Nominiert zum «Werber des Jahres»: Matthias Kiess, TBWA\Zürich

Der TBWA\Zürich-Chef schreibt Kreativität und Strategie gross und macht seine Agentur damit immer erfolgreicher. Er engagiert sich zudem für die Nachwuchsförderung der Werbebranche.

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Matthias Kiess (Foto: Chris Reist)

Matthias Kiess ist es mit seinem Team gelungen, den Ruf von TBWA\Zürich als reine McDonald’s-Agentur loszuwerden. In den letzten zwei Jahren machte die Firma mit Sitz im Zürcher Seefeld vor allem durch die prominenten Portfolio-Neuzugänge von Coop und Porsche, den ADC-Goldregen und hohen Platzierungen im Kreativranking auf sich aufmerksam. Matthias Kiess hat die Agentur umstrukturiert und sie nicht zuletzt dadurch auf den Weg des Erfolgs geführt. Der studierte Pharmazeut, der über Umwege in die Werbung kam, hat sich die Nomination als «Werber des Jahres» 2020 gemäss der «Werber des Jahres»-Jury somit wahrlich verdient.

Der Zürcher führt die Schweizer Niederlassung des international agierenden TBWA-Netzwerkes seit 2012 als offener und präsenter Agenturchef. «Unsere Kultur basiert auf menschlichen Werten», sagt Kiess. «Wir pflegen eine gemeinschaftliche Kultur und keine Ich-Gesellschaft.» Der 52-Jährige sieht sich als «Enabler» seiner über 50 Mitarbeitenden, bietet Leitplanken und vereinbart Zielsetzungen – lässt ihnen aber auch die Freiheit, selbstbestimmt zu arbeiten. Kiess hat der Strategie wieder einen wichtigen Stellenwert in der Agentur eingeräumt. «Ich glaube nicht an den gross angekündigten Untergang der Agenturen», sagt der dreifache Familienvater. «Wenn wir unseren Vorsprung in Strategie und Kreativität halten, wird die Nachfrage nach unserer Dienstleistung nicht abreissen.»

Allerdings sollte Schweizer Werbung mutiger und akzentuierter werden, findet Matthias Kiess. «Heute ist Werbung oft performance-getrieben. Aber viele KPIs können emotionale Bindungen, die entstehen, wenn eine Marke charmant, überraschend und anders auftritt, nicht erfassen.» Der Werber engagiert sich dafür, den Ruf der Werbebranche ins rechte Licht zu rücken und somit Nachwuchstalente anzuziehen. «In einer Agentur hat man viel mehr Gestaltungsfreiräume als in den meisten Unternehmen. Man erlebt spannende Dinge und kann vieles mitprägen.» Auch Diversität sei kein Trendwort auf der Agenda, sondern schon längst Alltag. Kiess sagt: «Egal, woher du kommst, egal, wer du bist: Solange du motiviert bist und Qualität bringst, bist du bei uns willkommen.»

Kampagnen TBWA\Zürich

Coop

Mit der Image-Kampagne für Coop hat TBWA\Zürich seit Anfang 2019 Markenthemen wie Frische und Filialdichte, aber auch saisonale Themen wie Grillieren und Raclette-Fondue unter einem Dach vereint. Der Claim «Für mich und dich» wurde neu aufgeladen mit Coop-Mitarbeitenden in einer zentralen Rolle.

 

McDonald’s

Eines der Lieblingswerkzeuge bei TBWA nennt sich D-Live, ein organisierter und redaktionell geplanter Weg, kontextuelle Kommunikation aufzugleisen. Für McDonald’s als Familienrestaurant und Fussballpartner war am Muttertag 2019 deshalb das Spiel YB gegen FCB ein willkommener Anlass für diese eher unklassische Arbeit.

