So muss ein Web-Shop aussehen

E-COMMERCE Ist die Verschmelzung von Commerce, Content und Communities die Lösung? Dynamisches Pricing? Oder spektakuläre Visualisierungen? Die Suche nach dem erfolgreichen E-Commerce-Rezept ist eine Herausforderung. Vier Experten liefern wertvolle Tipps. Immer öfter können die User bei Webshops Produkte in einer 3D-Animation begutachten oder gar virtuell anprobieren.Die Geschwindigkeit, mit der sich Schweizer Web-Shops verändern, ist beeindruckend. […]

webshop
Immer öfter können die User bei Webshops Produkte in einer 3D-Animation begutachten oder gar virtuell anprobieren.Die Geschwindigkeit, mit der sich Schweizer Web-Shops verändern, ist beeindruckend. Ob führender Detailhändler oder kleiner Nischenanbieter: Wer im E-Commerce finanziell erfolgreich sein will, muss regelmässig neuste Web-Erkenntnisse adaptieren. Kaum eine Homepage eines Online-Händlers sieht noch gleich aus wie vor fünf Jahren. Doch welche Neuerungen verheissen Erfolg oder sind bloss Dekoration? MK hat einige Experten nach den aktuellsten Erkenntnissen gefragt.Einig sind sich die Experten darüber, dass sich die Innova­tionskraft Schweizer Web-Shops nicht gross von jener ausländischer E-Commerce-Player unterscheidet. Viel eher zeigen sich in der Schweiz Unterschiede je nach Branche. «Beim Handel und bei Markenherstellern bewegen sich die Innovationsbemühungen in Richtung einer Omni-Channel-Präsenz», sagt Sascha Bader, Senior Consultant bei Unic. Die Kanalintegration werde derzeit bei vielen Unternehmen grossgeschrieben: «Sie investieren immer mehr in Strategien, bei denen die Kanäle On- und Offline effizient und gewinnbringend ineinander verzahnt werden. Das Bedürfnis nach Consulting in diesem Bereich steigt seit einiger Zeit merklich an.» Gleichzeitig würden die gleichen Unternehmen auch in den Aufbau einer Omni-Channel-Organisation investieren, um sich für die nahe Zukunft zu rüsten.Zusätzlicher ContentDie Bemühungen, die Bereiche Commerce, Content und Communities stärker zu verschmelzen, verfolgt Bader schon seit einigen Jahren: «Diese Formel kann gewinnbringend sein. Zusätzlicher Content, User-generated Content und Produktbewertungen können zur Verkaufssteigerung und Kundenbindung beitragen. Gute Konzepte sind jedoch der Grundstein für den Erfolg.» So müsste etwa die Anreicherung mit Dritt- oder Zusatzinformationen spezifisch für das jeweilige Unternehmen ausgearbeitet werden. «Von einer solchen Verschmelzung können nicht nur Anbieter von Konsumgütern profitieren, auch bei beratungsintensiven Produkten können solche Konzepte einen Wettbewerbsvorteil bringen», findet Bader.Olivier Kofler, CEO von iBrows, ortet derzeit zahlreiche Innovationen bei Schweizer Web-Shops: «Mooris.ch etwa setzt erfolgreich auf Content-Marketing. Eine Geschichte wird rund um die Produkte erzählt und dabei können die Produkte indirekt ins­zeniert werden.» Test aufs Exempel: Auf Mooris.ch führt der zufällige Klick auf ein Bett-Tablett. Hier wird munter und süffig getextet, so heisst es: «Damit das Zmorge im Bett nicht im krümeligen Chaos endet, ist das Bett-Tablett ein kluges Ding. Und ein schlicht schön gestaltetes obendrein! Aus hellem Gummibaumholz gefertigt mit seitlichen Griffen, damit das Frühstück sicher im Bett ankommt.» Unspektakulär mag der Text klingen, aber doch einiges lebhafter als eine altbackene Produktbeschreibung.Wie im Beispiel Ex LibrisEinen anderen Trend nennt Kofler «Mass Customer Customization»: «Das sind Produktkonfiguratoren, die einem Benutzer helfen, das passende Produkt für sich zu finden. Der User muss nicht