Wie das Ökosystem der digitalen Werbung ohne Cookies revolutionieren wird

Das Abschaffen von Cookies wird zur Folge haben, dass die gesamte digitale Werbewirtschaft in den nächsten zwei Jahren eine beispiellose (R)Evolution erleben wird. Wie sieht es zu Beginn des Jahres 2020 mit den Cookies aus? Wie wird das Online-Marketing ohne sie organisiert werden? Wie wird die von Google vorgeschlagene Alternative aussehen? Pierre Berendes von Gamned! zeigt: Ein neues wirtschaftliches Paradigma entsteht!

cookies

Cookies machen eine schwierige Phase durch. Sie sind seit fünf Jahren das Ziel von Verfechtern der öffentlichen Freiheit im Internet. Eine Situation, die den grossen Firmen der Online-Industrie – den berühmten GAFAs (Google, Apple, Facebook, Amazon) – zugutekommt, da sie diese im Gegenzug von ihren Browser verbannen. Google hat es Mitte Januar angekündigt: innerhalb von zwei Jahren wird es keine Cookies mehr auf Chrome geben. Aber Firefox und Safari haben die gleichen Vorkehrungen bereits in den Jahren 2013 und 2017 getroffen. Welche neuen Szenarien können sich dann für die Online-Werbebranche und für die Verbraucher ergeben?

Zuerst ein paar Fakten: Beim Surfen im Web zeichnen Cookies mehrere Informationen auf, um dem Nutzer die Navigation zu erleichtern. Es gibt Session-Cookies, die verschwinden, wenn der Browser geschlossen wird, permanente Cookies, die dem Nutzer ermöglichen, die erneute Eingabe des Logins und Passworts zu vermeiden; und schliesslich die berühmten Third Party Cookies. Letztere sind heutzutage am zahlreichsten … und am stärksten den bevorstehenden Änderungen und der Online-Werbenutzung ausgesetzt.

Heute werden wahrscheinlich mehrere hundert Cookies auf jedem Computer gespeichert. Sie kommen von Medien-Anbietern, Adservern, sozialen Netzwerken, programmatischen Werbeplattformen wie DSPs, Ad Verification, Ad Safety, Attribution, Retargeters, Profis im Bereich Contextual Targeting, und so weiter… Ohne Third Party Cookies werden Internetnutzer anonym und für Werbe-Distributions-Tools nicht mehr gezielt erreichbar. Sie sind daher für Marketingfachleute unverzichtbar, da sie dazu dienen, Daten zu vergleichen, auszutauschen und zu monetarisieren.

 

Eröffnung der Jagd auf Third Party Cookies

Die Situation konnte nicht andauern. Third Party Cookies müssen aus dem Ökosystem verschwinden. Google hat es am 15. Januar lautstark angekündigt und nimmt sich zwei Jahre Zeit, um die Cookies aus seinem Browser (Chrome) zu entfernen, welcher wohlgemerkt einen Marktanteil von 65 Prozent hat. Google tritt nur in die Fussstapfen der anderen Browser, die als erste in diese Richtung gegangen sind. Bereits 2013 begann Mozilla damit, Cookies von Dritten auf Firefox zu blockieren. Die neueste Firefox-Version zeigt den Nutzern an, wie viele Tracker sie auf einer Website verfolgen. Und das Beste daran ist, dass es über seine ETP-Technologie (Enhanced Tracking Protection) Third Party Cookies automatisch deaktiviert. Das sind mehr als 10 Milliarden Cookies pro Tag oder 175 täglich pro Nutzer.

Auch andere Browser haben ihre Tools zum Schutz der Nutzer verstärkt. Im Jahr 2017 veröffentlichte Apple seine Intelligent Tracking Prevention (ITP). Seitdem sind Cookies 24 Stunden nach dem Besuch einer Website zur «persona non grata» geworden. Und die sogenannten «permanenten» Cookies werden nach sieben Tagen entsorgt. Nicht einfach, selbst für Facebook, der die Conversions seiner Werbekunden in einem 28-Tage-Fenster aufzeichnet, oder für Google Analytics, der diese bis zu zwei Jahre im Browser behält. Seit kurzem gibt Safari keine Einzelheiten mehr über die URLs der besuchten Websites weiter.

