«Einen Boom sehe ich in der Realisation von Markenwelten»

Die Coronakrise hat die Live-Kommunikationsbranche besonders hart getroffen, und sie wird andauern. Habegger-CEO Jürg Schwarz erklärt, weshalb die digitale Transformation durch Corona beschleunigt wird.

Habegger

Expodata: Herr Schwarz, was bedeutet die Corona-Krise mittel- und langfristig für die Eventbranche?

Jürg Schwarz: Die Coronakrise wird unsere Branche definitiv verändern. Der Planet «Live-Kommunikation» wird in Zukunft eine leicht neue Umlaufbahn einschlagen – bildlich gesprochen. Videokonferenzen oder virtuelle Events waren bisher für viele nur eine Notlösung. Mit dieser Corona-Auszeit und der damit verbundenen Abstinenz der physischen Begegnung hat sich das virtuelle Treffen in einem ganz neuen Licht gezeigt. Heute sind wir alle gezwungen, digitale Tools zu nutzen und erkennen plötzlich, welche Möglichkeiten und Freiheiten sie uns bieten! Natürlich werden auch künftig nicht alle Veranstaltungen nur virtuell stattfinden. Doch ich bin überzeugt, dass der digitale Samen für eine neue Meetingkultur bereits zu spriessen begonnen hat und sich vor allem Formate durchsetzen werden, welche den realen Event mit der virtuellen Welt am optimalsten verbinden.

 

Welche Formate werden das sein?

Neben dem hybriden Event, also eine Veranstaltung, die physisch stattfindet, aber gleichzeitig auch virtuell gestreamt wird, ist insbesondere das Format «Digital Twin» sehr interessant. Ähnlich wie bei einem hybriden Event gibt es eine physische und virtuelle Austragung. Allerdings unterscheiden sich die beiden Welten kaum voneinander. Die virtuelle Welt soll, wo sinnvoll, die physische Veranstaltung 1:1 wiedergeben. Ein Beispiel: Während die VIPs die Produktepräsentation eines Industrieunternehmens live vor Ort miterleben, wird das virtuell anwesende Publikum durch das digital modellierte Produkt geführt. Damit können sich Unternehmen auch Alternativen für den rein physischen Messestand schaffen.

 

Welche Geschäftsmodelle tun sich durch die Digitalisierung für Veranstalter auf?

Ich sehe die Digitalisierung vor allem auch als Chance zur Steigerung der Wertschöpfung eines Events. Die virtuelle Welt bietet Veranstaltern eine zusätzliche Plattform, um ihren Event an ein kostenpflichtiges Publikum auszuspielen. Ähnlich wie es heute bereits im Sport-Pay-TV gehandhabt wird. Durch die Masse der digitalen Teilnehmer kann der hybride Event mitfinanziert werden. Stellen Sie sich vor, Sie könnten für nur fünf Franken an einer Konferenz teilnehmen, an der Elon Musk referiert! Dabei finde ich wichtig zu erwähnen, dass solche digitalen Events hochwertig produziert werden sollten und der Inhalt auf die digitale Zielgruppe abgestimmt werden muss.

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Wie hochwertig muss ein Event produziert sein?

Ein Streaming ohne zusätzlichen Content, wie zum Beispiel die Einblendung von Slides, Videos oder Teilnehmerreaktionen, wirkt schnell unprofessionell. Ein Unternehmen würde so riskieren, dass die virtuellen Teilnehmer enttäuscht werden und auf weitere digitale wie auch Live-Events dieses Veranstalters verzichten werden.

 

Was geschieht mit dem Netzwerken live vor Ort?

Networking ist in der Geschäftswelt ein wichtiger Faktor. Auch ich schätze den persönlichen Kontakt sehr. Doch bereits heute nutze ich vermehrt LinkedIn, um mit Meinungsmachern in Kontakt zu kommen. Die digitale Plattform lässt mich zielgerichteter Personen kennenlernen als an einer Konferenz mit 400 Personen. Denselben Vorteil sehe ich bei der Teilnahme an digitalen Events. Natürlich werden Sie nicht mehr gemeinsam am Buffet anstehen und sich bei einem Apéro über das Business unterhalten. Stattdessen haben Sie die Möglichkeit, sich in virtuellen Workshops oder Networkingveranstaltungen auszutauschen – mit einem viel breiteren Publikum. Mit Fokus auf den Inhalt, ohne dabei gleich auf das Äussere reduziert zu werden.

