«Food erhält viel Aufmerksamkeit durch Instagram & Co.»

Wie verändert Social Media unser Essverhalten? Dieser Frage gehen Experten auf der WebStage Masters Konferenz nach. Wir haben vorab mit zwei Teilnehmern gesprochen.

Maddi Bazzocco/ Unsplash

Vor ihrem Auftritt am 27. Oktober im Rahmen der Web Stage Masters Konferenz haben wir mit zwei der vier Podiumsteilnehmern über innovative Lebensmittelproduktion und das emotionalste aller Verkaufsargumente, nämlich den Genuss, gesprochen: Michael Kleinert, Leiter des Institutes für Lebensmittel- und Getränkeinnovation an der ZHAW, und Mario Garcia, Spitzenkoch aus Luzern.

Werbewoche.ch: Mario Garcia, die Schweiz hat bezogen auf die Grösse gemäss Guide Michelin weltweit eine der höchsten Mengen an «Sterneköchen». Ebenso spielt sie mit ihren Hochschulen eine global einflussreiche Rolle in der an Food-Tech-Innovation. Spürt man diese zwei Top-Rankings als Spitzenkoch?

Mario Garcia: Man merkt die Sterne-Dichte sicher, wobei ich manchmal das Gefühl habe, das wir in der Vermarktung unseres Know-hows und unserer Skills noch viel Potential hätten.

Wie spürt die Forschung diese Top-Rankings und gibt es eine wertvolle Verbindung zwischen diesen zwei Rankings?

Michael Kleinert: Wir merken seit zwei bis drei Jahren eine signifikante Zunahme an Start-ups. Ich stelle dort tendenziell fest, dass es einen hohen Bedarf gibt an fachtechnischer Beratung beim Post-Prototyping. Das wäre ein spanender Berührungspunkt mit der Spitzengastronomie. Start-Ups konstruieren oft Business-Cases, bei denen der Bezug zu einer «Herstellungs-Realität» fehlt.

Garcia: Ich glaube, es gäbe ganz viele Berührungspunkte zwischen Spitzengastronomie und Food-Innovation. Spitzengastronomie kann innovative Produkte konsumententauglich und nahbar machen. Wir sind Experten darin, aus Ideen und durch Innovation ein persönliches Gäste-Erlebnis zu schaffen.

Was sind die nicht-technischen oder nicht-finanziellen Herausforderungen für erfolgreiche Innovationen im Food-Bereich?

Kleinert: Gerichte und Produkte müssen «Fit for Purpose» sein, also eine Erwartungshaltung erfüllen. Das stimmt für das Restaurant genauso wie für das Take-Away-Produkt am Bahnhof. Zudem verändert sich aktuell die Gesellschaft auf der Nachfrageseite durch einen Shift in den Wertewelten stark: Es geht über Nachhaltigkeit hinaus, es geht ins Regenerative, ins «Heilende». Dieser Wertewandel beeinflusst auch Innovation. Aber, der Wertewandel ist enorm schnell, die Lebensmittelproduktion hinkt dem hinterher.

Wie könnte die «Spitzengastronomie» ein höheres Innovationstempo schaffen?

Garcia: Spitzengastronomen sind Perfektionisten und Könner ihres Handwerks. Sie haben die Fähigkeiten mit neuen Produkten coole Dinge zu produzieren. Sie sind kreativ und gehen in ihrem Bereich neue Wege. Es könnte eine Art Symbiose zwischen Food-Tech und Spitzengastronom entstehen. Es liegt uns im Blut, kreativ und innovativ zu sein und für «den Gast» zu arbeiten.

Am 27. Oktober seid ihr beide auf der Bühne der Web Stage Masters Konferenz im Dolder Grand und diskutiert vor rund 400 Social-Media Fachpersonen über den Einfluss von Social Media auf unser Ess- und Reiseverhalten. Welchen Stellenwert hat Social Media für Food-Innovation?

Garcia: Social Media gibt uns heute die Möglichkeit ein breites Publikum unterschiedlicher Gesellschaftsschichten zu erreichen. Wir verbringen so viel Zeit auf diesen Medien, dass dieses Potential auch enorm an Wert gewinnt. Nicht zuletzt werden auf Social Media immer wieder neue Trends gesetzt.

Kleinert: Social Media produziert ein romantisches Abbild von «Essen» und Nahrung. Das ist Fluch und Segen zugleich. Der Segen davon ist, dass es Lebens- und Genussmittel attraktiv machen kann. Food generell hat viel mehr Aufmerksamkeit erhalten durch Instagram und Co. Die Gefahr besteht darin, dass diese Bilder den Menschen real vorkommen. Das ist für viele Lebensmittelkategorien fatal. Der Trendforscher Matthias Horx nennt das «Öko-Romantizismus».

Muss dieser  «Öko-Romantizismus» auf Social Media korrigiert werden?

Kleinert: Ich wünschte mir, dass Social Media vermehrt zeigt, wo und wie Lebensmittel hergestellt werden. Und nicht nur Bilder von Gerichten auf dem Teller «romantisiert». Das gäbe einerseits ein realistisches Bild, andererseits schafft es Transparenz und damit Vertrauen. Die ZHAW plädiert dafür, dass es nicht nur die Influencer-Küche oder den Spitzenkoch im Bild gibt. Sondern eben auch aus die Betriebe in der Mitte – zwischen Acker und Teller liegt ein wichtiger Wertschöpfungsweg, der bisher kaum gezeigt wird. Ich würde an Social-Media-Content-Strategen gerne die Frage stellen, wie Beiträge aussehen müssten, wenn sie von Produktions-Unternehmen kommen, damit sie attraktiv, aber auch realistisch, fundiert und echt, sind.

Wie könnte die Spitzengastronomie diese Disbalance in Social Media aufnehmen

Garcia: Die Spitzengastronomie hat die grossartige Möglichkeit, Geschichten zu erzählen. Geschichten, die Emotionen und Bilder wecken, die den Gast zum Nachdenken anregen. Wenn wir dies auf eine ehrliche und liebevolle Art schaffen, wecken wir in unseren Gästen die Sensibilität für genau solche Themen.


Mario Garcia ist aktiver Wettbewerbskoch, mehrfacher Kochweltmeister und Olympiasieger. Er coacht Jungköche und betätigt sich als Entwickler, Jurymitglied und Ausbildner vielseitig für die Branche und für Innovation. Er vertritt die Schweizer Spitzengastronomie in der wichtigsten Jury der Welt, beim Bocuse d’Or in Lyon.

Michael Kleinert leitet an der ZHAW Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften das Institut für Lebensmittel und Getränkeinnovation. In den letzten Jahren hat die ZHAW ihre Forschungsstrategie noch mehr auf drei Schwerpunkte konkretisiert: Regenerative Food Processing, Food Fermentation Science und Sustainable Packaging.

Im Rahmen der Web Stage Masters Konferenz am 27. Oktober 2022 geht Martina Anderberg, Agenturleiterin von Maison des Chefs, der Frage nach: Wie verändert Social Media unser Ess- und Reiseverhalten? Im Panel diskutieren neben Mario Garcia und Michael Kleinert, Philipp Tschumi von der Hotel Villa Honegg und  Joel Steiner, Co-Founder des Food-Tech-Startups Upgrain.

 

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