Bye Bye Google Plus

Ein Nachruf auf Google Plus und was Unternehmen aus dem Scheitern lernen können. Ein Gastbeitrag von Dirk Unger, Gründer und Leiter Kreation von Campfire, und Julia Fehér, Content Producerin bei Campfire.

Bereits im Oktober 2018 hat Google bekannt gegeben, dass Google Plus im August 2019 aufgrund eines Datenlecks, das 500’000 Benutzer betraf, geschlossen wird. Jetzt schliesst Google Plus seine Schranken jedoch noch früher als geplant. Nach einer erneuten und deutlich gravierenderen Datenpanne, die 2018 bekannt wurde, wird die Plattform bereits Anfang April 2019 eingestellt.

Der Fehler, durch den App-Entwickler auf Namen, E-Mail-Adresse sowie Informationen über Beschäftigung, Geschlecht und Alter von Nutzern zugreifen konnten, sei im März 2018 entdeckt und umgehend behoben worden. Die Lücke bestand aber bereits seit 2015 und betraf private Daten von Mil­lionen Nutzern. Ein unverzeihlicher Skandal.

Google Plus war schon lange klinisch tot und die offizielle Entscheidung zur Schliessung kommt nicht wirklich überraschend — der Produktefriedhof des Mutterhauses Google wächst.

Wenn ein so grosses Unternehmen scheitert, kann man daneben stehen und schadenfroh lachen — wir nehmen uns lieber die Zeit, um aus den Fehlern von Google zu lernen.

Zu wenig Klarheit und fehlender Fokus

Von Anfang an fragten sich viele, ob wir wirklich noch eine Plattform brauchen, um Banalitäten zu teilen. Entsprechend viele Blog-Beiträge mit Titeln wie: «Was ist Google+ und muss ich da mitmachen?» kursierten im Netz und sollten uns Antworten geben.

Oberflächlich betrachtet konkurrierte Google Plus mit Facebook, Twitter und vielen anderen mehr oder minder populären Plattformen. Der eigentliche Sinn von Google Plus war eine Art soziale Schicht, die eine Verbindung zwischen einem Grossteil der Google Produkte schaffte. So verknüpfte Google zum Beispiel die Anzeige von Firmen in den Suchergebnissen mit Fotos, Routenplan, Öffnungszeiten und Erfahrungsberichten, die es von den Unternehmensseiten auf Google Plus nahm.

Im August 2011 erklärte Googles damaliger CEO Eric Schmidt, Google Plus sei kein soziales Netzwerk, sondern ein «Identity Service»: «…G+ was built primarily as an identity service, so fundamentally, it depends on people using their real names […] The internet would be better if we knew you were a real person rather than a dog or a fake person. Some people are just evil and we should be able to ID them and rank them downward.»

Google Plus war insofern der Versuch eines Online Ökosystems, das Passwörter innerhalb des Google Universums erübrigt und hilft, Personen besser zu identifizieren und Inhalte zu verifizieren.

Dass niemand den eigentlich Sinn und Zweck von Google+ verstanden hat, liegt an der falschen und unklaren Kommunikation von Google selber und führte zu gähnender Leere im Feed.

Learning: Kommuniziere klar, wofür dein Produkt oder deine Plattform steht — je einfacher desto besser.

Eine unberechenbare Gefahr auf Kosten der Nutzer

Nach Snowden, NSA, Cambridge Analytica und DSGVO wurde die Identifizierung und Anreicherung von privaten Daten in Profilen zu einem zunehmend kritischen Unterfangen.

Der Guardian hatte bereits im Juni 2013, auf Basis von durch Edward Snowden von der NSA geklauten Top Secret Dokumenten, über Datenlecks berichtet. Diese Umstände gepaart mit dem Ende der Finanzierung der NSTIC (National Strategy for Trusted Identities in Cyberspace) im Jahr 2015 brachten das Ende von Google Plus als «Identity Service».

Nach der gravierenden Datenpanne in 2015, die offiziell aber erst 2018 entdeckt und behoben wurde und bei der private Infos von 53 Mil­lionen Nutzern betroffen waren, war Google am Ende gezwungen, den Service komplett einzustellen.

Learning: Die Daten und Datensicherheit deiner Kunden sind das höchste Gut. Mach deine Website DSGVO-konform und kommuniziere transparent, wie du mit Kundendaten umgehst und wozu du sie brauchst. Deine Kunden geben dir ihre privatesten Daten nur preis, weil sie dir ihr Vertrauen schenken — missbrauche es nicht! 

Zu wenig User — zu wenig Inhalte

Als offizielle Begründung zur finalen Schliessung sagte Google schlicht: «…it was not worth the effort, considering the meager use of the product.»

