Fachchinesisch: Was bedeutet «granular»?

Was muss heute nicht alles granular sein: eine Strategie, ein Konzept, eine Kampagne, eine Anzeige, alles. Wer etwas auf sich hält, braucht das Wort bei jeder Gelegenheit, denn es erweckt den Eindruck, man sei in der Neuzeit angekommen.Es hat zum Glück das Wort «atomisiert» abgelöst, das eigentlich das Gleiche meinte: Zerlegung einer Sache bis in […]

Was muss heute nicht alles granular sein: eine Strategie, ein Konzept, eine Kampagne, eine Anzeige, alles. Wer etwas auf sich hält, braucht das Wort bei jeder Gelegenheit, denn es erweckt den Eindruck, man sei in der Neuzeit angekommen.Es hat zum Glück das Wort «atomisiert» abgelöst, das eigentlich das Gleiche meinte: Zerlegung einer Sache bis in die kleinstmögliche Einheit. Datenanalysten reden dann von einem Datapoint, Marketer von einer Zielperson und Verlage von einem Lesenden.Dabei bedeutete das Adjektiv ursprünglich körnig oder gekörnt. Ein Sandhaufen quasi. Aber im Sandkasten der Werbung und der Kommunikation tummeln sich eben seit geraumer Zeit ein paar nicht gern gesehene Eindringlinge.

Verhalten schlägt Demographie

Was granular ist, ist der natürliche Feind aller Grobplaner, denn es ist häufig so detailliert, dass es nicht mehr greifbar wird. Im Zeitalter der Digitalisierung und des Datensammelns aber ist alles Granulare populärer denn je. Was sollen wir denn mit all den Daten anfangen, hinterfragen da lautstark und leicht pikiert Alteingesessene der Branche.Heute sagen uns Daten nicht nur, wer unsere Kunden (Demographie) sind, sondern vor allem was, wann und wo sie etwas machen oder eben nicht machen (Verhalten). Früher war das viel einfacher: Da wurde jahrzehntelang mit der grossen Kelle Geld zwischen Werbeagenturen, Mediaagenturen und Verlagen hin- und hergeschoben. Basis dafür bildeten die zweimal jährlich publizierten Zahlen der WEMF (ein sinnigerweise 1964 von Interessensverbänden der Werbe- und Verlagswirtschaft gegründetes Institut).Das genügte allemal, um als offizielle Währung für die Mediaplanung und das Verlagsmarketing zu dienen, weil darauf die Werbetarife berechnet wurden, die Unternehmen bezahlen mussten, wenn sie irgendwo Inserate schalten wollten. Gerade eben ist die «aktuelle» Leserschaftsstudie wieder erschienen. Darin erfährt man viel über Demographie, aber wenig über das Verhalten der Lesenden – und das alles mit halbjährlicher Verspätung.In Zeiten von Google und anderen Analytics, Social Media Metrics und Versteigerungen von Werbeplätzen auf digitalen Plattformen in Realtime ist das schon sehr langsam. Und in einer digitalen Welt, wo jedes Verhalten eines Kunden bis ins letzte Detail getrackt, analysiert und ausgewertet wird für eine Optimierung oder eben Granulierung einer Kampagne, klingt das Geschrei der Werbe- und Mediaagenturen ganz nach beleidigten Kindern, die im Sandkasten mit einem zu groben Sieb unterwegs sind.*Benno Maggi ist Mitgründer und CEO von Partner & Partner. Er hatte im NZZ FOLIO die Rubrik «Vom Fach» ins Leben gerufen und während Jahren betreut. Er präsentiert und entschlüsselt  Worte und Begriffe, die entweder zum Smalltalken, Wichtigtun, Aufregen, Scrabble spielen oder einfach zum Spass verwendet werden können.

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