das Produkt suchen, sondern das Produkt sucht den User.» Weiter verweist er auf Same-Day-Delivery, «kurze Lieferzeiten werden in Zukunft immer wichtiger und massgeblich den Kaufentscheid von einem User beeinflussen». Ebenso wichtig sei Multi-Channel-Delivery: «Die Lieferung kann wahlweise etwa an den Arbeitsplatz, nach Hause oder in eine Filiale vor Ort bestellt und dort abgeholt werden, wie im Beispiel Ex Libris.» Und zudem ortet Olivier Kofler bei der Customer Journey Neuerungen: «Der Web-Shop wird immer öfters kanalübergreifend eingesetzt. Zum Beispiel weiss der PKZ-Verkäufer im Laden, was der Benutzer tags zuvor im Onlineshop eingekauft hat und welche Kleidergrösse er hat.» Der Verkäufer könne den Kunden dadurch umfassend beraten und zielgerichtet auf seine Bedürfnisse eingehen.«Derzeit wird verstärkt in Cross-Channel-Konzepte inves­tiert, um die stationären Verkaufspunkte optimal mit den Onlineauftritten zu verzahnen», sagt Thomas Lang vom E-Commerce-Beratungsunternehmen Carpathia. «Was anfänglich immer sehr einfach aussieht, entpuppt sich in vielen Fällen aber als komplex. Stolpersteine sind inkompatible Prozesse, fehlende Daten und keine Echtzeitanbindungen.» Zudem seien tief greifende organisatorische Veränderungen nötig, damit diese Verzahnung für den Kunden spürbar werde. «Auch in den Bereichen Produktbebilderung, Videos und Texte passiert aktuell sehr viel», stellt Lang fest. Ebenso verweist er auf die exponentiellen Mobile-Zuwachsraten: «Kein Händler kann sich leisten, nicht auch auf mobilen Endgeräten ein adäquates Angebot zu präsentieren.» Auf die Verschmelzung von Content, Community und Commerce angesprochen, bestätigt Thomas Lang: «Diese Formel ist eminent wichtig. Es gibt in der Schweiz einige interessante Beispiele wie www.fischen.ch oder www.reitsport.ch, die ebenfalls auf dieses Konzept setzen. Es geht darum, über Kompetenz zu verkaufen und nicht das Produkt in den unmittelbaren Vordergrund zu stellen, sondern den Kunden zu überzeugen.»Markenhersteller als VorreiterUnd Felix Kaiser, Senior Principal Consultant E-Commerce bei Namics, sagt zur CCC-Kombination: «Sie wird wichtiger, zumindest die Kombination aus Erlebnis und Transaktion.» Beim Blick auf die einzelnen Branchen sagt er: «Während etwa Heimelektronik vor allem über den Preis verkauft wird und somit weder die Marge für das Schaffen für Erlebnisse ausreicht noch die Erwartung da ist, wird hochwertige Outdoor-Fashion sicher dann erfolgreicher verkauft, wenn die Qualität der Produkte und der damit verbundenen Na­turerlebnisse hochwertig kommuniziert wird.» Markenhersteller und margenhohe Branchen seien deswegen hier auch Vorreiter.«Wer längerfristig online Erfolg haben will, muss dem Kunden neben dem klassischen ‹Web-Shop› einen Mehrwert bieten können», sagt Olivier Kofler – zum Beispiel Weinshops mit einer Wein-Community oder Shared-Weinkeller. Fancy.com sei in diesem Bereich sicherlich einer der führenden weltweiten Anbieter. Dynamic Pricing hingegen werde im Vergleich zum Ausland erst zögerlich eingesetzt. Auch Felix Kaiser gibt sich hierzu zurückhaltend: «Die Kreativität in diesem Bereich steigt: Aufwendigere Analysen und erweiterte Möglichkeiten der Shop-Software lassen immer neue Promotionen zu. Generell sind im Schweizer Markt unserer Erfahrung nach aber nur einzelne Teilnehmer überhaupt in der Lage, Dynamic Pricing für sich zu nutzen.» Die Einführung gehe eher langsam voran.Konkurrenz als Treiber«Ein Dynamic Pricing Model hilft grundsätzlich Unternehmen, die mit festen Angebotsstrukturen arbeiten und diese nicht beliebig skalieren