Zur Sache: Die tröstliche Zähigkeit der Totgesagten

Seit das Internet Anfang der 1990-er-Jahre begann, sich in unserer Arbeit und Freizeit zu verhaken, die Planung unseres Tages zu übernehmen und uns nach unserem realen Tod virtuell ­dennoch nicht gehen zu lassen, hört man immer mal wieder «Print ist tot».

Wirklich in Panik versetzt hat dieser Ruf meist nur wenige, ernst gemeinte (weil ernsthaft nötige) Wiederbelebungsversuche blieben aus. Der Patient atmete trotzdem weiter, wenn auch rasselnd.

1995 prophezeite der amerikanische Designer David Carson «The End of Print» – in Form eines Buches. Wer hier Ironie und Augenzwinkern (wenn wohl auch unbeabsichtigt) nicht bemerkt, muss schlicht blind sein. Da wiederlegte das Medium selbst die Aussage, die es verkaufen sollte.

Mit der Einführung des ersten Smartphones 2007 wurde das Internet mobil, man hatte die aktuellen News immer bei sich – Print wurde abermals für tot erklärt. Und war es wieder nicht.

Inzwischen werden Briefe nicht mehr geschrieben, sondern gemailt, Bücher nach dem Lesen nicht mehr ins Regal gestellt, sondern gelöscht, Treffen mit Freunden nicht mehr von langer Hand ausgemacht, sondern kurzfristig per Natel besprochen. Und immer noch röchelt Print in seiner Nische vor sich hin. Am Leben. Manch ein Kranker braucht eben länger zum Sterben? – Nicht ganz.

An der Trendtagung Fach- und Spezialmedien des Verbands Schweizer Medien wandelte Print auf einmal wieder mit rosigen Wangen daher, lebendig wie nie! Print ist das neue Digital first. Wohlbemerkt, es ging um einen Blick in die Zukunft. Beschworen wurden die Haltbarkeit von Druckwaren und deren Tragfähigkeit. Gefeiert wurde das Festhalten an Print, ohne Gegenfragen; ausgezeichnet ein neues Magazin, gedruckt. Onlineauftritt? Später. Vielleicht.
Und auch rundherum erscheinen derzeit lauter neue Magazine: Chandra Kurt erweckt ein neues Weinmagazin zum Leben, Ringier lanciert den Kunst- und Kulturführer Monopol Zürich. Gedruckt, nicht (nur) online. Bemerkenswert.

Gut, klar dass an der diesjährigen Trendtagung niemand sein Patentrezept fürs Geldverdienen im Internet verkündete. Denn derzeit hat niemand eines. Und wer eines hätte, würde es nicht verraten, bevor der Esel ordentlich Gold speit. Dennoch, man traut sich wieder, zuzugeben, dass Print etwas Schönes ist, dass man daran glaubt. Und gilt deshalb noch längst nicht als heillos gestriger Hinterwäldler. Das ist ein grosser Fortschritt und gewiss der richtige «Trend».

Ich möchte nicht «Back to the past», mit dieser Einstellung schafft man es nicht in die Zukunft. Aber etwas «Reclaim to the present» wäre nicht schlecht – sich auf etablierte und immer noch aktuelle Werte zurückbesinnen, auf das, was schon lange Bestand hat und noch immer funktioniert. Im Zurückbesinnen steckt «besinnen», und das haben wir alle nötig, die wir in den letzten Jahren jeder trendigen Zuckung des Digitalen hinterhergehastet sind, in panischer Angst, einen bereits angefahrenen Schnellzug unwiderbringlich zu verpassen.
Mit Print ist es, scheint mir, ein wenig wie mit Mode: Karo ist out – Karo ist wieder in. Minis sind cool – Minis sind ordinär – was, Du hast keinen Mini? Frau von Welt trägt Hut – Hüte sind albern. Haare sind was für Affen – Männer tragen wieder Bart. Gerade ist Print wieder in, vielleicht, weil wir Online nun auch nicht mehr weiterwissen. Doch ich empfinde die Rückbesinnung als mehr als eine Mode: Print ist sinnlich; das ist etwas, was uns Digital niemals geben wird. Viele von uns haben ab und zu für eine Weile das Bedürfnis, etwas Gedrucktes in die Hände zu nehmen und sich darin zu versenken. Ein Druckwerk zu riechen, Papier zu fühlen. Darum werden wir niemals vom Gedruckten ablassen.

Und wir brauchen sie doch alle: Digital fürs Tempo, TV für die Bilder, Print für die Tiefe. Im Zusammenhang mit den Terroranschlägen in Paris haben alle Medien ihre ganz eigene Kraft unter Beweis gestellt: Auf Onlinemedien, Twitter und Facebook erfuhr die Welt nur wenige Sekunden nach den ersten Detonationen davon, dass in Paris der Ausnahmezustand herrscht. Wenig später zeigte sich, warum wir von Social Media sprechen: Menschen suchten auf Twitter und Facebook ihre Angehörigen, boten Unterkunft und weitere Hilfe an. Das Fernsehen lieferte parallel dazu sehr schnell erste, verwackelte Bilder der Attentate sowie Standbilder, die einen Eindruck von den Greueltaten der Terroristen vermittelten. Später am Abend liefen bereits erste Reportagen und Debatten über die Hintergründe der Anschläge. Das Wochenende schliesslich gehörte den Zeitungen: Am Samstag und Sonntag arbeiteten alle europäischen Blätter vom Boulevard bis zum Spitzenjournalismus den Horror auf; um die Erkenntnisse weniger Stunden schlauer und daher fundierter, als es im Internet und Fernsehen am Freitagabend möglich gewesen war. Genau so muss es sein.

Und jetzt staunen Sie mal: Der Online-Terminplaner Doodle hat kürzlich ein eigenes Buch lanciert, erstmals in der Firmengeschichte. Und der Verkauf von Vinyl-Schallplatten hat den britischen Plattenlabels im vergangenen Jahr mehr Umsatzerlöse gebracht als 14 Milliarden Musikstreams auf YouTube, sagt Geoff Taylor, Chef des britischen Musikbranchenverbands BPI. Na sowas.

 

Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin
f.heinrich@werbewoche.ch

 

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