 

SwissPass Smile

Mit den SBB lancierte TBWA\ die Reise- und Erlebnisplattform Smile.swisspass.ch. Die Agentur entwickelt Services, Angebote und Content, bewirtschaftet und gestaltet die Seite und bewirbt sie mit einer integrierten Kampagne. Ein Highlight sind die Märlitrax, selbst kreierte Märchen-Podcasts, die das Zugfenster und damit die Schweizer Landschaft im fahrenden Zug zur Bühne machen.

 

Werbewoche: Was war Ihr erster Gedanke, als Sie von der Nomination zum «Werber des Jahres» erfuhren?

Matthias Kiess: Ehrlich gesagt war ich sehr überrascht, da ich mir hierzu nie konkrete Gedanken gemacht hatte. Natürlich hat es mich gefreut, weil sich zeigt, dass kontinuierliche Leistung honoriert wird.

 

Was würden Sie als «Werber des Jahres» bewirken wollen?

Nun, da gibt es wohl mehrere Antworten auf diese Frage. Darum als Erstes: Mut, Mut, Mut. Ich vermisse etwas die grossen Geschichten in der Schweiz. Die Geschichten, welche die Leute bewegen. Wir dürfen nicht nur über Performance und Customer Journeys nachdenken, sondern eher darüber, wie wir die Herzen der Menschen für unsere Kunden gewinnen können. Die Welt ist anspruchsvoller und komplexer geworden. Dies schafft viele Fallstricke, die sich leider immer weiter ausbreiten und medial – ich spreche nicht ausschliesslich von Social Media – häufig überdramatisiert werden. Die richtige Einordnung von Geschehnissen und Themen findet weniger statt und die kurzlebige sensationsgetriebene Story steht im Vordergrund. Da haben auch wir eine Verantwortung, die Menschen in ihren Träumen und Bedürfnissen abzuholen und dies in einem Mass zu tun, welches den gesellschaftlichen und ökologischen Rahmenbedingungen gerecht werden kann. Die Werbung trägt dazu bei, neue Wertesystem zu kreieren, die auf die neue Normalität eingehen.

Ein anderer Punkt, der mir sehr wichtig ist, ist der Wunsch nach mehr Anerkennung für unsere Branche. Es arbeiten sehr viele professionelle Leute mit Herzblut bei uns, die respektable Resultate liefern. Und dies in einem Umfeld, das schnelllebig, facettenreich und sehr innovativ ist. Also eigentlich genau der richtige Ort für junge Talente, die wir wieder für uns gewinnen müssen.

 

Was bedeutet Werbung für Sie?

Werbung ist für mich die ökonomisch gesteuerte Kunst der Verführung. Kunst darum, weil nach wie vor die gute Idee und solides Handwerk dazugehören. Verführung, weil wir zielgesteuert sind und mit unserem Tun möglichst erfolgreich Resultate erreichen wollen. Werbung ist anspruchsvoll und die Komponenten Strategie und Kreation dürfen nie fehlen.

 

Wo sehen Sie die grössten aktuellen Herausforderungen der Werbe- und Kommunikationsbranche?

Nebst den üblichen Dingen, die wir alle kennen – digitale Transformation, Kostendruck, Abwanderung der Mediabudgets zu amerikanischen Big Players – möchte ich das Augenmerk auf das Thema Nachwuchs legen. Der Anspruch an uns Werbetreibende wächst laufend, wir haben aber Schwierigkeiten, die richtigen und kompetenten Leute an Bord zu kriegen. Dies liegt zum einen an der Wahl an adäquaten Ausbildungsmöglichkeiten und zum anderen an der sinkenden Attraktivität der Branche. Diese ist nicht nur selbstverursacht, aber wir tragen nicht allzuviel dazu bei, dies zu ändern.

 

Worin sind Sie besonders gut – und wobei lassen Sie Ihrem Team den Vortritt?