Die Folge: Es ist unmöglich, einen Internetnutzer gezielt anzusprechen. Aber die Internetnutzer sollten sich nicht irren lassen: Dieses programmierte Verschwinden von Third Party Cookies bedeutet nicht das Verschwinden von Werbung – ganz im Gegenteil. Diese anhaltende Ausrottung stärkt die dominante Stellung der GAFAs. Sie saugen Daten auf und schliessen nach und nach die Tracking-Streams von Dritten. Praktisch, um ihre dominante Position zu etablieren und die Internetnutzer besser in ihrem Ökosystem einzusperren.

Werden die Verbraucher bei dieser Änderung die Gewinner sein? Unwahrscheinlich: Cookies werden zugunsten der Privatsphäre geopfert, aber sie werden durch proprietäre Plattformen ersetzt, die viel undurchsichtiger sein werden. Es wird eine zusätzliche Ebene zu einem bereits komplexen Ökosystem von Werbetechnologien entstehen, um Targeting-Funktion zu ermöglichen, die den Third Party Cookies sehr ähnlich sind.

 

Google Chrome sperrt die Türen

Welche Folgen wird das Fehlen von Third Party Cookies auf Chrome für die Players des digitalen Werbe-Ökosystems haben? Das Retargeting, das in hohem Masse von diesen Cookies abhängt, wird sofort beeinträchtigt. Einschränkungen für Third Party Cookies werden auch die Synchronisierung von DSPs und DMPs verhindern. Die unabhängigen Attributionsanbieter werden massgeblich darunter leiden. Dadurch, dass es den Nutzern erleichtert wird, Third Party Cookies zu löschen oder zu blockieren, werden viele Anbieter neue Lösungen finden oder riskieren müssen, zu verschwinden.

Aber was wird Google tatsächlich tun? Google wird sich zwei Jahre Zeit nehmen, um Chrome von diesen parasitären Cookies zu säubern. Es ist absehbar, dass viele Initiativen ins Leben gerufen werden, die die gängigen Cookie-Technologien ersetzen sollen. Eine Bewegung, die Google begleiten, wenn nicht sogar zu orchestrieren gedenkt. Mit dem Projekt von API, Privacy Sandbox, einem offenen Standard, der es den Verlagen auch weiterhin ermöglichen wird, ihre Websites zu monetarisieren, ist Google bereits einen Schritt voraus. Erst an dem Tag, an dem diese Alternative in Kraft treten wird, werden die Cookies verschwinden; vorher nicht. Die ersten Informationen, die herausgefiltert wurden, sind für unabhängige Anbieter und Marketingexperten nicht positiv: Ein Exit ist für DMPs, Multipoint Attribution, Third Party Daten oder Post-View-Tracking absehbar. Aber es wird weiterhin möglich sein, durch Verfolgung von Klicks Conversions zu messen. Gezieltes Targeting wird ebenfalls schwieriger werden.

Wenn ein Cookie niemandem gehört, wird die proprietäre Lösung von Google, die Cookies ersetzt, sicherlich auf das interne Ökosystem von Google zurückgreifen. Google benötigt ausserdem keine Cookies für sein Tracking, da es bereits auf den meisten Websites Google-Code-Teile gibt. Wer also, ausser der GAFA, wird auf diese privilegierten Daten – die sogenannten «First Party»-Daten – zugreifen? Die Verleger. Sie sind diejenigen, die das Ruder übernehmen werden. Aber vorher muss ihnen Zeit gegeben werden, um ein tragfähiges Geschäftsmodell zu etablieren, sonst könnte das Ökosystem kaputt gehen.

Andererseits muss Google darauf achten, dass es nicht die Antitrust-Gesetze umgeht, die sie bereits mehrere Milliarden von Dollar an Geldbussen gekostet hat. Eine komplexe Gleichung, die es zu lösen gilt. Die zwei Jahre, die Google sich selbst gegeben hat, werden nicht zu viel sein, um dies zu tun!

 

Eine Regulierung, welche die GAFA begünstigt

Facebook, Amazon und Google sind nicht betroffen. Warum nicht? Ihre Werbesysteme basieren auf permanenten, proprietären Cookies, die für die Nutzung ihrer Dienste durch die Nutzer erforderlich sind. Die notwendige Zustimmung der Nutzer wird de facto automatisch und ohne Streuverluste eingeholt. Dadurch wird dieses Dreierbund, das bereits fast 75 Prozent der Werbeeinnahmen in Europa erzielt, seine Position stärken. Die unabhängigen Anbieter, die sich für ein offenes Internet einsetzen, werden den Preis dafür bezahlen müssen. Die GDPR hat die Verwendung von Cookies von Dritten bereits erheblich reduziert. Sie hat die GAFAs damit gestärkt, da diese eine direkte Beziehung zu den Verbrauchern haben. Die Daten werden nicht mehr aus ihren «geschlossenen Gärten» (Walled Gardens) herauskommen.

