Society-Centered Design: Durch Haltung zum Wettbewerbsvorteil

Wer auch künftig Kund:innen gewinnen und binden will, sollte Geschäftsmodell, Produkte und Services hinsichtlich gesellschaftlicher Relevanz ausrichten, erklärt Mutabor-CDO Burkhard Müller.

Klimakrise, Corona-Pandemie, Krieg in Europa: Die Gesellschaft steht vor einer Zerreissprobe. Das aktuelle Weltgeschehen wirft erneut auch ein starkes Licht auf die gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Sicher ist, Unternehmen, die diese Realität heute ignorieren und sich nicht um die Gesellschaft kümmern, werden morgen für ebendiese Gesellschaft irrelevant sein oder sogar von ihr geächtet. Kein Wunder, dass sich die Besinnung auf den eigenen «Purpose» unlängst als eines der wichtigsten Themen der vergangenen Jahre herauskristallisiert hat. Während in der Markenkommunikation schon vieles getan wird, fällt Unternehmen die systematische Übersetzung von Verantwortung bis ins Geschäftsmodell und das Produkt-/Service-Erlebnis schwer.

User-Obsession kann schnell zum Bumerang werden

Selbst Unternehmen mit starken, vom Purpose getriebenen Leitbildern, stehen vor Herausforderungen: Während AirBnB mit «Anyone can belong anywhere» jedem ermöglichen will, Städte authentisch zu erleben, sorgt das Angebot vor allem in Grossstädten dafür, dass es weniger Wohnraum für Einheimische gibt und diese sich die Miete nicht mehr leisten können. Gorillas verändert die Art, wie wir spontane Einkäufe erledigen. Durch die Lieferung in nur zehn Minuten sorgen sie jedoch rund um ihre Mikro-Fulfillment-Center für blockierte Gehwege und Lärm, über den sich zahlreiche Anwohner:innen beschweren. Auch der beste Service kann in der Beliebtheit kippen, wenn er sich negativ auf die Gesellschaft auswirkt.

Passive Nutzer:innen sind Teil jeder Customer Journey

Was diese Beispiele gemeinsam haben: Alle Angebote haben passiv Einfluss auf das Leben Dritter. In der aktuellen Denke des User-Centered Design steht der oder die aktive Nutzer:in an oberster Stelle – also derjenige, der das Produkt verwendet und Umsatz generiert. Selten werden passive «Nutzer:innen» im Kontext der sozialen und ökologischen Perspektive einbezogen. Dabei hat nahezu jedes Produkt und jeder Service entlang der Customer Journey auch immer Einfluss auf andere. Genau hier setzen wir an: Society-Centered Design bildet das Framework, um diese Perspektiven von Beginn an in die Produktentwicklung zu integrieren.


Der Methodenkoffer: Society-Centered Design

Um den gesellschaftlichen Impact von Produkten und Services systematisch zu bearbeiten, hat Mutabor unter dem Begriff «Society-Centered-Design» ein Set an Methoden und Tools entwickelt, die klassische User-Centered-Design Methoden mit der gesellschaftlichen Perspektive der Marke und ihrer Zielgruppen verbinden. Das Framework soll gleichermassen darin unterstützen, das richtige Mindset im Unternehmen zu etablieren, als auch schnell ins Handeln zu kommen und dabei die wichtigsten Entscheider:innen und Stakeholder miteinzubeziehen. Das komplexe Thema von ökologischer und sozialer Verantwortung erfährt damit eine leichte Anwendbarkeit und kann mit klaren, verständlichen Schritten angegangen werden.


Gesellschaftlicher Mehrwert ist unternehmerischer Erfolg von Morgen

Die Grundprämisse des Konzepts: Wer Verantwortung für die Gesellschaft und ökonomischen Erfolg zusammenhängend behandelt, ist langfristig erfolgreicher. Doch wieso sollte man den ersten Schritt vor allen anderen wagen, solange der Druck durch Gesetze und Kunden noch nicht zwingend ist? Die Antwort: Weil jetzt die Chance besteht, mit der Gruppe der Early Adopter Konzepte zu testen und zu validieren, um später die kritische Masse des Mainstreams sofort einzufangen und nicht von ihr überrannt zu werden. Denn so wie die Nutzerperspektive heute ein Hygienefaktor für den Produkterfolg ist, wird es sich in Zukunft auch mit der sozialen und ökologischen Perspektive verhalten. Wer also auch zukünftig Kund:innen gewinnen und binden will, sollte bereits jetzt anfangen Geschäftsmodell, Produkte und Services hinsichtlich gesellschaftlicher Relevanz auszurichten. Die Bank Tomorrow geht mit gutem Beispiel voran: indem sie das Geld ihrer Kund:innen nur in nachhaltige Projekte investiert, gibt sie starke Anreize, ihr Modell einer traditionellen Bank vorziehen.


Schritte im Society-Centered Design 

Zur Implementierung von gesellschaftlicher Haltung im Produkt-/Service-Erlebnis, egal ob neu oder bestehend, bedarf es einer ganzheitlichen Herangehensweise. Im Folgenden sind die groben Schritte des Society-Centered Design Ansatzes skizziert:

  1. Ein verantwortungsorientiertes Mindset über alle Hierarchiestufen etablieren
  2. Die Customer Journey analysieren und aktive/passive Nutzer:innen identifizieren
  3. In einem Experten-Review Handlungsempfehlungen ableiten
  4. Ableitung von messbaren KPIs und Formulierung von Guidelines für Produktteams
  5. Build, Test & Learn: Entwicklung und/oder Optimierung mit Fokus auf den Early-Market

Wie überzeugt man die Entscheider:innen?

Besonders bei digitalisierten Produkten und Services werden die meisten Entscheidungen auf Basis von KPIs getroffen. Genauso wie Branding oder Design wird auch gesellschaftlicher Impact und sein Einfluss auf den Unternehmenserfolg selten gemessen. Bei Mutabor definieren wir bereits zu Beginn KPIs, die sich messen, nachhaltig tracken und sukzessive optimieren lassen. So wird vermeintlicher Idealismus für das Business quantifizierbar – und damit zum Wettbewerbsvorteil für Morgen.


* Burkhard Müller ist Chief Digital Officer bei Mutabor. In den vergangenen 20 Jahren hat er Transformationsprojekte für Unternehmen wie Bosch, Migros, Swatch und Vodafone geleitet.

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