Digitalisierung zwischen Hype und Realität

DIGITAL Christoph Oggenfuss* hat im Rahmen der Beitragsserie «Digital – nicht trivial» sechs Gespräche mit Exponenten aus Wirtschaft und Forschung zu den Herausforderungen der digitalen Transformation von Unternehmen geführt. Nun fasst er die wichtigsten Erkenntnisse zusammen. Die zunehmende Digitalisierung stellt Unternehmen vor viele Herausforderungen.In der Gruppe der Gesprächspartner waren zwei Professoren, zwei CEO‘s von IT-Firmen […]

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Die zunehmende Digitalisierung stellt Unternehmen vor viele Herausforderungen.In der Gruppe der Gesprächspartner waren zwei Professoren, zwei CEO‘s von IT-Firmen und zwei Geschäftsleitungsmitglieder aus der Finanzindustrie. Bei allen Personen war erkennbar, dass das Thema als absolut aktuell und relevant beurteilt wird, bezüglich der Zugänge für die Konkretisierung und Umsetzung waren aber sehr wohl Unterschiede erkennbar.Mit diesem Beitrag will ich die Schlüsselerkenntnisse aus den anregenden Gesprächen darstellen und einige Auffälligkeiten herausarbeiten. Auf Grund des grossen Zuspruchs für diese Themenstellung wird diese Gesprächsserie in der zweiten Jahreshälfte mit weiteren Exponenten weitergeführt.Was bedeutet für Sie «Digitalisierung von Unternehmen»?Digitalisierung und die damit zusammenhängende Technologie wird als geschäftsunterstützendes Hilfsmittel und auch als Katalysator verstanden. Aus Unternehmenssicht muss Digitalisierung individuell interpretiert werden – der Königsweg führt über die Beantwortung der Frage: «Welche Art und welches Mass der Digitalisierung stärkt die eigene Wettbewerbsposition nachhaltig?»Mit der Digitalisierung sind untrennbar Kundeninformationen verbunden und damit die die „Permission“-Frage auf clevere Art und Weise zu lösen. An einem Beispiel sehr schön veranschaulicht – je mehr Informationen der Kunden Preis gibt, desto tiefer sein Zugang zu Services über das Kundenportal. In den Gesprächen wird auch betont, dass Daten zu einer geschäftskritischen strategischen Ressource werden und dementsprechend auch der Umgang damit entsprechend zu Organisieren ist.Zudem wird deutlich, dass nicht die Technik die zentrale Herausforderung darstellt sondern die Akzeptanz und der Umgang der Mitarbeitenden damit. Somit ruft die digitale Transformation auch ganz klar nach begleitenden Change-Management Massnahmen. Und zudem wird angefügt, dass mit digital auch grenzenlos gemeint ist – mit allen Implikationen.Wie stark ist Digitalisierung Hype oder Realität?Die Digitalisierung hat sich in den letzten 15 Jahren fast unbemerkt in unserem Leben und im Alltag breit gemacht und somit ist es schon gelebte Realität. Zunehmend liegen Daten und Informationen in digitaler Form vor, was uns den Umgang damit deutlich vereinfacht. Die digitalen Medien stehen mittlerweile im Zentrum unserer Gesellschaft und sind zur Selbstverständlichkeit geworden.Der Moment der Nicht-Verfügbarkeit bringt uns diese Tatsache am deutlichsten vor Augen. Eine gewisse Hype-Ausprägung ist darin zu sehen, dass es übersteigerte Erwartungen gibt, was mit Technologien als «Wunderwaffen» alles möglich sein wird. Diesem Punkt stehen aber glücklicherweise Wertvorstellungen und Akzeptanzfragen gegenüber. Auch in der digitalisierten Welt behält der Mensch die Oberhand und das ist gut so.Etwas komplexer wird es damit, wenn wir in das Feld M2M eindringen – das Internet der Dinge. Dort steht ja der Mensch dann neben an oder aussen vor…Gewisse Branchen wie z.B. die Automobilindustrie geben auf diesem Gebiet aber tüchtig Gas.Welches sind die zentralen Treiber für die Digitalisierung?Der Wettbewerb ist definitiv ein zentraler Treiber und zudem wird die Beziehung zwischen Kunde und Unternehmung durch die Digitalisierung neu definiert. Dass im Rahmen dieser Neudefinition dem Kunden noch mehr «Power» zukommt ist ein Faktum. Weil mit der Digitalisierung auch Eintrittsschwellen für neue Anbieter massiv reduziert werden erhöht sich dadurch der Wettbewerbsdruck spürbar.Interessanterweise kommen diese Wettbewerber aus branchennahen oder auch branchenfremden Gebieten. Als weiterer Treiber wird die kraft der Vernetzung gesehen; Vernetzung von Geräten, Menschen bzw. gruppen von Menschen. Das wiederum erlaubt Skalierungsmöglichkeiten mit denen z.B. kritische Masse viel schneller und zu deutlich tieferen Kosten erreicht werden kann. Dass mit solchen Hebeln klassische Geschäftsmodelle buchstäblich „ausgehebelt“ werden können wurde in den letzten Jahren mehrfach bewiesen – der Case KODAK-Instagram kann hier stellvertretend erwähnt werden.Als weitere Treiber werden Kostensenkungspotential z.B. mit dem Einsatz von Cloud-Lösungen erwähnt oder aber die Beschleunigung von Geschäftsprozessen durch das Ausschalten von Medienbrüchen erwähnt. Und die immer smarter werdenden Endgeräte tragen ebenfalls ihren Teil zur Digitalisierungsentwicklung bei.Chancen und Risiken der Digitalisierung?Ein gewisses Risiko ist darin zu sehen, dass «Digital-Projekte» zum schwarzen Loch werden, wo sehr viel Geld reinfliesst und der Nutzen schwer fassbar ist oder aber, dass Digitalisierung zu einseitig quantitativ interpretiert wird und damit qualitative Aspekte ausgeblendet werden. Die aktuelle Gesetzgebung deckt die Verbraucher- und Datenschutzbelange zu wenig ab und damit entsteht Rechtsunsicherheit. Aus einer singulären Sicht des Managements ist durch die «Sozialisierung» vieler Unternehmensbelange mit Kontrollverlust zu rechnen und damit ist die Führungselite bezüglich eigenem Changemanagement gefordert.Nach Ansicht meiner Gesprächspartner überwiegt aber die Chancenseite klar – kostengünstige Erschliessung neuer Märkte, Ansprache neuer (Social-) Zielgruppen, Erhöhung der Kundenbindung, effektiverer Ressourceneinsatz, Innovationsschub im Bereich von Geschäftsmodellen. Somit kann hier festgestellt werden, dass das Feld der Opportunitäten weit offen ist und stetig wächst. Die heute nicht genutzte Chance kann aber über Nacht zur akuten Bedrohung werden. Die Digitalisierung fordert vom Management ein sehr hohes Mass an Aufmerksamkeit und Agilität.Wo liegen die speziellen Herausforderungen?Wenn sich das Geschäftsmodell verändert ist auch die Budgetallokation anzupassen – ist sich z.B. das Marketing dieser Dynamik bewusst? Welche Kompetenzen und Skills sind im «neuen» Marketing gefordert, wenn es nicht mehr um Bekanntheit sondern um Konversion geht? Wie muss die Personalrekrutierungs-Politik grundsätzlich angepasst werden, damit auch die richtigen «Attitudes» (Haltungen, Einstellungen) rechtzeitig an Bord kommen? Sind die Kommunikationsnetze den Volumenzunahmen gewachsen und wer finanziert diese Netze inskünftig? Wie wird das Total Quality Management Denken der Achzigerjahre auf das Thema Qualitäts-Content übertragen?Die Key Takeaways1. Schlüsselfrage: Welche Art und welches Mass der Digitalisierung stärkt die eigene Wettbewerbsposition nachhaltig?2. (Kunden-)Daten werden zur geschäftskritischen strategischen Ressource.3. Die Digitalisierung ist real – die digitalen Medien stehen im Zentrum unserer Gesellschaft und sind Selbstverständlichkeit.4. Mit der Digitalisierung sinken die Eintrittsbarrieren – der Wettbewerb verschärft sich deutlich.5. Die Führungselite ist mit Kontrollverlust konfrontiert und muss ich selbst mit Change-Management beschäftigen.6. Das „neue“ Marketing braucht neue Fähigkeiten – Marketing und Informatik im kollaborativen Modus!Ich freue mich schon auf die zweite Runde der Fachgespräche mit Wirtschaftsexponenten nach den Sommerferien – der hohe Veränderungstakt der Digitalisierung wird bis dann bereits schon wieder spannende Themen und Diskurse liefern.

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