«Innenansichten und Annahmen sind die schlechtesten Bausteine für ein digitales Produkt»

Oliver Stäcker fragt mit seinem Unternehmen danach, was Kunden wirklich wollen - sowohl auf der Produkt- als auch auf der Erlebnisseite. Er stellt fest: Viele Firmen müssen diesbezüglich noch dazulernen. Im Interview mit m&k erklärt er, wieso.

Oliver Stäcker

m&k: Oliver Stäcker – wenn man zum Angebot Ihres Unternehmens recherchiert, stösst man auf drei Buzzwords: «Research based Design», «Mobile Experience» und «Usability». Können Sie einem Laien in jeweils einem Satz erklären, was hinter diesen Begriffen steckt?

Oliver Stäcker: Sie alle beinhalten Methoden und Vorgehensweisen, die uns einen Kundenauftrag konsequent durch die Endanwenderbrille betrachten lassen. «Research based Design» ist der Grundtreiber von allen dreien und stellt sicher, dass jede Konzeption oder jedes Design auf wissenschaftlich erforschten Endanwender-Bedürfnissen oder PainPoints beruht. Die bekannteste Methodik, die wir unter diesem Begriff anwenden, ist die Methodik des Service Designs. Im Bereich «Mobile Experience» kombinieren wir den mobilen Nutzungskontext, das Kundenbedürfnis und mobile Technologien. Damit bauen wir Erlebnisse für den mobilen Kanal. Das können Apps sein oder Mobile Marketing Kampagnen. Es steht immer das Erlebnis im Zentrum. «Usability» ist das Fallbeil. Ist Sie schlecht – ist die beste Produktidee zum Scheitern verurteilt. Die wichtigsten Methoden, die wir in diesem Bereich einsetzen, sind qualitative und quantitative Usability Testings mit echten Kunden.

 

All diese Themen interferieren mit dem Marketing. Spannend ist nun, aufzuschlüsseln, inwiefern sie das tun. Fangen wir mit dem «Research based Design» an – das Produkte oder Prozesse radikal vom Kunden her denkt. Sollte das für Unternehmen nicht eigentlich selbstverständlich sein?

Das ist korrekt, das sollte es. Mit Research based Design verhindern wir beispielsweise, dass bestehende Inhalte oder Services eines Unternehmens ohne zu hinterfragen auf einen neuen Touchpoint adaptiert werden. Nur weil man als Unternehmen genau weiss, wer die Zielgruppe ist oder man allenfalls sogar ein hübsches Set an Personas hat, bedeutet das ja noch nicht, dass man danach automatisch aus der Kundenperspektive heraus handeln kann. Digitale Marketingprodukte sind «Zubringer» zum eigentlichen Service eines Unternehmens. Das heisst, man muss sämtliche Faktoren beider Elemente beleuchten. Auch den Nutzungskontext. Nehmen wir beispielsweise eine App für eine Tankstelle. Das Kundenbedürfnis für den eigentlichen Service – die Tankstelle – ist tanken. Das lässt sich jedoch schlecht auf einer App abbilden. Trotzdem möchte das Unternehmen den Mobile Kanal ins Spiel bringen. Also gilt es herauszufinden, welche Bedürfnisse und Herausforderungen der Kunde im Zusammenhang mit der Nutzung der Tankstelle grundsätzlich hat.

Mit den richtigen Werkzeugen kann ich sehr schnell die PainPoints des Kunden im Zusammenhang mit dem eigentlichen Service herauszufinden und diese mit einem «Zubringer-Touchpoint» wie beispielsweise einer App lösen. Das Resultat ist dann ein Marketingprodukt mit Mehrwert, welches auch die Unternehmeswünsche berücksichtigt.

Research based Design stellt also mit methodischen Vorgehensweisen sicher, dass eine Marketinglösung konsequent das Kundenbedürfnis ins Zentrum stellt. Es kann durchaus vorkommen, das man am Ende der ersten Forschungsphase mit der Erkenntnis dasteht, dass der geplante Touchpoint – beispielsweise Mobile – an sich gar keinen Mehrwert bringt. Dank der methodischen Vorgehensweise kann man dies dann aber auch mit Fakten belegen und das Projekt im schlimmsten Fall frühzeitig stoppen oder abändern.

 

Mitunter lancieren Firmen Produkte oder Services mit grossem Enthusiasmus, nur um dann damit zu scheitern. Hat das damit zu tun, dass sie zu sehr von ihren eigenen Möglichkeiten her denken – und weniger von den Wünschen der Kunden aus agieren?

