Von Frauengold zu Feierabendbier

Das Editorial aus der Werbewoche 8/2018 von Redaktorin Nora Dämpfle.

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Ehrlich? Eine Frauenausgabe? Müssen wir wirklich? Ja, müssen wir. Leider. Okay, die Zeiten, in denen man uns Frauen «Frauengold»* verkaufen wollte, damit wir dem Chef nicht an die Gurgel gehen, dem gereizten Ehemann seine Laune durch eine Horizontaleinlage glattbügeln und «lebensfroh und stark» – und leicht angeschickert – durch unser Hausfrauen- und Sekretärinnen-Dasein hüpften, die sind glücklicherweise lange vorbei. Auch die Zeiten, in denen wir wegen einer neuen Waschmaschine in ekstatische Zustände verfielen oder Mann uns nur etwas Zigarettenrauch ins Gesicht zu pusten brauchte, um uns gefügig zu machen.

Wenn wir heute die Darstellung von Frauen in der Werbung kritisieren (müssen), geht es oft nicht mehr um offensichtlichen Sexismus. Wir sprechen über das, was sich kommunikativ zwischen den Zeilen tummelt: die Frau, die immer noch gerne im Genussmittelbereich (Kindermilchschnitte ersetzt Frauengold), im Haushalts- und Kinderequipment-Sektor oder als schmückendes Beiwerk auftaucht. Der seriöse Bankberater beispielsweise ist auch 2018 häufig Krawatten- und Sakkoträger. Ausser es geht um Gender-Themen – jeeeh, da dürfen wir ran!

Natürlich finden sich heute in der Werbung wie im Leben ganz andere Frauenbilder. Vorbilder jenseits von Rollenklischees. Und dennoch: «Tritt in den Spots aus dem Jahr 1996 noch gut jede zweite Frau lasziv lächelnd, sich räkelnd oder verführerisch hauchend auf, beträgt der Anteil 2016 noch 30 Prozent», dieser Satz stammt aus einer Studie (S. 6) von 2017, die letztlich zu dieser «Frauenausgabe» geführt hat. Hey, lassen Sie uns darauf anstossen, dass sich nur noch ein Drittel aller Frauen in Fernsehspots räkelt, lächelt oder verführerisch haucht und darüber vergisst, «Karriere» zu machen. Sie merken schon, irgendwie nerven mich diese Themen. Nein, eigentlich nicht die Themen, mehr die Tatsache, dass immer noch Redebedarf – und vor allem Bedarf, zu handeln – besteht. Immer noch spielt Geschlecht eine Rolle, wo es keine Rolle spielen sollte.

Talent, Können, Leidenschaft und Begeisterung sind individuelle Attribute, die nicht durch X- oder Y-Chromosomen gesteuert werden. Wissen wir alle, oder? Und trotzdem sind wir noch nicht in der Situation, dass diese «Frauenthemen», korrekter «Gesellschaftsthemen», keine mehr wären.

Noch preisen Frauen Waschmittel an, zaubern mit Hilfe irgendeines mit E-Nummern gespickten Pülverchens «öppis Feins zum Zmittag» – im engen Fitnessdress, aber selbstverständlich mit intaktem Make-up und ohne ein Tröpfchen Schweiss. Oder stöckeln abends auf 10-Zentimeter-Absätzen in die Küche – Kostümchen, Samtlächeln, dynamisch. Papiertüten mit obligatorischer Lauchstange im einen Arm. Auf dem anderen ein lächelndes, sauberes Kleinkind. Alles dank einem bestimmten Deo. WTF! Meine persönliche Version dieser Situation hier visuell darzustellen, erspare ich Ihnen.

Ist die Werbung einfach nur ein Spiegel der Gesellschaft? Oder wird das, was wir gesellschaftlich als «normal» empfinden, durch die Werbung doch so stark geprägt? Ich bin überzeugt: Beides hat seinen Anteil daran, dass wir eben doch noch über die Rolle der Frauen sprechen müssen. Und die der Männer. Eine Verbesserung der Umstände zugunsten der Frau darf nicht zuungunsten des Mannes stattfinden – schon gar nicht unter dem Deckmäntelchen Gleichberechtigung. Sonst braucht es irgendwann ein «Männergold». Da gefällt mir die Idee, zusammen ein Feierabendbier zu trinken, definitiv besser.

Gleiches Recht heisst gleiche Pflicht. Oder weniger altmodisch: Ausgewogene Aufgabenverteilung und Kompromissbereitschaft sind gefragt. Und wie wäre es, wenn wir noch ein Stück weitergingen und nicht mehr über den Mann, die Frau und Patentrezepte reden? Denn: gibt es nämlich nicht! Voraussetzungen kann und muss man verbessern, ohne Frage. Aber die Voraussetzungen müssen dann auch genutzt werden, und zwar von jedem so, wie es für sie oder ihn stimmt. Etwas mehr «Wer will, der kann»-Mentalität schadet auch nicht. Und auf gar keinen Fall schadet es, Vorbilder zu haben. Wie in diesem Fall die vielen grossartigen Frauen in dieser Ausgabe, die zeigen: Es geht!

*Frauengold hatte über 16 Volumenprozent und wurde 1981 verboten, weil es Aristolochiasäuren enthielt, die als krebsfördernd und nierenschädigend gelten.

Nora Dämpfle, Redaktorin Werbewoche

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