Ausgejoizt

Das Editorial von Chefredaktorin Anne-Friederike Heinrich aus der Werbewoche 14/16.

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Was ist denn da jetzt los? In Zeiten, in denen jeder Medienmensch nach innovativen Konzepten sucht, mit denen man neue Rezipienten gewinnen und jüngere Zielgruppen ansprechen kann, mit denen man digital und in den sozialen Medien genauso gut aufgestellt ist wie im klassischen Geschäft, geht eines der überraschendsten und zukunftsweisendsten Schweizer TV-Projekte auf Grundeis: Joiz hat die Segel gestrichen.

«Warum?», ist natürlich die allererste Frage. Und auch die, die am Schluss im Kern unbeantwortet bleibt. Lag es am Konzept, der Integration von TV, Mobile und Social Media? Nein. Waren die Moderatoren lau, unvorbereitet, langweilig? Im Gegenteil. Joiz hat einige der inzwischen bekanntesten Moderatorinnen auf dem Schweizer Markt hervorgebracht, jung, unkonventionell und mitreissend; vor allem in der jungen Zielgruppe stach Joiz alle anderen Sender aus. Lag es an den Themen, die Joiz servierte? Sicher auch nicht. Joiz galt eher als Trendscout mit der Nase kurz vor der Windhose. Lag es am Ende am Publikum, das doch nicht so gross war, wie es hätte sein sollen? Vielleicht. Oder lag es am Geld? Genau, und nur daran. Und das ist das Erztraurige an diesem Fall. Während nebenan am Leutschenbach für manchmal fragwürdige Qualität das Geld zum Fenster rausgeschmissen wird, geht ein junges Pflänzchen, voll Hoffnung gesät, mit Enthusiasmus gepflegt und schon gut gediehen, an Wassermangel ein.

Könnte man nicht mal in solchen Fällen das Stimmvolk aktivieren, statt die verschiedenen Formen des Gesichtsschleiers und völlig überflüssige Zusatzrechte für Velofahrer zu Tode zu diskutieren? Oder endlich aufhören, den Service public und die SRG heiligzusprechen und stattdessen einen Medienfond aufbauen, der bei wirklich vielversprechenden Projekten beispringt und überbrückt, wenn es nötig ist?

Die Kommission für Verkehr und Fernmeldewesen forderte kürzlich von der Bundesverwaltung, darzulegen, welche Leistungen private Anbieter heute erbringen und

welche sie erbringen könnten, wenn sie nicht von der SRG konkurriert würden. Und während in Bern gefordert, apelliert, argumentiert und wiederlegt wird – immerhin –, sterben im medialen Rinnstein grosse Träume. Und nicht zu vergessen: Chancen für die Schweizer Medienbranche. Und 75 Arbeitsplätze.

Dabei fehlt oft nicht viel, um eine Talsohle mit erhobenem Kopf zu durchschreiten und am anderen Ende wieder Fahrt aufzunehmen. Wenn der Staat sich schon überall einmischt, dann doch bitte so: Die Breite und Vielfalt in der medialen Berichterstattung gewährleisten und eingreifen, wenn neue, unkonventionelle Ansätze in der Medienbranche zu scheitern drohen. Das käme letztlich der Meinungsbildung der Bevölkerung, im Kern also unserer Demokratie, zugute. Neben dem «Too big to Fail» der Banken bräuchten wir ein «Too good to Fail» der Medien. Marktversagen? Wenn, dann wohl hier.

Doch: Uns Schweizern geht es schlicht zu gut. Einer Bevölkerung, die (bis fast in den letzten Winkel) alles hat, wovon man träumen kann, geht leider nur allzu schnell das Bewusstsein dafür verloren, wie wichtig Medien sind und welche Rolle sie spielen. Medien sind die Basis für Bildung und Meinungsbildung, sie haben eine Wächterrolle und sichern damit letztlich die Demokratie, die in der Schweiz oft indirekter zu sein scheint, als in anderen Ländern, die sich nicht der direkten Mitbestimmung rühmen.

Angesichts dieser traurigen Entwicklung darf man sich schon einmal fragen: Was nützt es eigentlich, eine zündende Idee zu haben, sie zu verfolgen und umzusetzen, wenn man nicht Roger Schawinski heisst? Welche Chanchen gibt die Schweiz Ansätzen, die den altbackenen Schweizer Medienkuchen ein wenig aufmischen könnten? Ich halte das Risiko für sehr hoch, dass innovative Ideen aus Angst vor der unerträglichen Trägheit unseres Mediensystems und dem zu erwartenden Kampf gegen Windmühlen gar nicht erst gedacht werden – oder direkt von der Schweiz ins Ausland abwandern und dort zum Blühen kommen. Der deutsche Joiz-Ableger wird übrigens an eine Venture-Capital-Gesellschaft aus den USA verkauft. Merken Sie was? Die Schweiz ist eines der weltweiten Innovationszentren. Fragt sich nur, wie lange noch.

Zu hoch gehängt, finden Sie? Zu viel Theater um eine kleine Sache? Und wenn Joiz die Spitze des abschmelzenden Medien-Eisbergs wäre?

Es scheint so zu sein: Vorvergangene Woche gab der Verband Schweizer Medien bekannt, aus Kostengründen aus dem Schweizer Presserat und allen nationalen und internationalen Verbänden und Institutionen austreten zu müssen, wegen der «aggressiven Expansion der SRG im Werbemarkt». Sie habe mit der Initiierung der Werbevermarktungsgesellschaft Admeira einen Keil zwischen die privaten Medienunternehmen getrieben und damit auch den Verband geschädigt. Service public halt. Ticken wir eigentlich noch richtig?

Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin

f.heinrich@werbewoche.ch

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