Darauf einen 
Huntermaster!

Das Editorial der Werbewoche-Chefredaktorin Anne-Friederike Heinrich aus der Ausgabe 5/2017 vom 10. März 2017.

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Wer das Glück hat, eine etablierte Marke zu vertreten, die schon lange auf dem Markt ist, hat gleichzeitig auch ein Problem: Die Zeiten ändern sich, Business goes international. Und die Marke? Es ist durchaus nicht verkehrt, dann und wann das Erscheinungsbild seiner Marke aufzufrischen – allerdings ohne dadurch den Markenkern anzutasten, der schon so lange so gut funktioniert.

Doch: Wo beginnt der Markenkern und wo hört er auf? Ist der Claim Element des zentralen Nutzenversprechens der Marke, beispielsweise indem er es codiert? Bei Volkswagen ist das sicher der Fall. Deshalb heisst der Claim auch in Amerika und Asien «Das Auto» und nicht «The car» oder ähnlich. Wie relevant für den Markenkern sind Farbe und Typo? Funktioniert Nivea auf weissem Grund schlechter als auf blauem, Nivea Sans besser als Metro? Nicht unbedingt. Und nicht unbedingt nicht.

Klar zum Markenkern gehört in den allermeisten Fällen der Name des Produkts. Deshalb sollte man diesen nach Möglichkeit nicht antasten. In Italien isst oder schleckt man «Kinder» und meint Kinderschokolade. Das ist Marke. Deshalb gab es einen Aufschrei, als Capri-Sonne kürzlich meinte, das zuckersüsse Orangengetränk aus der Aluminium- tüte in Capri-Sun umbenennen zu müssen. Weil der Konzern inzwischen international geschäftet.

Interessanterweise schrien nicht zuerst die etablierten Brandingagenturen ob dieses Rabaukenakts auf (um sich ins Geschäft zu bringen); und auch nicht erboste Konsumenten, die sich um eine weitere Kindheitserinnerung betrogen fühlten. Zuerst reagierten Vertreter anderer Marken. Allen voran nahmen Ritter Sport und die Biermarke Astra den Getränkeproduzenten mit witzigen Posts aufs Korn: «Was Capri-Sun kann, we can do schon lang!» postete Ritter Sport, kombiniert mit einem Bild der Sorte «Knight Sport Orange». Und Astra fragte «Maken wir das right so, Capri-Sonne?», versehen mit einem Foto von einer Flasche «Astra Urguy».

In den Sozialen Netzwerken schlug daraufhin Wut in Kreativität um; etliche Umbenennungsvorschläge inklusive angepasster Logos machten die Runde: Braun wurde zu Brown, Lufthansa zu Airhansa, Jägermeister zu Huntermaster. Schliesslich ist Schadenfreude immer noch die schönste Freude – und es ist nichts einfacher, als in den höhnisch-kritisierenden Reigen einzustimmen und über schlechte Markenführung zu wettern.

airhansa

Daher einmal gegengedacht: Wie würden Sie eine Marke, die so gut wie jeder aus seiner Kindheit kennt, die aber nicht mehr so richtig zur bewussten, zuckerfreien, veganen oder wenigstens vegetarischen und was weiss ich noch für Ernährung von heute passen will, wieder ins Gespräch bringen? Na? Genau! Das Re-Branding könnte auch ein genialer Schachzug von Capri-Sonne sein, um wieder aufs Tapet und in die Einkaufstüte zu kommen. Die Adjutanz der zwei grossen Marken Ritter Sport und Astra hat sicher nicht geschadet. Und wie sagt man so schön: «Es ist nicht wichtig, wie über einen geredet wird. Es ist wichtig, dass über einen geredet wird.» Und das hat Capri-Sun definitiv geschafft.

Ob kalkuliert oder nicht: Nicht unwahrscheinlich, dass der eine oder andere beim nächsten Einkauf zu Capri-Sun greift – einfach um zu probieren, ob es wenigstens immer noch so schmeckt wie früher. Und weil im Gedächtnis eine längst vergessene Sonne wieder aufgegangen ist.

Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin

f.heinrich@werbewoche.ch

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