Zur Sache: Geblockte Zukunft

Ich staune – staune, wie findig PR ist. Kaum sind Ad-Blocker und Blocker von Ad-Blockern in der Debatte, werde ich mit «Einladungen» überhäuft. Man lädt mich ein, Beiträge «ausgewiesener Fachautoren» zu veröffentlichen.

Natürlich geht es nicht um Fachartikel, sondern um PR-Textchen, fest ins Deckmäntelchen des Redaktionellen gehüllt, behütet mit der Kappe des Redlichen, damit niemand merkt, worum es wirklich geht: Native Advertising. Einer der Anfragenden gab sich besondere Mühe und offerierte «themenrelevante Gastartikelveröffentlichungen gegen Einmalzahlung», bei denen «kein Hinweis auf Werbung erfolgen» dürfe. Abgelehnt.

Journalismus hat noch immer Schlagkraft. Wenn Werbung nicht länger goutiert und knallhart geblockt wird, scheint das Verpacken in vorgeblich ungezinkte Berichterstattung eine attraktive Möglichkeit zu sein, Botschaften zu platzieren. Ob und wie solch verunreinigtes Textmaterial tatsächlich zu Verkäufen von irgendetwas führt, sei dahingestellt. Die Reputation gestandener Medien zerstört es im Nullkommanichts. Und die dreisten Versuche, die Wahrnehmungsschranke von Lesern (und Medienmachern!) zu unterwandern, nehmen zu, auch an Frechheit.

PR und Werbung sind unter Druck: Wie Botschaften platzieren und Waren aller Art verkaufen, wenn Werbung ausdrücklich nicht gewünscht wird? Journalismus ist unter Druck: Wie gut recherchierte Beiträge produzieren und verkaufen, wenn Werbung ausdrücklich nicht gewünscht wird? Leser wollen keine Online-Werbung. Sie wollen für hochwertige und weiterführende Informationen aber auch nichts bezahlen. Print-Werbung wird den meisten Werbeauftraggebern zu teuer. Crowdfunding oder Sponsoring funktionieren nur in Einzelfällen. Wo also soll und wo kann die Reise hingehen?

Früher lasen Leser den Teil einer Zeitung oder Zeitschrift, der sie interessierte – und störten sich nicht an ungelesenen Artikeln. Heute haben Leser den Anspruch, dass für sie alles, was sie mit einer Zeitung oder Zeitschrift kaufen, von höchstem Interesse ist. Wenn nicht, wird das Abo gekündigt, das Magazin nicht mehr gekauft. Zu wenig Nutzwert. Man will einzelne Artikel, die wirklich etwas bringen, statt ein ganzes Heft. Hier hätte die Idee des individualisierbaren Mediums, das sich jeder selbst zusammenstellen kann, abhelfen können. Doch auch das funktionierte nicht recht. Denn der Leser muss selbst Arbeit in die Selektion seines Lesestoffs investieren und eine Druckfassung einer solchen Individualausgabe ist schlicht nicht realisierbar. Gangbar ist vielleicht das Modell des Toggenburger Tagblatts: Abonnenten können sich nächstes Jahr zwischen zwei Zeitungen entscheiden, entweder für die Gesamtausgabe mit Mantelteil und Ostschweiz-Bund oder nur für den Regionalteil – zu einem günstigeren Preis.

Seit Jahren geht es überall um die gleiche Frage: Wie können wir unsere Leser mit steigender Qualität und mehr Service an uns binden? Und das mit weniger Personal, sinkendem Budget und schrumpfenden Margen? Werbeblocker und -verbote sind sicher der falsche Weg zu mehr Qualität für den Leser. Auch eine «Bezahlschranke» fällt ungnädig zwischen Text und Leser nieder wie eine Guillotine.

Medienmacher sollten sich fragen: Wie kommt es, dass ein Kunde in die Migros geht und Waren selbst- verständlich an der Kasse bezahlt – und dass der gleiche Kunde auf unsere Websites geht, einen Beitrag konsumiert und auf leisen Sohlen wieder verschwindet? Diese Selbstverständlich-gratis-Mentalität haben wir uns selbst herangezüchtet. Das heisst aber nicht, dass wir nun für immer mit ihr leben müssen wie mit einer unheilbaren Krankheit. Verlage, Medienhäuser, Journalisten müssen deshalb den klaren Entschluss treffen, Geldwertes nicht länger in die Konsum-Umlaufbahn ihrer Rezipienten abzusondern, sondern wieder einen Markt für journalistische Produkte zu schaffen, mit Wert und Gegenwert.

In diesem Markt hat auch klar deklarierte Werbung ihren Platz, sie ist die Finanzierungsbasis journalistischer Leistungen. Lesern muss wieder bewusst werden, dass es viel Hirn und Engagement, Geld und Kraft kostet, hochwertige In- halte herzustellen, die informieren, einordnen, hinterfragen, erklären und Sachverhalte miteinander verknüpfen.

Natürlich stellt heute jedes Por
tal News aus aller Welt bereit, von Bluewin bis Xing. Doch das ist wiedergekäuter Einheitsbrei, nicht die Grundlage für klares, geschärftes Denken. Wenn es Medienhäusern nicht gelingt, das Vertrauen und die Zuneigung ihrer Kunden zurückzugewinnen und sie vom hohen Wert der Fakten-Einordnung zu überzeugen, werden Amazon, Apple, Google oder Facebook die Newsverteilung übernehmen. «Smalltalk im OP führt zu mehr Wundinfektionen», ergab kürzlich eine Studie des Inselspitals Bern. Und der ewig gleiche Newssalat im Internet führt zu intellektueller Magenverstimmung.

Wenn Werbung nicht mehr darf, was Werbung kann – nämlich (re)finanzieren –, gibt es in Zukunft nur noch Warenhäuser a la Blendle, in denen alle Medienhäuser eines Landes (oder gar der Welt) ihre Produkte feilbieten, vom Text über die Infografik bis zum Film. Hier findet der Leser alles, was er sich wünscht: verderbliche Ware für schnellen Konsum und den zeitlosen Klassiker, Budget-Artikel und journalistische Glanzstücke. Macher und Leser kennen einander nicht. Und gezahlt wird an der Kasse. In barer Münze.

Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin
f.heinrich@werbewoche.ch

 

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