Von Big Data zu Smart Data

MARKTFORSCHUNG Das Thema Big Data prägt zurzeit die Branchen-Diskussionen. So auch am Tag der Marktforschung 2014 in Luzern. Norbert Wirth*, Global Head of Data and Sciences, GfK, spricht mit MK über das Potenzial und die Gefahren der neuen Datenflut. Big Data ist wie eine Flut. Marktforschung muss in dieser Flut für Orientierung sorgen. MK Ist […]

Datenflut
Big Data ist wie eine Flut. Marktforschung muss in dieser Flut für Orientierung sorgen. MK Ist Big Data ein Segen oder ein Fluch für die Marktforschung?NORBERT WIRTH Unter «Big Data» wird heute eine Vielzahl verschiedener Themenbereiche verstanden – von Kundendaten aus dem CRM-System eines Unternehmens über Produktbewertungen auf Shopping-Seiten und Facebook-Likes, bis hin zu Informationen über die Nutzung von Smartphones oder Bewegungsdaten.Diese Informationen bieten für uns Marktforscher ein grosses Potenzial, das Verbraucherverhalten zu erfassen, ohne Menschen aktiv befragen zu müssen. Angesichts sinkender Umfragequoten ist dies natürlich ein klarer Vorteil und bietet grossartige Möglichkeiten, die wir im Studiendesign einbinden können.MK Also ein eindeutiger Gewinn?WIRTH Big Data alleine bringt noch keinen Erkenntnisgewinn für unsere Kunden. Erst die Kombination von verschiedenen Daten aus verschiedenen Quellen und die richtige Analyse dieser Daten machen aus Big Data handlungsrelevante Smart Data. Unter dieser Voraussetzung ist Big Data eine wertvolle Ergänzung für die Marktforschung. Das Wichtigste ist dabei natürlich, dass die Daten nur anonymisiert und aggregiert an Kunden weitergegeben werden. Als Marktforscher sind wir bei Big Data der Garant für Datenschutz und können uns hier auch von anderen Datenlieferanten klar differenzieren.MK Welche neuen Herausforderungen stellt die Datenflut an die Marktforschung?WIRTH Für durch Big Data gewonnene Erkenntnisse gelten dieselben wissenschaftlichen Regeln wie für Daten, die wir durch Umfragen gewinnen. Werden diese Regeln nicht berücksichtigt, kann es zu falschen Schlussfolgerungen kommen und wir können die Kunden nicht seriös beraten. Bessere Datenverfügbarkeit und grösseres Datenvolumen macht die Analyse also deutlich komplexer. Denn: Forschung wird hier noch einmal mehr gefordert, Systematiken und Muster in den grossen Datenströmen unterschiedlichster Quellen zu erkennen. Erst die Kombination aus Markforschungskompetenz und genauer Kenntnis der Märkte ermöglicht eine valide faktenbasierte Beratung.MK Was bringt Big Data dem Kunden?WIRTH Für unsere Kunden entstehen vor allem durch die zunehmende Nutzung des mobilen Internets eine Vielzahl von Fragen und Problemstellungen, auf die wir schnell Antworten finden müssen. Wie verändern Smartphones das Einkaufsverhalten? Welche Werbeformate wirken hier und welche neuen Möglichkeiten bieten sich? Wir möchten dabei helfen zu verstehen, wie sich Kommunikation, Medienkonsum und Einkaufsverhalten verändern. Durch Partnerschaften mit Mobilfunkunternehmen etwa können wir in Zukunft auswerten, was verschiedene Verbrauchertypen mit ihren Smartphones mobil im Internet tun – natürlich nur mit Zustimmung der Nutzer. Diese Daten können wir mit den Daten aus verschieden Panels kombinieren und den Kunden so wertvolle Einblicke bieten, mit denen sie ihre Strategie anpassen können.MK Welche weiteren Themen sind relevant?WIRTH Tatsächlich ist das Thema Mobile Data momentan das mit Abstand spannendste Feld – und das branchenübergreifend. Dabei geht es natürlich vor allem um das Markenerlebnis und den «Customer Journey», also den Weg zum Kauf eines Produktes. Da dieser Weg heutzutage