creative Brief zu verankern.

Statt auf der berüchtigten grünen Wiese denkt die Kreation so immer mit dem Endkunden und seinen Bedürfnissen im Hinterkopf. Dies hilft nicht nur in der Ideations-Phase, sondern besonders auch bei der Priorisierung von Ideen: Ansätze und Features, die nicht konsequent auf ein Kundenbedürfnis übertragen werden können, werden nicht weiterverfolgt. Erst dann entstehen innovative Lösungen, die den Nutzer konsequent ins Zentrum stellen und ein Unternehmen tatsächlich erfolgreich machen.

Praxisbeispiel Pathé

Ein gelungenes Beispiel ist der Website-Relaunch der Schweizer Kinokette Pathé. Mit der Aufgabe, ihre Website als wichtigsten Verkaufskanal zu etablieren, wandte sich die Schweizer Kinokette an Namics, eine der führenden Fullservice-Digitalagenturen für E-Commerce im deutschsprachigen Raum. Anstatt lediglich eine Website mit integriertem Shop zu konzipieren, stellten sich die Digital-Experten die Frage, was einen Kinobesuch eigentlich ausmacht. Direkt zu Projektbeginn wurden daher die Customer Journey und die Motive von Kinobesuchern in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz eingehend untersucht.

Namics fand heraus, dass der Besuch im Kino für die meisten Konsumenten ein soziales Erlebnis ist, das schon vor dem Film beginnt. Kinogänger stimmen sich lange im Voraus über ihren Kinobesuch ab – online und offline. Es gilt einen Abend zu finden, an dem alle Zeit haben und sich für einen Film zu entscheiden. Ziel von Pathé musste es also sein, den Nutzern nicht nur das Kino-Programm zu präsentieren und die Tickets zu verkaufen, sondern die Nutzer bei der Organisation zu unterstützen.

Dieser Anspruch wurde bei der Neu-Konzeption der Webseite ins Zentrum gestellt. So können Kinogänger heute dank der Integration von Whatsapp den Film gemeinsam auswählen und über einen Terminplaner mit Doodle-Anbindung direkt überprüfen, zu welchem Termin alle Zeit haben. Mit diesem Service unterstützt Pathé nicht nur den Nutzer in der Organisation eines perfekten Kinobesuchs, sondern ist gleichzeitig auf einem guten Weg die Webseite langfristig als Hauptverkaufskanal zu etablieren.

Die zu Beginn der Projekts erarbeiteten Insights waren in diesem Projekt das essentielle Sprungbrett für einen innovativen Ansatz, der auf die tatsächlichen Bedürfnisse der Konsumenten eingeht und heute einen Mehrwert stiftenden Service bietet, der Pathé von der Konkurrenz erfolgreich abgrenzt.

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