Blocker und Keule

Das Editorial der Werbewoche-Chefredaktorin Anne-Friederike Heinrich aus der Ausgabe 18/2016 vom 4. November 2016.

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Wer mit einem Adblocker surft, ist nicht bei allen beliebt – und ähnelt darin Eltern kleiner Kinder und Hundehaltern. Vor allem Medienhäuser haben Probleme mit Adblocker-Nutzern – finanzieren sie ihr journalistisches Angebot doch zu einem Grossteil durch Werbung. Wenn sie diese nicht an potenzielle Konsumenten ausspielen können, sind bald auch die letzten Werbeeinnahmen perdù.

Während man um Familien mit Kleinkindern und Hund mit Herrchen einen grossen Bogen machen kann, ist der Umgang mit Adblocker-Usern für Medienhäuser schwierig: Zwar gibt es fast so lange, wie es Software zur Unterdrückung von Online- werbung gibt, auch technische Gegenmassnahmen, um Adblocker-Nutzer von Angeboten auszusperren. Doch wer möchte seine Kunden, seine Leser schon gern so behandeln? Noch schätzen IAB Schweiz und Adello die Situation in der Schweiz als unproblematisch ein. Aber wenn Leser sich weiter benehmen wie Kinder, die im Supermarkt Süssigkeiten aus den Regalen direkt in den Mund befördern, ohne einen Gedanken daran, dass man diese erst einmal bezahlen muss, könnte sich das schnell ändern.

Seit vergangener Woche setzt die Süddeutsche Zeitung auf ihrer Webseite eine Anti-Adblock-Massnahme ein: Wer auf Sueddeutsche.de einen Artikel lesen möchte, kann entweder seinen Adblocker ausschalten, ein Abonnement abschliessen oder einen kostenlosen Account anlegen; wer sich kostenlos registriert, kann die Internetseite mit eingeschaltetem Adblocker benutzen – öffnet damit aber vermutlich die Tür für Marketingmassnahmen. Auch Bild.de und Gruner + Jahr, Europas zweitgrösstes Druck- und Verlagshaus mit Publikationen wie Geo, Stern und Brigitte sowie Eltern (!) und Dogs (!), haben bereits ein Adblock-Verbot eingeführt. Doch das Blocker-Geblocke verbreitet schlechte Stimmung zwischen Lesestoffproduzenten und Lesern. Geht es nicht anders?

Die Financial Times hat im Sommer einen Schulterschluss mit ihren Lesern mit Werbe- antipathie versucht. Dafür teilte die Wirtschaftszeitung ihre registrierten Nutzer in drei Gruppen auf: Bei einer Gruppe von Adblocker-Nutzern wurden in den Texten einzelne Wörter weggelassen, um zu verdeutlichen, wie wichtig die Werbeerlöse für die Produktion eines vollständigen journalistischen Angebots sind. Die zweite Gruppe wurde auf die Bedeutung der Werbung für die Finanzierung hingewiesen, konnte die Website aber weiter ohne Einschränkung nutzen. Die Adblocker-Nutzer in der dritten Gruppe wurden komplett ausgesperrt und bekamen einen Hinweis angezeigt, der das Vor- gehen erklärte.

Die Ergebnisse des Experiments sind erstaunlich und ermutigend: 47 Prozent der Nutzer, bei denen einzelne Wörter in Artikeln fehlten, setzten die «Financial Times»-Website auf ihre Whitelist. 40 Prozent der Nutzer, die das Angebot zwar ohne Einschränkungen nutzen konnten, aber einen Appell zu lesen bekamen, deaktivierten ihren Adblocker. Und von den Nut- zern, die komplett ausgesperrt wur- den, deaktivierten stolze 69 Prozent ihren Adblocker. Auch bei Bild.de war die Bilanz der Adblocker-Blockade positiv. Zwei Drittel der betroffenen Nutzer hätten ihre Adblocker ausgeschaltet und seien damit wieder für Werbung auf Bild.de erreichbar, sagte Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner bei einer Pressekonferenz.

Also doch die Keule? Das muss jedes Medium, jedes Verlagshaus zunächst für sich selbst entscheiden: Was passt zum Produkt? Was ist unser Stil? Was können wir uns leisten? Was können wir finanzieren? Ist die eigene Linie klar, sollten Medienanbieter kooperieren: in Vertrieb, Vermarktung, Marketing, Marktforschung und Technologie.

Wichtig ist die Einsicht, dass wir unsere Leser ins Boot holen müssen; wir müssen ihnen die Bedeutung von Abonnements und Werbung für den Stoff, den sie gerne lesen möchten, plausibel machen. Wer bisher alles kostenlos bekam, muss das Zahlen erst wieder lernen. Und wer nichts bezahlt, kann auch keine rundum zufriedenstellende Leistung erwarten. Das ist nicht nur im Journalismus so.

Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin

f.heinrich@werbewoche.ch

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