Dabei war der Anfang so vielversprechend: 88 Tage nach der Veröffentlichung im Juni 2011 zählte Google Plus bereits 40 Millionen registrierte Nutzer. 2017 netzwerkten schon über 3 Milliarden Profile weltweit auf der Plattform.

400 Millionen aktive Nutzer verzeichnete die Plattform 2018 (Vergleich aktive Nutzer: Facebook 2 Milliarden, Instagram 800 Millionen, Twitter 300 Millionen) — darunter nicht nur Privatpersonen, sondern auch viele Unternehmen.

90 Prozent der Interaktionen dauerten dabei aber weniger als fünf Sekunden, erklärte Google. Ein Verhalten, das wir nur zu sehr nachvollziehen können. Das Absetzen eines SEO-trächtigen Posts und ein kurzer Check, ob was läuft — mit der schnellen Erkenntnis, dass immer noch Stille herrscht — dauert eben nicht länger als ein paar Sekunden.

Dabei war die positive Auswirkung von Shares, Bewertungen und Posts auf das Ranking in der Google Suche für viele — und zugegebenermassen auch für uns — der einzige Grund, um Google Plus zu nutzen.

Social networking? Fehl am Platz — dafür gibt es doch Facebook!

Damit ist Google Plus als soziale Plattform ganz klar in die uns allen nur zu bekannte «Huhn oder Ei» Problematik geraten: ohne Nutzer keine Inhalte — ohne Inhalte keinen Nutzer.

Learning: Fokussiere dich und die Funktionen deines Angebots auf das, was deinen Usern echte Hilfe und Mehrwert bietet.

Zu wenig Innovation

Wieso schafft es eine Plattform wie Snapchat von 0 auf 100 ins Rampenlicht und dann auch noch, sich als eine der beliebtesten Social Media Plattformen zu etablieren?

Eine mögliche Antwort ist ständige Innovation und damit konstante Investition. 

An Investitionen hat es Google Plus aufgrund seines Mutterhauses wohl nicht gefehlt. An Innovation mangelte es hingegen sehr. In seiner Lebensdauer von acht Jahren kamen keine nennenswerte Innovationen hinzu — aufgrund der Datensicherheitsprobleme wurden sogar immer häufiger neue Features wie Google Authorship schnell wieder gelöscht.

Auch der menschliche Touch fehlte: Ein «Like» war bei Google Plus einfach ein «+», neben Posts und Gruppen gab es keine nennenswerten Features. Die Folge: Langeweile bei den Usern, die sich lieber auf innovativen und belebten Plattformen wie Facebook und Instagram tummeln.

Der Erfolg einer Plattform steht und fällt mit der ständigen Innovation und Weiterentwicklung. Der Prozess, eine grossartige Plattform oder Website zu entwickeln, ist nie abgeschlossen, da sich die Interessen und Bedürfnisse der Nutzer stetig verändern. Google Plus ist genau hier stehen geblieben und hat zugesehen, wie andere Plattformen mit Hochgeschwindigkeit an ihm vorbei zogen. 

Learning: Sei innovativ und passe dein Produkt oder deine Plattform kontinuierlich den Bedürfnissen deiner Zielgruppe an. Die Konkurrenz schläft nie und wird dir jeden deiner Kunden stehlen, den du nicht aktiv an dich bindest.

Etwas bleibt

Unter dem Namen «Project Strobe» wird die Konsumentenversion von Google Plus abgeschaltet. «We are shutting down Google+ for consumers. […] Google+ is better suited as an enterprise product where co-workers can engage in internal discussions on a secure corporate social network.» (Offizielle Meldung von Google).

Unter Takeout.google.com kann die Handvoll aktiver Google Plus Nutzer ihre Daten herunterladen. Für die Unternehmens-Kommunikation bleibt Google Plus weiterhin bestehen. Unternehmens-Konten können intern über Google Plus kommunizieren und Informationen teilen. Ob das Angebot von Firmen nach dem grossen Vertrauensbruch genutzt wird, bleibt abzuwarten.

Goodbye, Google Plus!

Jetzt heisst es also Abschied nehmen, von dem Sozialen Netzwerk, das eigentlich nie eines war. Eine handvoll User und Medienhäuser werden Google Plus sicher vermissen und müssen ihre Content- und News-Strategie überarbeiten. Bei der ansonsten geringen Engagement Rate von Google Plus werden insgesamt aber wohl nur wenige Menschen den Verlust überhaupt bemerken. Ohne eine klare Vision von Zweck und Richtung dümpelte Google Plus vor sich hin und konnte sich nie richtig etablieren. Ein Fehler, von dem wir alle lernen können.

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Die Autoren: Dirk Unger, Gründer und Leiter Kreation der Bieler Digitalagentur Campfire, und Julia Fehér, Content Producerin bei Campfire.

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