«Es zählt nicht nur der Preis, sondern auch die Convenience»

E-COMMERCE Der elektronische Handel stellt die Schweizer Unternehmen vor grosse Herausforderungen. Im Interview mit MK erklärt der E-Business-Experte Ralf Wölfle von der FHNW, wieso es für die Akteure schwierig ist, sich auf dem Markt zu behaupten und welche Rolle die Logistik dabei spielt. Prof. Ralf Wölfle leitet den Kompetenzschwerpunkt E-Business an der Hochschule für Wirtschaft, FHNW.MK Der […]

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Prof. Ralf Wölfle leitet den Kompetenzschwerpunkt E-Business an der Hochschule für Wirtschaft, FHNW.MK Der von Ihnen realisierte E-Commerce-Report Schweiz beleuchtet die Entwicklung des B2C-E-Commerce aus Sicht der Schweizer Anbieter und wurde 2014 bereits zum sechsten Mal durchgeführt. Was sind die wichtigsten Erkenntnisse in diesem Jahr?RALF WÖLFLE E-Commerce bleibt sehr anspruchsvoll. Selbst die bes­ten und erfahrensten Schweizer Player haben es noch nicht «geschafft» – geschafft in dem Sinne, dass sie eine stabile und auf einige Jahre zufriedenstellend kalkulierbare Marktposition erreicht hätten.Der Wettbewerbsdruck steigt ebenso schnell wie der Online-Anteil am Gesamtmarkt: Kapitalstarke ausländische Wettbewerber, Multi- und Cross-Channel-Initiativen, direkt vertreibende Marken­anbieter und immer wieder auch innovative Start-ups wollen am immer noch anhaltenden Wachstum des E-Commerce teilhaben.Wir haben die aktuelle Situa­tion mit dem Begriff «Expedition zum vernetzten Kunden» zusammengefasst. «Expedition» steht für die Unwägbarkeiten, denen sich die Anbieter weiterhin stellen müssen, ausserdem für die Entschlossenheit der Akteure. DasZiel, der vernetzte Kunde, ist dabei selbst in Bewegung: Konsumenten werden immer kompetenter im Umgang mit digitalen Medien, ihre Gewohnheiten und Erwartungen sind im Fluss.MK Wie weit ist die Schweiz im Bereich E-Commerce im Vergleich zum Ausland?WÖLFLE In meinen Augen ist die Schweiz ein sehr gut entwickeltes E-Commerce-Land – insbesondere in Anbetracht der hohen Ladendichte, die den Konsumenten sehr viele komfortable Einkaufsalternativen bietet. Die Unternehmen im Studienpanel sind sehr kundenorientiert und arbeiten kontinuierlich an Leis­tungsverbesserungen.Nicht in allen, aber in vielen Branchen wird der Benchmark allerdings von ausländischen Anbietern gesetzt. Die bekannten Namen spielen in einer anderen Liga: Ein aus der Schweiz heraus operierendes Unternehmen kann nicht ansatzweise eine vergleichbare Einkaufsmacht aufbauen wie ein in der EU ansässiger Anbieter – er ist schon deshalb im Ausland nicht wettbewerbsfähig. Der Schweizer Markt allein bietet aber zu wenig Volumen, um mit den sehr hohen Investitionen multinationaler Player mithalten zu können. Deswegen wäre eine Zalando-Story aus der Schweiz heraus nicht möglich: Die Fantasien, die stark expansionsorientierten Online-Anbietern scheinbar unbegrenztes Investitionskapital zuführen, kommen hierzulande nicht auf.MK Wo liegen aktuell die grössten Herausforderungen für Schweizer E-Commerce-Anbieter?WÖLFLE Die Konkurrenz mit internationalen Anbietern, die von einer Kapitalschwemme getragen werden, gehört in der Medien-, Mode- und Reisebranche zu den grossen Herausforderungen. Die Kosten für Traffic, also den Zugang zu Kunden, sind für viele Anbieter ein heikler Punkt. Ganz grundsätzlich sind aber alle Anbieter von der Fülle neuer Handelsformen betroffen, denn diese alle konkurrieren ja um ein stagnierendes Ausgabenbudget der Konsumenten. Die Möglichkeiten der vernetzten Welt bringen weiterhin Innovationen hervor, so­dass Kunden ihre Einkaufsgewohnheiten immer wieder ändern. Das schafft Gewinner, aber eben auch Verlierer.MK Welche Rolle spielt die Logis­tik für E-Commerce-Anbieter und was sind die Trends in diesem Bereich?WÖLFLE In der Schweiz haben wir einen ausgeprägten Leistungswettbewerb: Hier zählt nicht nur der Preis, sondern auch die Convenience, die Passgenauigkeit des Angebots zur jeweiligen Kaufsituation. Dabei spielt die Logistik eine wichtige Rolle, sie trägt unmittelbar zum Kundenerlebnis bei. Unter den Online-Anbietern ist ein regelrechtes Wettrüsten in der E-Commerce-Logistik zu beob­achten. Höhere Warenverfügbarkeit, kürzere Lieferzeiten, mehr Auswahl an Übergabemöglichkeiten und Flexibilität sind die Stichworte. Wer Next-Day-Delivery anbieten kann, hält damit auch einen Trumpf im Wettbewerb mit ausländischen Konkurrenten.MK Immer mehr Menschen gehen mit ihrem Smartphone oder Tablet online. Was bedeutet dies für die E-Commerce-Anbieter?WÖLFLE Die Verlagerung von Traf­fic auf mobile Endgeräte ist in den letzten 18 Monaten geradezu explodiert. Schweizer sind sehr mo­bile-affin, insbesondere iPhone- und iPad-Nutzer zeigen dabei auch eine hohe Kaufbereitschaft. Für die E-Commerce-Anbieter bedeutet das erhebliche Investitionen in mobile-taugliche Webplattformen und eine Aus­einandersetzung mit den gerätespezifischen Einkaufsgewohnheiten. Apps haben nicht mehr die gleiche Bedeutung wie vor fünf Jahren.MK Was sind die wichtigsten Trends für die Zukunft im Bereich E-Commerce?WÖLFLE Die laufenden Trends zu einer immer grösseren Vielfalt an Endgeräten und zu kanalübergreifenden Verkaufskonzepten halten an und werden uns noch einige Jahre beschäftigen. Informationen zum aktuellen Standort des Nutzers werden dabei an Bedeutung gewinnen, Mobile wird von Vielen als Brücke von Online zu Offline angesehen. Zu den grossen Herausforderungen zählt dabei die kanalübergreifende Identifikation der Kunden. Das Hot Topic in diesem Zusammenhang ist die Digital Wallet, deren Potenzial weit über Bezahlfunktionen hinausgehen könnte.

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