Kramers sieben Gebote für die Epoche «Post-Corona»

Der Chief Experience Ambassador von Adobe Julian A. Kramer denkt beruflich über die Zukunft nach. Nun noch mehr als sonst. Das sind seine sieben Gebote für die Epoche «Post-Corona».

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In einer Krise lernen wir oftmals mehr über uns und unsere Umwelt als mit den besten Ambitionen in geregelten Zeiten. Es ist derzeit schwer, gute Ratschläge zu geben, denn nicht jeder mag den Kopf oder die Chancen dazu haben. Falls Sie sich aber zu den Glücklichen zählen, möchte ich hier mit Ihnen ein paar Thesen zu unserem Neuanfang teilen. Und, nein, «Gebote» im strengen Sinn sind das natürlich nicht (diese boulevardeske Überschrift verdanke ich den Redaktoren von m&k), aber ich könnte mir vorstellen, dass sie ähnlich viel Orientierung bieten können.

1. Werte

Schätzt die DNA der Dinge.

Es klingt wie eine Floskel – und ist doch so wahr: Gerade jetzt erkennen wir, was uns wirklich wichtig ist.

Die Digitalisierung lehrt uns bei genauerer Betrachtung, den Wert und die DNA der analogen Dinge zu erkennen. Gerade jetzt verstärkt: Es geht nicht um gut oder schlecht, sondern den Unterschied: Vierzig Millionen Songs in der App und trotzdem wünschen wir uns ein Live-Konzert, ein Erlebnis der menschlichen Verbindung. Bauen wir geschäftliche Beziehungen über «Alibi-Meetings» oder machen wir ein paar VCs und treffen uns dann einfach gezielt zum Essen? Mein Aufruf: Lasst uns die DNA der Dinge erkennen und wertschätzen!

2. Digitalisierung

Es darf keine anti-digitale Sturheit mehr geben.

Was lange nur als nette Alternative zum Büroalltag galt, findet seinen Platz im «New Normal»: Digital ist überall.

Home Office, remote work, vernetztes, flexibles Arbeiten: Seit einigen Wochen geht es. Die Tools waren da, die Kultur drumherum entwickelt sich rasend – Stichwort «Video Call Etiquette». Wer digital und remote arbeiten kann, darf und tut es. Wer keine Lösungen findet, hat nur eine Alternative: ganz zuzusperren. Sicherlich geht vieles aktuell mit Reibungsverlusten einher – aber wir werden sehr genau testen können, wie produktiv wir in «New Normal» sind. Ja, wir freuen uns schon jetzt wieder, unsere Kollegen im Büro zu sehen. Aber der lange Kampf der veränderungsfeindlichen Sturheit, aus Gewohnheit, aus Angst vor Kontrollverlust, aus Misstrauen den Angestellten gegenüber, der ist für immer verloren. Lasst uns jetzt darüber reden, wie wir das Beste aus beiden Welten in Zukunft zusammenbringen.

3. Kontinuität

Neue Sicherheitsnetze müssen her.

Weil wir manches nicht mehr so tun können, wie wir es gewohnt sind, müssen wir Kontinuität neu etablieren.

Wenn die alten Wege, die Messen, die Geschäftsreisen und Laufkundschaft erodieren, können wir digitale Sicherheitsnetze spannen: E-Commerce, digitale Dokumente, Kommunikationstools und personalisierte Kundeninteraktion helfen uns, unsere Geschäfte offen zu halten. Für unsere Kunden, aber auch für unsere Mitarbeiter, denen Automatisierung und skalierbare Cloud-Services unter die Arme greifen. Die Tools sind seit wenigen Jahren auch für den Mittelstand verfügbar, sicher und ohne Infrastrukturkosten «remote» einsetzbar und so immer auf dem neuesten Stand. Lasst uns jetzt eine nachhaltigere, resilientere Wirtschaftswelt aufbauen. Sie ist schon lange überfällig.

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4. Privatsphäre

Datenschutz und Sicherheit sind euer Lackmustest. Besteht ihn.

Mit der DSGVO wurde ein Rahmen geschaffen, der die Kunden schützt. Das sollte uns nicht lästig sein, sondern uns die oberste Maxime allen Handelns verdeutlichen: Transparenz.

Datenschutz und Sicherheit werden für Unternehmen zum Lackmustest. Ein neuerdings populärer Videokonferenzanbieter fand sich im Suchscheinwerfer der internationalen Tech-Presse: Er hatte die einfache Nutzung priorisiert (grundsätzlich löblich), dabei aber Abkürzungen genommen, die aus Datenschutz- und IT-Sicherheitsgründen höchst bedenklich waren. Ob dies verzeihbare Fehler eines Start-ups waren – oder ob ein börsennotiertes Unternehmen absichtlich so agiert hat – ist an anderer Stelle zu diskutieren.

Für Unternehmen heisst das aber konkret: Die DSGVO hat für Europa einen Rahmen geschaffen, der die Verbraucher schützt. Durch das «Internet of Things» werden in Zukunft noch mehr Daten erhebbar sein. Datensparsamkeit und vertrauensvolle Datenverarbeitung erfordern von Unternehmen, sowohl intern die Datensilos zu konsolidieren als auch bei ihren Dienstleistern auf «Privacy by Design» zu achten. Lasst uns jetzt zweimal hinschauen: Vertrauen und Privatsphäre sind langfristige Themen.