Genau. Innenansichten und Annahmen sind die schlechtesten Bausteine für ein digitales Produkt. Wenn Ihnen das Management eine App-Idee mit dem Satz «Wäre es nicht toll, wenn unsere Kunden eine App hätten, die …» vorstellt, sollten sofort die Alarmglocken bimmeln. Denn diese Produktidee basiert erstmal auf einer Hypothese. Ein erfolgreiches Produkt – egal ob B2C oder B2B – sollte immer auf einem sorgfältig erforschten Kundenbedürfnis oder einem Kunden-PainPoint basieren. Solche wichtigen Informationen erhalte ich vom Kunden aber nur im Rahmen von gut vorbereiteten Interviews und durch Beobachtungen. In der Regel resultiert daraus eine Liste mit höchstens drei deckungsgleichen Angaben. Das bedeutet, dass man daraus relativ einfach ein Produkt bauen kann, das allenfalls mit nur einer einzigen Funktion den wichtigsten PainPoint des Kunden löst und so einen grossen Mehrwert generiert. Wir beobachten oft, das Unternehmen teure Produkte mit irrsinnig vielen Funktionen und Inhalten lancieren. Beim genaueren Betrachten merkt man dann, dass dies so ist, damit  «mit Sicherheit für jeden irgendetwas dabei ist». Das kostet nicht nur mehr Geld, sondern ist auch schwieriger zu vermarkten. Weil man nämlich keine klare Aussage zum Mehrwert machen kann. Kurzum: Produkte die einen «erfundenen» Mehrwert haben, sind sehr schnell zum Scheitern verurteilt.

Oliver Stäcker

Können Sie ganz simpel skizzieren, wie Sie beim «Research based Design» vorgehen? Welche Methodik, welche Tools wenden Sie an?

Lassen Sie mich das anhand der Methodik Service Design skizzieren. Service Design wird als Methodik eingesetzt um neue Dienstleistungskonzepte zu erstellen. Wichtigste Ausgangslage ist: man hat kein klares Ziel oder eine Produkte-Vision vor Augen, sondern lässt sich konsequent von erforschten Nutzer-Phänomenen leiten.
Die erste und wichtigste Phase ist die Datenerhebung. In dieser quantitativ gestützten «Learn» Phase werden mit den potenziellen Kunden halbstandardisierte Interviews und Beobachtungen durchgeführt. In den transkribierten Interviews wird nach deckungsgleichen Phänomenen gesucht, welche dann nach Themen sortiert festgehalten werden. In dieser Liste sind später eine Handvoll PainPoints und Herausforderungen zu finden. Ein weiteres wichtiges Tool ist in der «Analyse» Phase unser Value Proposition Canvas. Anhand diesem können wir erste hypothetische Lösungen für die Punkte aus der Liste erstellen. Nun geht es darum, heraus zu finden, ob die Lösungsansätze in die richtige Richtung gehen. Dazu werden die Dienstleistungskonzepte mit ganz rudimentäre Prototypen umgesetzt. Anhand dieser (Papier)-Prototypen können anhand User Tests bereits erste Rückmeldungen von Kunden eingeholt werden. Zusammenfassend ist die Vorgehensweise: Lernen, analysieren, Hypothesen aufstellen, Testen. Die Tools: Interviewleitfaden, Axiale Codierungssoftware, Value Proposition Canvas, Prototyping und User Testing.

 

Auch im Bereich «Mobile Experience» sind Sie tätig. Dass das Handy einer der Marketing-Touchpoints schlechthin ist, ist klar – aber welche Trends gibt es in dem Bereich aktuell?

In den vergangenen Jahren standen im Mobile-Bereich immer wieder neue Technologien im Vordergrund. QR-Code, Beacon, Chatbots, Voice, NFC und so weiter. Es sind über die Jahre viele Testballons gestiegen. Doch kein Trend hat wirklich den heiligen Gral ins Marketing getragen und sich als Eierlegende Wollmilchsau entpuppt. Das ist nicht verwunderlich, denn eine Technologie losgelöst von der Experience ist nicht erfolgsversprechend. Einhergehend mit dem allgemeinen Markt-Fokus auf die Customer Journey, ist zurzeit auf dem Handy der wichtigste Trend das Erlebnis. Technologien sind mittlerweile zweitrangig. Aber die Frage, wie man diese richtig kombiniert ist zentral geworden. Wir sind in der glücklichen Lage, dass wir uns in den letzten Jahren ausgiebig mit all diesen Technologien auseinandergesetzt haben, aber keine zu unserem Businessmodell haben werden lassen. So kennen wir jeden Vorteil beziehungsweise Nachteil dieser Technologien und können bestens auf die Herausforderungen rund um den Trend «Mobile Experience» reagieren.