Schön paradox, wenn wir bedenken, dass der Zweck dieser Regelungen darin besteht, die Dominanz amerikanischer, technologischer Plattformen zu begrenzen und gleichzeitig die Privatsphäre der Verbraucher zu schützen. Durch die Abschaffung des Cookies werden Google, Amazon und Facebook noch leistungsfähiger.

Es scheint kein Zweifel daran zu bestehen, dass die wahrscheinliche Abschaffung der Third Party Cookies kurzfristig zu geringeren programmatischen Einnahmen führen wird. Um den zukünftigen Wert des Werbeinventars unter diesem aufkommenden Paradigma zu beurteilen, muss ein Medienanbieter lediglich die Leistung seiner Audience auf Safari messen, also dort wo die Third Party Cookies bereits fehlen. Der Preis wird durch einen Faktor zwischen 2 und 3 geteilt. Eine Google-Studie sieht einen Rückgang von 62 Prozent vor. In jedem Fall wird es eine Menge an verlorenen Einnahmen sein.

 

Das Aufkommen von proprietären Cookies

Für Medienanbieter besteht eine echte Chance, mehr Wert aus ihren Besucherdaten zu ziehen. Das Verschwinden der Third Party Cookies bedeutet, dass Marken und Verlage näher an die Verbraucher herankommen müssen. Deshalb sollten sie nach und nach ihre proprietären Identifikatoren einsetzen. Je kleiner der Herausgeber, desto mehr sind sie auf Third Party Cookies angewiesen. Ohne Third Party Cookies werden sich diese kleinen Verlage in Zukunft in Zusammenschlüsse von proprietären Cookie-Konsortien integrieren oder an einheitliche Authentifizierungslösungen anpassen müssen. Dies geschieht bereits mit dem einheitlichen Login, dass sich Tamedia, Admeira, CH Media und NZZ in der Schweiz, die ID-Allianz in Deutschland, das Projekt Nonio in Portugal und die zukünftige PassMedia von Geste in Frankreich teilen. Die Kehrseite der Medaille ist, dass es vorgeschrieben wird, sich bei jedem Anbieter mindestens einmal im Monat identifizieren zu müssen. Die gute Nachricht ist, dass durch das Verschwinden von Cookies die Beziehung zwischen Verlegern und ihrer Leserschaft über Abonnements und Verhaltensdaten viel wertvoller wird.

Langfristig wird das proprietäre Cookie den Verlegern die erwarteten Vorteile bieten und ihnen ermöglichen, ihre Monetarisierung sowohl im Rahmen der Abonnements als auch bei der Werbung effizient zu kontrollieren. Es ist an der Zeit, dass alle unabhängigen Player zusammenkommen, um eine einzige, unabhängige Lösung als Ausgleich zu den GAFAs anzustreben.

 

Der Schlüssel für die Zukunft: Zustimmung, nicht Daten

Der Dokumentarfilm auf Netflix, «The Great Hack» über den Cambridge-Analytica-Skandal, war für viele aufschlussreich. Das Ende der Cookies führt zu einer Neuordnung des digitalen Marketing-Ökosystems, einschliesslich der Art und Weise, wie Marken mit Kunden interagieren. Das neue «schwarze Gold» sind nicht länger Daten, sondern die Zustimmung der Nutzer.

Das Eigentum der Nutzerdaten der Marken ist bereits tot, auch wenn wir es vielleicht noch nicht ganz erkannt haben. In der heutigen Welt der Third Party Cookies ist die Datenerfassung im Wesentlichen unsichtbar. Die Nutzer surfen, während die Cookies ihre Aktivitäten hinter den Kulissen verfolgen. Heute haben wir Daten, aber nicht die tatsächliche Zustimmung der Nutzer. Von nun an wird dies das neue Gesetz sein: ohne Zustimmung keine Daten! Nein, das ist nicht das Ende, sondern nur der Anfang einer neuen Geschichte.

* Pierre Berendes ist Managing Director bei Gamned!

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