5. Unmittelbarkeit

Seid dem Kunden wirklich nah – und tut nicht nur so!

Wer Liebe und Fürsorge gibt – und diese nicht nur als Business-Modell oder Strategie sieht – dem wird von den Kunden garantiert mit gleicher Münze zurückgezahlt.

Was haben Restaurants, die auf Instagram Gutscheine verkaufen; DJs, die gegen Spenden in Streams auflegen, und das Ende von Third Party-Cookies gemeinsam? Zukünftig mehr denn je basieren Kundenbeziehungen auf positiven Kundenerlebnissen, Vertrauen und gegenseitiger Wertschätzung. Kunden sind bereit, «ihre Marken» auch in Krisen über Wasser zu halten, wenn sie sich respektvoll behandelt fühlen. Wer seine Kunden versteht, ihnen die bestmögliche Customer Experience bietet, sich Vertrauen erarbeitet und seine Customer Journey optimiert, wird mit einer 1,7-fachen Retention belohnt. Lasst uns jetzt die Erlebnisse gestalten, an denen wir uns nach der Krise messen lassen müssen.

6. Kreativität

Krisen wie Corona passieren (gottlob) selten. Also nutzt sie voll aus.

Die Krisen-Katalyse ist in vollem Gang und was gestern noch unmöglich schien, wird zur Selbstverständlichkeit. Die Zeit ist – jetzt!

Der Stanford-Ökonom Paul Romer sagte einmal: «A crisis is a terrible thing to waste.» Was zynisch klingt, beschreibt doch zwei Dinge: eine neue Realität und die endlos faszinierende Resilienz unserer menschlichen Kreativität. Wer hätteg edacht, dass der Versand von Kochboxen Börsenkurse beflügelt – oder einem hoffnungslosen Fall wie mir, in Kombination mit YouTube, das Kochen beibringt? Dass eine Bank in der Lage ist, mit digitalen Formularen mehr Softorthilfeanträge zu bearbeiten als zuvor in den Filialen, und das auch noch schneller
zu tun? Dass ein Kamerahersteller alle Käufe in seinem Online-Shop direkt an seine lokalen Franchisepartner und Händler durchreicht, um ihr Geschäft digital zu stützen, wo sie es selber nicht können?

In der Krise gilt die Idee endlich wieder mehr als das Bedenken! Und Ideen kommen von überall her. Lasst uns als Führungspersönlichkeiten jetzt lernen, jedem gut zuzuhören. Lasst uns ab jetzt alle Ideen mutig vortragen! Gleichzeitig sollten wir denen, die mit gutem Beispiel vorangehen, den Künstlern, Visionären und Media-Creators, unseren Respekt zollen. Wir sollten sie unterstützen, damit sie uns weiterhin anregen können, «out of the box» zu denken.

7. Abenteuer

Schnallt euch an und geniesst die Fahrt, so gut und oft ihr könnt.

Wer das, was schon da ist, und das, was noch kommt, einfach abwarten will, der muss lange warten. Daher: Geniesst die Zeit, so gut ihr könnt!

Wir sind – wie selten auf einer kollektiven Reise – gezwungen, uns mit den Veränderungen auseinanderzusetzen. Abwarten geht diesmal nicht. Alle unsere Entscheidungen werden momentan auf der Basis von Daten und der Wissenschaft getroffen – für unsere Gesellschaft ein Novum!

Verschiedene Länder üben sich in revolutionären Gedankenspielen: Grundeinkommen, universelle Krankenversicherungen … und selbst in Europa wird überlegt, in welchen Situationen das freiwillige, zweckgebundene und temporäre Teilen von Daten wie beispielsweise Bewegungsprofilen oder anonymisierten Gesundheitsdaten eventuell sogar gut für die gesamte Gesellschaft ist. Wir werden unser Leben lang nicht vergessen, was momentan geschieht. Wir können es nicht verhindern, nicht den Kopf in den Sand stecken – aber lasst uns an der Einstellung, mit der wir der Krise begegnen, arbeiten. Wir alle haben jetzt nämlich die Chance und vielleicht auch die Zeit, uns über die grossen Fragen Gedanken zu machen. Wiederzuentdecken und wertzuschätzen, was uns wirklich bereichert, und wie erfüllend es sein kann, Probleme zu lösen, Neues auszuprobieren, einfach mal wieder ein Buch zu lesen. Klar ist: Es wird weitergehen. Passt auf euch auf, bleibt gesund und – das letzte Gebot für heute – seid selbst der Wandel, den ihr sehen wollt.

Über den Autor

* Julian A. Kramer ist Chief Experience Ambassador EMEA von Adobe. Für das Unternehmen reist er um die ganze Welt (oder wählt sich seit Corona in Video-Townhalls ein), um mit Marketeers über die Zukunft zu sprechen. In seiner Freizeit pflegt Kramer ein kreatives Hobby: Er fotografiert und stellt aus, zuletzt das Innenleben geparkter Autos als KfZ-Psychogramm ihrer Besitzer.

Dieser Gastbeitrag erschien zuerst in der Ausgabe 4/5 2020 von m&k.

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