Zur Sache: Bompeln legen das Gehirn lahm

Die Augen auf dem Display, die Ohren verstöpselt, laufen Smombies in Trams und verletzen sich schwer. Das Editorial von Chefredaktorin Anne-Friederike Heinrich aus der aktuellen Werbewoche 9/16 vom 20. Mai 2016.

Wissen Sie, was eine Bompel ist? Nein, nicht Bommel, Bömmel, Pommel oder Pömpel – Bompel. Eine Bompel ist eine Bodenampel, ein kleiner Streifen blinkender Lichtlein, ähnlich dem Leitsystem, das zum Notausstieg führt, wenn im Flugzeug nichts mehr geht.

Solche Lämpchen sind neuerdings vor Kopf von Tramhaltestellen in den Boden eingelassen und blinken: Wenn sich ein Tram der Haltestelle nähert, während es hält und wenn es wieder losfährt. Ist das Fahrzeug weg, gehen die Lichter aus.

Warum das Geblinke? Wegen der Smartphone- Zombies, auch Smombies genannt. Immer mehr Menschen nämlich haben beim Gehen Kopf und Augen nicht in der Landschaft, bei ihren Mitmenschen und allem, was auf der Strasse geschieht, sondern bei und auf ihrem Handy oder iPod. Das Phänomen vereint alle Generationen. In Deutschland starrt jeder sechste Verkehrsteilnehmer auf sein Smartphone, statt auf den Verkehr und auf Lichtsignale zu achten – und in der Schweiz sind es sicher noch mehr. Jedenfalls gemessen am wütenden Gebimmel der Tramchauffeure, das zum klassischen Soundtrack eines Stadtbummels geworden ist. Die Unfallgefahr beim Aufs-Handy-Starren ist immens.

Die Augen auf dem Display, die Ohren verstöpselt, laufen Smombies in Trams und verletzen sich schwer. Auch Todesfälle hat es in Deutschland bereits gegeben. Und das Smartphone geht auch kaputt. Das ist dumm. In Augsburg werden deshalb nun an zwei als für Smombies besonders gefährlich geltenden Tramhaltestellen Bompeln getestet (siehe Foto unten).

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Genau hinschauen: Test-Bompeln in Augsburg (Foto: Thomas Hosemann/Stadtwerke Augsburg)

Nun frage ich mich Folgendes: Wenn man für notorische Runterstarrer extra Ampeln entwickelt, müsste man dann nicht auch Schranken für diejenigen aufbauen, die immer einfach über Rot laufen? Kommt ein Auto, senkt sich die Schranke – egal was das Lichtsignal dem Autofahrer sagt. Und den Autofahrern, die an der roten Ampel eine SMS schreiben, müsste man konsequenterweise schnell eine Info aufs Handy senden, dass das Lichtsignal jetzt grün und weiterfahren angesagt ist. Bevor die Hintermänner hupen.

Mal ernsthaft: Natürlich ist es tragisch, wenn Menschen vor oder unter ein Tram geraten. Aber wer das Gehirn ausschaltet, lebte schon immer gefährlich. Warum ist das Handy am Steuer verboten, am Lenker auch und beim Laufen nicht?

Ich halte es nicht für sonderlich sinnvoll, um nicht zu sagen für schwachsinnig, Smombies das Denken abzunehmen und ihnen quasi aufzudrängen, dass sie den Kopf nun wirklich gar nicht mehr heben müssen. Als zweifache Mutter weiss ich nur zu gut, dass man allein aus Schaden klug wird. Manchmal muss es einfach richtig weh tun – oder wenigstens sehr kritisch werden –, bis ankommt, dass bestimmtes Verhalten lebensgefährlich werden kann.

Wie gern würde ich meine Söhne in Watte packen und sie in einem gepanzerten Wagen über den Zebrastreifen schieben, statt sie selbst denken, schauen und laufen zu lassen. Allein das wäre ein Fehler.

Auch Bompeln sind ein Fehler. Denn ab einem gewissen Alter und Erfahrungsschatz sollten Menschen wissen, dass es ungesund ist, vors Tram zu rennen – auch ohne dass sie das am eigenen Leib erfahren haben müssen. Antizipieren kann eine sehr nützliche Überlebenstechnik sein.

Und ansonsten scheue ich bei der Spezies der Smartphonestarrer auch nicht davor zurück, evolutionäre Kräfte zu bemühen: Wenn nämlich wieder mal ein Smombie mit Kaffeebecher in der Hand in mich reingerannt ist, neige ich dazu, ein wenig natürliche Selektion herbeizuwünschen.

Wenn Ihnen das zu radikal ist, hätte ich noch einen Vorschlag: Warum müssen es gleich in den Boden eingelassene Lichtorgeln sein, die Smartphone- Junkies vor dem Tramtod schützen? (Den Steuerzahler kosten zwei LED-Bänder für eine Haltestelle immerhin rund 10 000 Euro.) Eine Warn- SMS würde vermutlich schon reichen, schliesslich ruhen die Augen ja bereits auf dem Display. Oder: Jeder Zug hat inzwischen ein Ruheabteil, in dem ganz schlicht der Mobilempfang unterbunden wird. Könnte man nicht in Städten an kritischen Stellen einfach den Handyempfang und alle anderen Funktionen stören, sodass Menschen wieder hochschauen, statt zu wischen und zu tippen? Es funktioniert grad einfach nicht. Punkt. Wir würden uns schnell daran gewöhnen.

Wer weiss, vielleicht entdeckt man ja auch ein cooles Werbeplakat, wenn man den Kopf hebt. Oder ein Lächeln im Gesicht gegenüber. Nur ein gemeinsames Selfie liegt dann leider nicht drin.
 

Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin Werbewoche

f.heinrich@werbewoche.ch
 

 

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