 

Schliesslich die dritte Kompetenz Ihres Unternehmens: «Usability». Hand aufs Herz – warum sind viele Webseiten oder Apps auch heute noch so mangelhaft gestaltet?

Wenn man sich mal so richtig den Tag versauen möchte, sollte man sich einfach mal ein paar Stunden durch die Rezensionen im Appstore lesen. Da wird unbeschönigt Rückmeldung zur schlechten Usability gegeben. Ich glaube der Grund für dafür, weshalb auch heute noch viele digitale Touchpoints nicht benutzerfreundlich gestaltet sind, ist die Innenansicht aus dem Blickwinkel des Designers oder des Product Owners. Nur weil es schön aussieht, muss es noch lange nicht benutzerfreundlich sein. Man darf auch bei der Usability niemals die Kundenperspektive ausser acht lassen. Bei der Beurteilung des Design bzw. der finalen Usability hat eigentlich nur einer das Sagen. Und das ist der User. Wenn ich also für mein Produkt eine gute Usability möchte, komme ich um User Testing und Usability Analysen nicht herum. Aktuell führen übrigens nur gerade 55 Prozent der Unternehmen Usability Testing für Ihre Produkte durch. Den Mehraufwand, den man während der Konzeptionsphase durch Usability Testing auf sich nimmt, macht sich nach dem GoingLive x-fach bezahlt. Denn die Behebung eines Problems in der Entwicklung kostet zehnmal so viel wie die Behebung des Problems im Design, und 100-mal so viel, wenn man versucht, das Problem in einem bereits veröffentlichten Produkt zu beheben.

 

Wenn Menschen auf einer Webseite oder in einer App nicht das finden, was sie suchen: Wie viel Geduld haben sie, zu recherchieren? Und wann brechen sie den Vorgang ab?

Der Geduldsfaden des Users ist gemäss Forschungen genau neun Sekunden lang. Wird innerhalb dieser Zeit nicht annähernd das Gewünschte angezeigt – ist der User weg. Die Seitenaufenthaltsdauer kann übrigens mit Usability Testing perfekt analysiert und gesteigert werden.

 

Welche Fehler erleben Sie im Bereich Usability am häufigsten?

In einer Umfrage geben 46 Prozent der Online-Käufer als Grund für das Verlassen einer Website an, nicht sagen zu können, was das Unternehmen genau tut. Sprich sie finden schlicht die Kontaktinformationen nicht. Oder bei den Design-Elementen wird die Vermischung von sogenannten «User Pattern» oft gesehen. Also wenn beispielsweise ein Designelement im selben Look – innerhalb der App plötzlich eine andere Aufgabe übernimmt. Oder wenn dem User auf einer Page gleich vier verschiedene Call to Actions angeboten werden. Das sind jetzt nur kleine Usability Fehler, die man relativ schnell beheben kann. Was aber leider auch oft vorkommt und eigentlich ein riesen Fehler ist, ist wenn die Usability Menschen mit einer Einschränkung nicht berücksichtigt. Usability Testings mit Menschen mit Einschränkungen sind übrigens enorm inspirierend und jeweils eine Bereicherung für alle anwesenden Personen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass ich das bereits ein paarmal miterleben durfte.

Oliver Stäcker

Viele Unternehmen scheuen einen Usability-Audit. Diese Prozesse sind oft langwierig, komplex und teuer. Ihnen ist während des Corona-Lockdowns aber etwas eingefallen, um die Hemmschwelle zu senken, richtig?

Ja das ist richtig. Sie sprechen unser neues Angebot das «Usability-Level-Agreement» an. Usability Testing im Abo-Modell. Bei diesem Produkt geht es allerdings nicht nur darum etwas günstiger zu machen, sondern auch darum wie man die Usability eines Produktes nachhaltig und langfristig auf hohem Niveau halten kann. In der Regel wird vor einem geplanten Relaunch einmalig eine Monster-Analyse in Auftrag gegeben. Die vorliegenden Erkenntnisse und Userfeedbacks fliessen danach in ein völlig neues Design mit einer komplett anderen User Experience. Das Budget ist danach aufgebraucht aber die Webseite eigentlich bereits wieder voll mit Hypothesen. Eine punktuelle Nachbearbeitung oder Beobachtung könnte in so einem Fall verhindern, dass das selbe Projekt nach ein bis zwei Jahren erneut eine grosse Summe für eine erneute Optimierung verschlingt.

