Qualität kommt von Quälen – 
und Sparen 
erzeugt Qual

Das Editorial von Chefredaktorin Anne-Friederike Heinrich aus der Werbewoche 18/2017.

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Nach der Präsentation des diesjährigen Jahrbuchs «Qualität der Medien» wurde wieder über Schweizer Medienerzeugnisse, ihre Substanz und Diversität diskutiert. Und siehe da: Auch wenn die Vielfalt abnimmt, weil die Medienkonzentration zunimmt, die Qualität der meisten Medienerzeugnisse stimmt immer noch; die der Angebote im digitalen Raum ist sogar gestiegen. Das ist erfreulich. Und gute Nachrichten wollen wir keinesfalls unterschlagen, auch wenn sie gemeinhin nicht so viel Traffic erzeugen, wie die schlechten.

Aber: Qualität ist weiter unter Druck. Denn einerseits poppen immer mehr «alternative Medien» auf, die mit wenig Aufwand und teilweise ungeprüft Informationen verbreiten und damit den Input-Einsturm auf die begehrte Leserschaft weiter vergrössern. Auch wenn diese Plattformen keine grosse Reichweite haben. Andererseits dominieren in den drei Sprachregionen der Schweiz wenige grosse Verlage, was eine Reibung von Konkurrenten aneinander, die die Diskursqualität steigern würde, zunehmend unterbindet.

Wer heute noch Medien machen will, die diesen Namen verdienen – bei denen also recherchiert, nachgedacht und in verschiedenen Richtungen nachgefragt wird, bei denen man auch einmal eine Debatte über längere Zeit verfolgt oder gar steuert –, braucht masochistische Züge. Journalisten waren schon immer eierlegende Wollmilchsäue. Doch sie mussten sich noch weiterentwickeln, zu digitalstrategisch umsatzsteigernden Medienmarken-und-sich-selbst-Verkäufern. Zudem sind sie durch die kontinuierliche Dauer-Schrumpfung von Redaktionen und Budgets immer mehr Einzelkämpfer an einer weiten, anonym gewordenen Leserfront, ohne Kollegensupport und Austauschoptionen; schlecht bezahlt sind Journalisten ohnehin.

Für einen Chefredaktor Mitte der 1980er-Jahre war es noch normal, am Produktionstag irgendwann gegen Mittag in die Redaktion hineinzuschlendrianen und seinen Leitartikel aufs Papier zu krickeln, damit ihn eine Sekretärin bis zum ersten Glas Rotwein ins Reine tippen konnte – während er gemächlich die Leistung abschreiten konnte, die seine Redaktoren und Ressortleiter in der Zwischenzeit aufs Papier gebracht hatten. Heute weht ein anderer Wind, so denn überhaupt noch Luft in die Redaktionen kommt: Prozesse sind auf Effizienz, Produktionen auf hohe Gewinnmargen getrimmt, Denkleistungen konkurrieren mit Sponsored Content. Zeit ist Mangelware, Musse zum Denken ein Luxus, den man sich nach Feierabend auf private Kosten gönnen darf – wenn man meint, unbedingt denken zu müssen.

Wenn bei so einer Entwicklung immer noch Qualität herauskommt, dann nur, weil Journalistinnen und Journalisten mit viel Leidenschaft für ihre Leser und den Glauben an die Sache den Weg für gut durchgegarte Informationen ebnen. Doch statt das zu honorieren, sehen Verleger und Leser weiteres Sparpotenzial; wer noch Journalist sein will, muss auf die Knie: Willst Du gelesen werden, poste Deine Zeilen kostenfrei und feiere Facebooks «Instant Articles» als Errungenschaft – wie ein zu Unrecht Verurteilter, der auf der Guillotine seinen Mörder preist, um vielleicht doch noch zu überleben.

Es treffen zusammen: Leidenschaft für guten Journalismus, Groschendreh-Manier der Verleger und Kostenlos-Mentalität der Leser. Dieses Gemisch wird sehr bald explodieren, Qualität hin oder her. Wir müssen deswegen im Moment weniger über Qualität reden als über Geld: Wer in die Migros marschiert und sich ohne zu bezahlen ein Pfund Zucker aus dem Regal nimmt, macht sich strafbar. Und wir bieten unseren Zucker kostenlos feil, damit ihn noch mehr Menschen schlecken wollen? Ob im Buchladen oder im Rotlichtviertel, an der Tankstelle oder im Coop – überall bedeutet weniger zahlen weniger kriegen. Warum gilt das ausgerechnet für journalistische Produkte nicht?

Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin

f.heinrich@werbewoche.ch

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