Emanzipation von Facebook

Das Editorial von Thomas Häusermann, Chefredaktor a.i., aus der Werbewoche 2/2018 vom 26.01.2018.

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Die mediale Resonanz war beachtlich, als Facebook-Chef Mark Zuckerberg vor zwei Wochen bekannt gab, mit seinem Sozialen Netzwerk einen Kurswechsel vollziehen zu wollen. Nicht nur die Fachwelt raunte – selbst in den Nachrichten von Radio SRF wurde die Ankündigung diskutiert.

Zusammengefasst soll als Folge dieser sogenannt «massiven Änderungen» wieder der Mensch im Zentrum stehen: Nutzern werden vermehrt Beiträge ihres echten sozialen Umfelds im Newsfeed angezeigt, statt Inhalte von Firmen oder Verlagen. Also etwa so, wie Facebook ursprünglich gedacht war. Laut Zuckerberg wird die Nutzungszeit pro User durch die Änderungen zwar kürzer, dafür aber hochwertiger. Facebook verspüre eine Verantwortung für das Wohlbefinden der User. Das passive Lesen oder das Betrachten von Videos – selbst wenn sie unterhaltsam sind – würden dazu nichts beitragen.

Bei so viel Fürsorge und Wohlwollen Zuckerbergs für seine (immer noch) gigantische Nutzer-Herde könnten einem fast die Tränen der Rührung kommen. Nach seiner Ankündigung dominierten vielerorts aber Tränen ganz anderen Ursprungs: Medientreibende jammerten, weil ihnen nun das vermeintliche Recht auf organische Reichweite vollends entzogen wird. Mit anderen Worten: Die gesamte Leser- und Zuschauerschaft erreicht man über Facebook nur noch gegen Bezahlung. Einzig ausgewählten, viralen Rosinen gewährt der mürrische Facebook-Algorithmus noch Zugang zu den Schäfchen, welche die Unternehmen und Medien über die Jahre mit viel Aufwand herangezüchtet, gehegt und gepflegt haben.

Dass diese Änderungen fast für mehr Wirbel als Sturm Burglind und Evi zusammen sorgten, verwundert hingegen schon etwas. Denn im Grunde genommen handelt es sich nicht um einen Richtungswechsel, sondern um den (vorerst) letzten Schritt einer Strategie, die Facebook schon seit längerer Zeit konsequent verfolgt.

So hat im August eine durch BuzzSumo durchgeführte Analyse von 880 Millionen Postings von Unternehmen und Publishern gezeigt, dass alleine seit Januar 2017 die erzielten Interaktionen um 20 Prozent eingebrochen sind. Während Video-Posts relativ glimpflich davonkamen, traf die Algorithmus-Schrauberei die Beiträge mit Links auf externe Quellen besonders hart. Eine Entwicklung, die Publisher schon länger zu spüren bekamen. Selbst mit Beiträgen, die auf Interesse stiessen und Interaktion erzeugten, erreichte man in der jüngeren Vergangenheit im Normalfall nur noch einen Bruchteil der User. Sofern man dafür nicht bezahlte.

Facebook «entschlackt» die Newsfeeds der Nutzer. Diese sollen relevanter und übersichtlicher werden. Was nicht überdurchschnittlich interessiert, fliegt raus – oder muss teuer bezahlt werden. Diese künstliche Verknappung der Aufmerksamkeit führt vermutlich nicht nur zu steigenden Werbepreisen, sondern auch zu einem endgültigen Bruch mit dem seriösen Journalismus. Dieser lässt sich selten auf ein 15-sekündiges, auf den Facebook-Servern gehostetes Loop-Video mit «Der Moment, wenn du …»-Untertitelung herunterbrechen. Er kann nicht mit dem emotionalen Wohlfühl-Programm eines Ferienfotos von Oma Trudi mit Enkelin Lea mithalten. Und wenn er nicht gerade von Islamisierung oder Tierquälerei handelt, schafft er die kritische «Viralhürde» ohnehin selten. Zudem ist er auf Links auf die eigenen Artikel angewiesen – die Beiträge, die Facebook am stärksten abstraft.

Die «Lösung»: Deal with it. Facebook ist nicht angetreten, um die Medien zu retten, sondern um Geld zu verdienen. Mit Daten und Werbung. Themen wie Fake News, politische Einflussnahme, Hasspostings et cetera waren nicht vorgesehen. Viel zu aufwendig, viel zu teuer, viel zu schädlich für den Ruf. Und vor allem: viel zu abschreckend für Werbekunden. Also lieber weg mit den ernsten Themen – egal, ob sie fake oder real abgehandelt werden. Egal, ob populistisch behauptet oder seriös recherchiert.

Das Schicksal der eigenen Reichweite in die Hände von amerikanischen IT-Giganten zu legen – selbst wenn diese wie im Fall Google teilweise eine erstaunlich konstruktive Rolle gegenüber den Medien einnehmen – ist ohnehin eine schlechte Idee.

Das Online-Stadtmagazin Tsüri verdankte 2017 rund 70 Prozent des Traffics Facebook – eine «unangenehme Abhängigkeit», wie es in einem Rundschreiben zum Thema heisst. Habe man vor drei Jahren noch regelmässig über 100 Prozent der Followerschaft erreicht, seien es heute noch 20 Prozent. Entnervt schreiben die Macher, man habe es satt, das knappe und hart verdiente Geld einem Internetgiganten in den … Sie wissen schon. Also müsse man weg von Facebook. «Nicht sofort, aber stetig.»

Wohin die Reise geht, ist unklar. Auf den Weg werden sich aber wohl die meisten Publisher machen, vor allem die kleinen. Instagram beispielsweise bietet Medien und Marken volle Sichtbarkeit. Noch. Denn bekanntlich gehört das Bild- und Videonetzwerk zu Facebook. Bis man sich dort auch dem Wohl dieser Nutzer annimmt, ist Instagram aber ein sicherer Hafen. Gute Reise!

Thomas Häusermann, Chefredaktor a.i. Werbewoche

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