Wir spielten schon länger mit dem Gedanken die Testprozesse zu vereinfachen und somit die Hürde für ein regelmässiges Usability Monitoring tiefer zu legen. Dass wir uns dann aber intensiver mit der Thematik auseinander gesetzt haben, ist einem Meeting mit einem mittelgrossen KMUs zu verdanken, in welchem die unbeliebte Diskussion über die hohen Kosten aufgekommen ist. Als wir dann in den letzten Wochen auch noch beobachtet haben, wie stark eine Situation wie der Lockdown die Veränderung des Nutzerverhaltens beschleunigen kann, war für uns klar, dass wir unsere Pläne so rasch wie möglich in die Tat umsetzen mussten.

 

Weshalb braucht es eine kontinuierliche Beobachtung der Usability. Klingt das nicht ein wenig nach Verkaufsargument für eine permanente Beratungsleistung?

Die COVID-Lockdown Situation hat deutlich gemacht, wie schnell und drastisch sich Nutzergewohnheiten verändern können. Einerseits wurden innert weniger Wochen neue Tools adaptiert, während bestehende Anwendungen auf der anderen Seite teilweise plötzlich als umständlich empfunden wurden. Die Erkenntnis, dass die Usability digitaler Touchpoints ein rasch vergängliches Gut ist, ist nun hoffentlich bei jedem Product Owner und Marketing Manager angekommen. Die logische Konsequenz daraus ist also das permanente Pflegen, Beobachten und Anpassen der Usability. Für Grossunternehmen mit vielen internen UX Ressourcen ist dies kein Problem. Doch KMUs, welche ihre Software, Apps oder Webseiten extern auf Projektbasis entwickeln lassen, haben ein solches Szenario nicht mit einberechnet. Unser Service-Abo macht dies in der Budgetierung kalkulierbar und transparent.

 

Wie muss ich mir das Usability Testing Abo genau vorstellen?

Unser Usability Level Agreement kombiniert verschiedene quantitative und qualitative User Testing Methoden und Test-Intervalle miteinander und bündelt diese zu einem Abo-Modell in vier verschiedenen Leistungsvarianten. Im Grunde genommen ist es die logische und notwenige Ergänzung zu einem SLA (Service Level Agreement) wie es bei Apps, Webseiten oder Softwareanwendungen zum Einsatz kommt.

Während das SLA dafür sorgt, dass die Software immer up to Date ist und der Code gepflegt wird, ist das User Level Agreement dafür verantwortlich, dass die Usability einer Anwendung auf dem höchsten Niveau bleibt und sich den Veränderungen des Nutzerverhaltens laufend anpassen kann. Unsere Kunden erhalten auf diesem Weg eine transparente und kalkulierbare UX-Begleitung und stetige Usability-Steigerung Ihrer Touchpoints. Je nach Abo-Version erhält man jährlich bis zu 650 einzelne Testresultate. Einen besseren Weg das Nutzerverhalten auf regelmässiger Basis im Auge zu behalten kann ich mir nicht vorstellen.

 

Sehen Sie Abo-Angebote wie Ihr neues Produkt als Modell, das sich auch in andere Bereiche digitaler Dienstleistungen ausweiten lässt?

Nun – es hat einiges an Hirnschmalz und Excel-Formeln gekostet, bis wir die Leistungsvarianten berechnet hatten. Von diesem Standpunkt aus könnten wir nun sogar ein Buchungssystem bis auf interne Ressourcen und Tools hinunter gebrochen online stellen, bei dem sich Kunden ihr monatliches «Package» schnüren könnten. Ja, ich kann mir das Abo-Modell durchaus skalierbar auf andere digitale Dienstleistungen vorstellen. Schlussendlich wäre der Einsatz von Dienstleistungs-Abos eine Win-Win Situation. Ich als Unternehmer kann meine internen Ressourcen und Tools mittelfristig planen und der Auftraggeber auf der anderen Seite erhält die volle Transparenz und Kalkulierbarkeit für seine Ausgaben. Wir haben zwar noch nichts weiteres angedacht, sollte sich jetzt hier ein Leser für diese Form der Zusammenarbeit begeistern, freue ich mich auf einen Austausch.

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