sehr individuell, selten linear und vor allem immer mehr digital und mobil verläuft, entstehen interessante Fragenstellungen, die wir für unsere Kunden erforschen.MK Gehört Big Data bereits zum daily business der Marktforscher?WIRTH Für uns gehört Big Data längst zum Alltag: Wir messen systematisch und passiv das digitale Verhalten in der notwendigen Tiefe, analysieren und interpretieren die Daten, um daraus wertvolle Einblicke und Erkenntnisse zu generieren und Handlungsempfehlungen abzuleiten. Aus Big Data machen wir also Smart Data.MK Heisst das, dass sich der moderne Marktforscher vom Fragenden zum Beobachter wandelt?WIRTH Es ist die Kombination aus beidem. Aber da die Verbraucher uns für die Teilnahme an Studien immer weniger Zeit einräumen, entwickeln wir neue Methoden, um nur noch dann fragen zu müssen, wenn es wirklich notwendig ist.MK Sind die klassischen Marktforschungs-Tools nun veraltet?WIRTH Auf Befragungen jeglicher Art, ob online oder offline, quantitativ oder qualitativ, werden wir nicht verzichten. Die Wahl passender Instrumente ist dabei stets abhängig von vielen Faktoren: Von der Fragestellung des Kunden, der verfügbaren Zeit et cetera. Ein grosser Vorteil von Big Data ist es, dass die Informationen automatisiert und im Regelfall ohne weiteren Aufwand für die Verbraucher erhoben werden können. In Zukunft werden wir es also mit einem Mix an Methoden zu tun haben. Es wird eine Verschiebung weg von reinen Befragungen geben, aber diese werden nicht komplett ersetzt. Speziell Fragen nach der Motivation spezifischen Verhaltens lassen sich oft nur durch Befragungen und qualitative Techniken beantworten.MK Wo liegen die Gefahren von Big Data?WIRTH Heutzutage sind grosse Datenmengen immer verfügbarer. Deshalb ist es enorm wichtig zu prüfen, ob die Datengewinnung und -anwendung datenschutzkonform ist, wie die Daten im Hinblick auf wissenschaftliche Gütekriterien für akkurate und belastbare Analysen gewonnen wurden und ob die Daten einen differenzierten Einblick in Konsumentenwelten liefern oder nur ein kleiner Ausschnitt digitalen Verhaltens berücksichtigt ist. Darüber hinaus sollte auch immer dem Offline-Verhalten Beachtung geschenkt werden. Dies wird leider häufig aufgrund des «digitalen Hypes» vernachlässigt.MK Wie rüstet sich die Marktforschung für die Zukunft?WIRTH Die Digitalisierung von Konsum und Kommunikation beschert uns eine wahre Flut an neuen Informationsquellen. Als Marktforscher müssen wir mit der digitalen Welt Schritt halten. Innovationskraft und die Bereitschaft, sich neue Technologien zu Nutze zu machen sind deshalb zentrale Voraussetzungen, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein. Das gilt speziell für unsere Branche, da wir unsere Kunden bei ihren eigenen Innovationen unterstützen und beraten. Wir müssen uns beispielsweise auch die Quellen dieser neuen, riesigen Datenströme erschliessen und uns permanent an die Veränderungen im Leben der Verbraucher anpassen. Nur so können wir unseren Kunden die richtigen Informationen liefern. Das ist eine spannende Herausforderung sowohl von methodischer als auch technischer Seite. Zudem bedeuten «viele Daten» ja nicht automatisch «gute oder repräsentative Daten». Wir stellen uns also der grossen Herausforderung, aus der Datenflut valide und wertvolle Informationen zu machen, sie mit unseren bewährten Datenquellen zu fusionieren und echte Erkenntnisse daraus zu ziehen.Interview: Denise Weisflog
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*Norbert Wirth ist Global Head of Data and Sciences GfK.

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