Ich denke, dass ich ein guter Menschenkenner bin und es schnell schaffe, Vertrauen aufzubauen und Leuten Sicherheit zu vermitteln. Parallel denke ich unternehmerisch und versuche die Dinge, die wir tun, strategisch aufzuhängen und dem Team als Sparringpartner und Enabler zu dienen. Ich habe im Team so viele hochqualifizierte Spezialisten, mit denen ich gar nicht mithalten kann und die ihren Job besser machen, als ich ihn jemals machen könnte. Diese Experten zusammenzubringen, damit auf einer gemeinsamen Basis grosse Ideen entstehen, das sehe ich als meine Aufgabe.

 

Was waren Ihre beruflichen Highlights seit dem Frühjahr 2019?

Das Jahr 2019 war durch ein phänomenales Wachstum geprägt, was primär durch die Neukundengewinne von Coop und Porsche verursacht war. Zugleich durften wir im zweiten Halbjahr Bell und den Bereich KMU für die Zürcher Kantonalbank in unser Portfolio aufnehmen. Parallel haben wir unsere Agentur umstrukturiert und agile Einheiten sowie die strategische Einheit «Brand & Business Strategy» geformt, die sich je länger je mehr als eine Spezialkompetenz von TBWA\Zürich etabliert. Aus kreativer Sicht war natürlich das im Januar 2019 veröffentlichte Kreativranking mit uns an zweiter Stelle top, was durch die zahlreichen Goldwürfel vom ADC für die 50 Years Big Mac Kampagne im April 2019 gekrönt wurde.

 

Wer oder was hat Sie beruflich besonders geprägt?

Interessanterweise durfte ich über weite Teile meiner Karriere mit Frauen zusammenarbeiten, die mir vorgesetzt waren. Ganz am Anfang war ich in einer grossen Pharmaagentur tätig, die von einer sehr ambitiösen und unternehmerischen Frau erfolgreich geleitet wurde und im Schweizer Markt dank der Alleinstellung eine klare Marktführerschaft inne hatte. Zu einem späteren Zeitpunkt durfte ich unter Franziska Gsell, heute CMO IWC, bei der Feldschlösschen Getränke AG die Marke Feldschlösschen führen, was nicht nur aus kommunikativer Sicht, sondern auch aus dem Product Management heraus, eine grosse Herausforderung war. Zu dieser Zeit gewannen wir mit der legendären Werbekampagne «Heute trinken wir auf…» für die Marke Feldschlösschen mit den Filmen bereits ADC Gold.

Mattias Kiess arbeitet seit 2004 für die Schweizer Niederlassung von TBWA, seit 2012 in der Funktion des Geschäftsführers. Aus einer naturwissenschaftlich geprägten Familie stammend, studierte Kiess zunächst Pharmazie. Die Dissertation und die Arbeit in einer Apotheke brach er jedoch ab, stieg zunächst ins Pharma-Marketing ein und fand schliesslich seine Erfüllung als Senior Brand Manager bei «Feldschlösschen», bevor er seine wahre Berufung als Werber bei TBWA\Zürich fand. Mit seiner Frau und seinen drei jugendlichen Kindern wohnt der 52-Jährige am Zürichsee in Oberrieden, von wo aus er täglich mit dem E-Bike zur Arbeit fährt. Kiess engagiert sich im lokalen Skiclub und als Chilbi-Organisator. Zudem bekocht er Familie und Freunde gerne mit kreativen Menüs, verbringt seine Zeit auf dem Mountainbike oder rund ums Wasser.

 

 

Infos zu allen Nominierten und zur Wahl «Werber*in des Jahres» finden Sie hier. Die Onlinewahl startet am Mittwoch, 16. September 2020 via Newsletter. Wahlberechtigt sind alle Abonnentinnen und Abonnenten des Newsletters von Werbewoche und m&k. Hier kostenlos registieren. Wer am Ende die «Egon»-Trophäe gewinnt, wird zu je 50 Prozent von der Newsletter-Leserschaft und der «Werber des Jahres»-Jury bestimmt.

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