können», führt Sascha Bader aus. So werde zum Beispiel im Bereich der Fluggesellschaften und der Hotellerie schon seit Längerem Yield-Management betrieben: In hochfrequentierten Betriebszeiten werden die Preise angehoben, in schlechteren Betriebszeiten die Angebote gesenkt. «Jedoch wird diese Entwicklung in der Regel nicht durch Tech­nologie vorangetrieben. Vielmehr sind der steigende Preisdruck und die zunehmende Konkurrenz, oft aus dem Ausland, der treibende Faktor», sagt Bader.Dynamic Pricing sei ein Hype und noch nicht wirklich mehrheitsfähig, findet Thomas Lang: «Hier muss man unterscheiden, ob man Dynamic Pricing aufgrund des Verhaltens der Mitbewerber oder individuell auf den Kunden zugeschnitten macht. Bei Letzterem sind Buchungsplattformen im Reisebereich relativ weit. Bei den Schweizer Onlineshops dürfte das bei den meisten noch nicht über die Experimentierphase hinaus sein.» Ebenfalls nicht zu unterschätzen sei der Trend, Produkte zu visualisieren, ob mit 3D-Darstellungen oder virtuellen Anproben. «Händler verfolgen ja zwei Ziele damit. Zum einen natürlich, die Produkte ins ‹optimale Licht› zu setzen und zu präsentieren. Aber nicht minder wichtig in der Produktvisualisierung ist, Fehlkäufe zu verhindern», sagt Lang. Denn je besser ein Kunde das Produkt kenne, desto weniger werde er bei der Lieferung enttäuscht sein. Und kleiner sei dann die Chance, dass Retouren anfallen.3D, eine SpielereiGrundsätzlich seien Visualisierungen für die E-Commerce-Entwicklung sehr wichtig. Sascha Bader sagt aber: «Vorsicht ist geboten. Viele Produkte sind oft nicht ausgereift und bringen dem Nutzer nicht einen wirklichen Mehrwert, sondern sind eine Spielerei. Es ist zu beachten, dass Funktionalitäten, die ihre Aufgabe nicht erfüllen, den Nutzer verärgern und ein schlechtes Image auf den jeweiligen E-Shop werfen.» Bader empfiehlt, die Evaluation und den Einsatz von neuen Funktionalitäten behutsam zu analysieren.«Dank den neuen techni­schen Möglichkeiten können Produkte besser dargestellt und ins­zeniert werden», ist sich auch Kofler bewusst. Dies könne helfen, den Kaufentscheid des Users positiv zu beeinflussen. «Wichtig dabei ist aber, dass es keine reine Spielerei ist, sondern dem Kunden einen Mehrwert bietet und ihn bei der Kaufentscheidung wirklich unterstützt.»Auf Bedürfnisse konfiguriertUnd nach weiteren Trends befragt, sagt Kofler: «Kaufentscheidungen werden in Zukunft immer mehr und mehr online beeinflusst. Darum ist es für den stationären Handel auch wichtig, online präsent zu sein.» Als gutes Beispiel nennt er die Automobilindustrie. «Fahrzeuge werden vom Kunden mittlerweile oft zu Hause aus ausgesucht und für seine Bedürfnisse konfiguriert. Des Weiteren ist der Kunde dann beim Verkaufsgespräch besser als der Verkäufer selber über das entsprechende Modell informiert. Der Verkäufer hat somit nur noch bedingte Chancen, den Kaufentscheid zu beeinflussen.»Und Thomas Lang geht davon aus, dass im E-Commerce weiterhin viele Innovationen angesagt sind. «Eine sehr interessante Entwicklung derzeit ist, wie man das Online-Know-how – etwa Bilder, Texte, Videos, aber auch Empfehlungen, Rezensionen, Kommentare und Bewertungen – in anderen Kanälen nutzen kann. Sei es im Verkaufsgespräch im Aussendienst, wo man Verkäufer mit ‹Schwarm-Intelligenz› unterstützen kann, oder ganz einfach am POS, wo das besser erfasste und analysierte Kaufverhalten auch für einen besseren Abverkauf genutzt werden kann.» Die Ideen für erfolgreichen E-Commerce sind zahlreich. Nun muss nur noch die Kasse klingeln.Autor: Gregor Waser

Weitere Artikel zum Thema