Zur Sache: Mensch statt Maschine

«Nicht mehr akquirieren, sondern begeistern.» Das Editorial von Chefredaktorin Anne-Friederike Heinrich aus der aktuellen Werbewoche 7/16 vom 15. April. 2016.

Arbeiten wird wieder menschlich( er ). Wurden seit den 1990er-Jahren vor allem eierlegende Wollmilchsäue, alleskönnende Mitarbeiter mit geringem Gehaltsanspruch und uneingeschränkter Mobilität, sich für den Job aufgebende Arbeitnehmer ohne Familie, Bindungen und private Leidenschaften gesucht, stehen nun wieder Menschen auf der Mitarbeiterwunschliste von Unternehmen. Allein: Sie zu finden ist nicht ganz einfach.

In der Werbe- und Kommunikationsbranche wird geklagt: «Bei uns bewerben sich nicht die richtigen Mitarbeiter», sagen Vertreter kleiner und grosser Agenturen. Auch in anderen Branchen, namentlich in der IT, fehlen Fachkräfte, und hier schon seit Jahren. Einen Ausweg aus der Misere verspricht Employer Branding, die Positionierung von Arbeitgebern als Marke: Mitarbeiter müssen zur Marke passen, und die Marke zu ihnen, Cultural Fit heisst das im Fachjargon. Endlich haben Arbeitgeber gemerkt, dass nur Mitarbeiter, die sich mit den Zielen und Werten des Unternehmens identifizieren, dauerhaft die gewünschte Leistung bringen.

Identifikation wiederum kann es nur geben, wenn das Unternehmen anerkennt, dass es einen Menschen beschäftigt, der neben der Arbeit noch andere Interessen, Wünsche und Leidenschaften hat – die, gibt man ihnen Raum, die Arbeit auch befruchten können.

Was ist passiert? Menschliche Beziehungen haben einen grundlegenden Bedeutungswandel durchgemacht: Ehepartner sind keine wirtschaftliche Absicherung mehr, sondern im besten ( und mindesten ) Fall der Garant für lebenslanges Glück. Sind sie das nicht, werden sie abgeschossen. Kinder sind keine Altersversorgung mehr, sondern Sinnstifter und der Beweis für Liebesfähigkeit und pädagogische Leistungsstärke der Eltern. Und auch der Arbeitgeber hat sich vom schlichten Brötchengeber zum zentralen Element der Work-Life-Balance entwickelt: Der Erwerb der finanziellen Lebensgrundlage soll heute eben auch Spass machen und Befriedigung bringen; der Arbeitgeber möglichst ein cooles Aushängeschild sein, mit dem man die Kollegen beeindrucken kann. Mit diesem Anspruch verändern vor allem die nun auf den Arbeitsmarkt drängenden Arbeitnehmer der Generation Y und Z die Arbeitswelt grundlegend. Wir gestandeneren Arbeitnehmer können ihnen für diese Rehumanisierung nicht genug danken – wenn die Entwicklung uns als Arbeitgeber auch zunächst einmal unter Druck setzt.

Denn die hohen Qualitätsanforderungen von Arbeitgebern und die stetig wachsenden Ansprüche von Arbeitnehmern zusammenzubringen, wird immer schwieriger. Der Arbeitsmarkt scheint zu kehren, sodass sich bald nicht mehr Mitarbeiter bei Unternehmen bewerben, sondern Firmen bei Fachkräften. Wer die besten Mitarbeiter von sich überzeugen will, muss sich deshalb ins rechte Licht rücken und eine starke Arbeitgebermarke aufbauen. Am besten nicht nur, wenn er die Leute gerade braucht, sondern kontinuierlich, um zuschnappen zu können, wenn der Bedarf akut wird.
Wie man das macht, erklärte Recruiting-Experte Michel Ganouchi am Dienstag in einem Vortrag für Medienjobs.ch und Inside-it.ch. Jede Firma müsse sich darüber bewusst werden, welche Wurzeln sie habe, was ihr Geschäft antreibe und wodurch sie sich von Konkurrenten unterscheide: «Jedes Unternehmen hat eine Arbeitgebermarke, es muss sie aber auch steuern.» Das Ziel ist, eine starke UEP – Unique Employer Proposition – zu entwickeln, ein einzigartiges Verkaufsargument für das Unternehmen. Eine solche Markenbildung kann Jahre in Anspruch nehmen; darum fangen Sie am besten gleich damit an.

Sie wissen, wofür Ihr Unternehmen steht, welche Ziele Sie erreichen wollen und welche Leute Sie dafür brauchen ? Gut. Dann müssen Sie für Ihre Suche nun noch die richtigen Kanäle wählen. Arbeitnehmer werden heute nicht mehr gefunden oder akquiriert, sondern begeistert und gewonnen. Wer die besten haben will, muss sich etwas einfallen lassen. Zeitungsanzeigen waren gestern, heute sind Social Media. Je nach Wunschkandidat kann Bewegtbild ein vielversprechendes «Anzeigen»-Format sein. Warum nicht auf Whatsapp nach einem Kommunikationstalent suchen, oder auf Instagram nach einem Bildredaktor? Die NZZ beispielsweise twittert ihre Stellenanzeigen. Wer diese Tweets nicht sieht, ist auch nicht der richtige Mitarbeiter. Und machen Sie das Bewerben leicht. Wer sich auf der Firmenwebsite erst einloggen muss, bevor er der Personalchefin ein Mail senden darf, ist möglicherweise schneller wieder weg, als Sie gucken können.

Was wie ein riesiges HR-Projekt klingt, kann auch ganz klein vonstatten gehen. Schliesslich hat nicht jede Firma eine fünfköpfige Personalabteilung. Neue Kollegen mit knackiger Sprache und witzigen Einfällen für sich zu interessieren, sollte Arbeitgebern in unserer Branche wohl nicht schwerfallen. «Sparen Sie sich vor allem das Bullshit-Bingo in Stellenan­zeigen», rät Ganouchi. Alle Unternehmen wollen flexible, teamfähige Mitarbeiter, das ist kein Distinktionsmerkmal. Eine klare Beschreibung der Stelle und der Anforderungen ohne Wortgeklimper ist der bessere Weg zum richtigen Mitarbeiter. Investieren Sie ein paar Minuten für die Überlegung, was für einen Menschen Sie sich als Stellenanwärter vorstellen und schneiden Sie Ihr Gesuch präzise ­darauf zu. Umso besser, wenn Sie statt 20 nur zwei Bewerbungen bekommen – und beide Kandidaten passen. Und: Emotionen nicht vergessen. Wer statt eines Verkäufers einen «Verkaufstycoon mit Lachfalten» sucht, ist bereits auf dem richtigen Weg.

Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin Werbewoche

f.heinrich@werbewoche.ch
 

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