 

Welche Veränderung sehen Sie bei Public Events?

Ich bin überzeugt, dass Public Events auch künftig vor allem Live-Erlebnisse bleiben, die man physisch besucht. Die Emotionen, die kreischende, applaudierende Masse, der magische Moment lassen sich nur vor Ort erleben. Ich glaube sogar, dass nach der Coronakrise das Bedürfnisse nach gemeinsamen Gruppenerlebnissen noch grösser wird. Die Magie eines solchen Events lässt sich nicht via Computer transportieren. Dennoch wird die Digitalisierung auch vor Public Events nicht Halt machen.

 

Digitalisierung von Public Events – was meinen Sie damit?

Wir können vielleicht bald unseren Lieblingsmusiker dank VR-Brille live im Backstage-Bereich eines Konzertes besuchen. Natürlich gegen Entgelt, aber dafür bequem von zuhause aus. Die Interaktivität mit dem Publikum ist dabei stets ein zentraler Aspekt. Ein aktuelles Beispiel sind die «Wohnzimmerkonzerte» wie zum Beispiel «Tiny Desk Concert» oder «Alles wird gut» im leeren Hallenstadion, die über eine Streaming-Plattform oder via TV zuhause miterlebt werden können und das Publikum live interagieren kann. Diese Formate zeigen mir, dass Konzerte auch ohne physische Anwesenheit einen Reiz haben. Ich kann die Künstler auf private Weise, weit weg von der Glitzerwelt, erleben. Durch die Einblendung von Publikumsreaktionen entsteht auch so ein Wir-Erlebnis. Die Digitalisierung als Interaktions-Booster wird künftig wohl verstärkt genutzt.

 

Du sprichst Interaktion an. Was bedeutet dies aufwandtechnisch für den Veranstalter?

Heute wird – je nach Veranstaltungsart – 80 Prozent des Budgets und des Fokus auf das Live-Erlebnis, den physischen Event gelegt. Durch die Digitalisierung und die Ausweitung des virtuellen Erlebnisses werden die digitale sowie die reale Welt weiter zusammenwachsen. Der Veranstalter hat mehr Möglichkeiten, um vor und nach dem Live- Event mit der Community zu interagieren. Ich gehe davon aus, dass sich somit Budgets und Fokusse auf die Phase vor und nach dem Event ausweiten oder verlagern. Das ist auch für potenzielle Sponsoren attraktiv.

 

Apropos Interaktion: Generalversammlungen können auch digital durchgeführt werden. Ist es nun zu Ende mit dem Gratislunch für alle Aktionäre?

Was sich vor drei Monaten niemand hätte träumen lassen, mich eingeschlossen, scheint nun Realität zu werden. Für die Übertragung des statuarischen Teils reicht ein Sitzungszimmer einer Unternehmung aus.

 

Die Kleinaktionäre gehen also leer aus?

Bezogen auf den Lunch, ja. Das Ausüben des Aktionärsrechts, also das Mitreden und Abstimmen, wird weiterhin gewährleistet. Einfach nicht mehr physisch vor Ort. Unternehmen tun aber gut daran, Alternativen zu suchen, um Kleinaktionäre weiterhin bei Laune zu halten. Einen grossen Boom sehe ich in der Realisation von Brandworlds. Das ist eine Besucherzone am Firmensitz oder sonst wo, welche die Marke erlebbar macht. Aktionäre könnten somit ihr Goodie dort abholen. Damit liessen sich viele Aktionäre zu Markenfans machen. Auch sind die Kleinaktionäre heute mehrheitlich im Rentenalter. Die Schaffung der neuen Brandworlds würde also auch die Möglichkeit bieten, die jüngeren Semester als Zielgruppe zu bedienen.

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