Zur Sache: Zeit zu Geld machen

Sinkende Werbeausgaben, schrumpfende Druckauflagen, Digitalisierung auf der einen Seite, nicht funktionierende Bezahlschranken, Ad-Blocker, Gratismentalität auf der anderen – schon seit geraumer Zeit ist die Medienbranche unter Druck. Und mit ihr die Werbebranche.

«Wie sieht das Medium der Zukunft aus? Wie mache ich aus meiner Zeitung eine unverzichtbare Medienmarke? Wie kann man mit Journalismus noch Geld verdienen? Und wie kann ich in diesem Umfeld clever werben?», fragen sich Medienmacher und Journalisten, Werbeauftraggeber und Werber.

Und der Kunde, unser Leser, fragt sich schlicht: «Warum soll ich für diese Leistung Geld ausgeben?»

Mathias Müller von Blumencron, Chef von faz.net, startet das Jahr voller Euphorie und mit vier Thesen: 2016 wird das Jahr des digitalen Journalismus, schreibt er. Denn in der Flut von Informationen, die über digitale Kanäle und Social Media verbreitet werden, steige der Wert glaubwürdiger Informationen, hinter denen eine etablierte Medienmarke stehe. Leser wollten Inhalten wieder vertrauen können. Hoffen wir, dass er recht hat. Für die Leser, die wir aus dem Printgeschäft bereits kennen, trifft das sicher zu. Doch was ist mit den Jungen, die gerade erst zu Medienrezipienten werden? Was lesen die eigentlich in Zukunft? Und warum?


Weiter prognostiziert Müller von Blumencron eine «Offensive der Exzellenz im Digitalen»: Für Qualität würden Leser in Zukunft bereit sein, zu zahlen, nicht mehr nur in gedruckter Form, sondern auch im Netz. Wenn immer mehr gedruckte Medien vom Markt verschwinden, bleibt ihnen natürlich auch nichts anderes übrig. Medienmacher müssen endlich begreifen, dass Leser für die Qualität der Informationen zu zahlen bereit sind, nicht für die Auslieferung auf einem bestimmten Kanal; Print oder Digital ist irrelevant. Der Wert der Information muss stimmen.

Weiter sieht Müller von Blumencron eine «Explosion journalistischer Formate» kommen. Natürlich, die Möglichkeiten, im Digitalen ein Thema aufzubereiten – mit Text, Bild, Film, Ton und Querverweisen –, sind paradiesisch. Formate wird es dennoch nur mehr zwei geben: Tempo und Tiefe. Die eine Variante sind schnelle, kleinteilige Informationen, die möglichst rasch und kostenlos an den Leser gebracht werden. Die andere Variante sind Geschichten: gut recherchierte Storys, Hintergrundberichte und Ratgeberartikel, für die der Autor Zeit investiert hat und die erst dann in die Öffentlichkeit geraten, wenn sie rund und fertig sind. Für diese Arbeit muss der Leser bezahlen, denn die Produktion solcher journalistischer Leistung kostet Geld. Eine klassische Wertschöpfungskette.

Betreiber von Redaktionen, die immer weiter ausgeblutet und zusammengeschrumpft werden, müssen sich gut überlegen, was das bedeutet: Redaktionen brauchen Leute fürs Tempo und Leute für die Tiefe. Eine One-Man-Show kann nicht Tag für Tag kontinuierlich beide Formate bedienen. Und auch im Newsroom ist tief bohren schwierig. Kurz: Journalisten brauchen auch im Alltag wieder Zeit für Recherche, Denken und Schleifen am Text.

Als Viertes erwartet Müller von Blumencron die Entwicklung eines neuen Geschäftsmodells: Journalistische Angebote würden sich von Medienpräsenzen lösen und über globale Online-Plattformen den Weg zum Leser finden. Die Redaktion erhalte im Gegenzug die Werbeerlöse. Interessanter Ansatz. Und vielleicht d i e Chance für freischaffende Edelfedern: In Ruhe recherchieren, geschliffenen Text und spannende Rechercheergebnisse platzieren und kassieren. Doch wie kontrolliert und beschränkt man die Verwendung seines geistigen Eigentums, wenn es einmal im Netz gelandet ist? Und können ein paar Werbebanner eine Familie ernähren? Geschweige einen Verlag finanzieren?

Da greift vielleicht der Aufbau
 eines E-Commerce-Angebots, der
in einer aktuellen Trendstudie des 
Bundesverbands deutscher Zeitungsverleger als «der dominie
rende Trend» der Stunde definiert
 wird. Wenn Zeitungsverlage in
den Internethandel mit Lebens
mitteln und Gebrauchsgütern ein
steigen – à la Entlebucher Anzeiger (Entlebucher-shop.ch) –, berge 
das «riesiges Potenzial», wie es in 
der Studie heisst. Die Besinnung auf den eigentlichen journalistischen Auftrag und dessen Übertragung ins Digitale gerät durch solche Aktivitäten allerdings ins Hintertreffen. Dabei ginge es vorrangig erst einmal genau darum.

Ich denke, das Angebotsspektrum von Medienunternehmen ist nur sehr begrenzt dehnbar. Sonst setzen sie ihre Glaubwürdigkeit aufs Spiel.

Überlegen Sie mal: Wann geben Sie Geld für Geschriebenes, Durchdachtes aus, egal, ob es gedruckt oder digital daherkommt? Ich zahle, wenn ich etwas von meinem allerknappsten Gut sparen kann: Zeit.

Leser gewinnen Zeit, wenn sie entweder für sie wichtige Informationen schnell und bündig aufbereitet erhalten. Oder wenn die von ihnen ins Lesen investierte Zeit mit Spannung, Unterhaltung, Wissen oder Hilfestellung honoriert wird. Das ist die Wertschöpfungskette der Zukunft. Nur, wer Lesern Zeit spart oder ihre Zeit mit Gewinn ausfüllt, wird mit Journalismus noch Geld verdienen können. Mehr denn je hat Benjamin Franklin recht: Zeit ist Geld.

Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin Werbewoche

f.heinrich@werbewoche.ch
 

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