Zur Sache: Wie frei ist unsere Meinung – und wie lange noch?

Stellen Sie sich vor, Sie gehen ins KKL – und niemand ist da. So geschehen beim Swiss Media Forum am vergangenen Freitag. Statt ins KKL wurden alle Teilnehmer auf das Linienschiff Gotthard verladen.

Was zunächst wie ein sommerlicher Tribut an das herrliche Wetter daherkam, stellte sich schnell als unfreiwillige Inszenierung des Diskussionsthemas heraus: «Wie frei sind die Medien noch?»

Beim ersten Panel sollte es um Medien- und Meinungsfreiheit gehen. Und eben diese stuften der Veranstalter und die örtliche Polizei als akut gefährdet ein. Einer der Referenten nämlich war Jørn Mikkelsen, Chefredaktor des dänischen Jyllands-Posten, der vor zehn Jahren die Mohammed-Karikaturen gedruckt hatte. Man befürchtete, dass Mikkelsen Zielscheibe eines Anschlags werden könnte. Und mit ihm die versammelte Schweizer Medienbranche.

Schon am Vorabend war Bassem Youssef, TV- Satiriker aus Ägypten, ohne grosse Ankündigung vor dem Dinner aufgetreten. Youssefs Show war in seiner Heimat nach Drohungen eingestellt worden. Auch beim Swiss Media Forum fürchtete man offenbar Ungemach und ging auf Nummer sicher.

Erst im Januar hat der Anschlag auf Charlie Hebdo uns wieder geweckt, in Erinnerung gerufen, wie permanent und akut Medienleute und alle, die ihre Meinung offen äussern, bedroht sind. Hass schläft nicht. Dennoch: Paris war irgendwie weit weg. Nun auf einmal: Schweiz, wir sitzen auf einem Linienschiff auf dem Vierwaldstättersee, mit einem Kloss im Hals. Dabei ist gar nichts passiert. Trotzdem schrillen die Alarmglocken.

Mikkelsen tritt auf, ein grosser Mann mit weisser Haut, hellblondem Haar und sanfter Stimme. Er erzählt von seinem Alltag: Sein Arbeitsplatz gleicht einem Hochsicherheitstrakt, das Redaktionsgebäude des Jyllands-Posten ist mit Überwachungskameras bestückt, viele Leitende Redaktoren und einige Karikaturisten stehen ständig unter Polizeischutz – sicher auch er, auch wenn er dies nicht direkt bestätigt. 2010 entging Jyllands-Posten- Zeichner Kurt Westergaard nur knapp einem Anschlag, weil er sich gerade noch in einen speziell gesicherten Notraum retten und von dort die Polizei alarmieren konnte.

Die Vorsicht ist also nicht übertrieben. Die Bedrohung ist ganz nah. Wer auf Rache sinnt, hat einen langen Atem. Und Wut verjährt nicht. Mikkelsens Reaktion auf diesen Zustand ist «Realismus», wie er es nennt: «Nicht resignieren, aber realistisch mit der Situation umgehen, sein Handeln der Gewaltdrohung anpassen – denn kein Cartoon ist ein Menschenleben wert. Der Grat zwischen Meinungsäusserungsfreiheit und Selbstzensur ist schmal.» Steht da ein gebrochener Mann vor uns?

Gebrochen insofern: Journalistische Euphorie, Kampfgeist, die Kraft des Widerstandes sind bei Mikkelsen nicht zu spüren. Zu schwer trägt er daran, dass die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen Menschenleben gekostet hat – auch wenn ihm, dem Journi, nicht die Verantwortung dafür anzulasten ist. Zu schwer trägt er daran, nicht frei zu sein, jeden seiner Schritte abwägen zu müssen. Seit zehn Jahren sucht Mikkelsen nach einem Weg, seinen journalistischen Auftrag zu erfüllen, ohne den Zorn extremistischer Gruppierungen auf sich zu ziehen. Ein kräftezehrender Gewaltakt.

Wo ist der Ausweg, für uns alle? Muss, wer gehört wird, immer leiser werden, damit ihm nichts zustösst? Wer nicht unter Beschuss steht, kann leicht Mut fordern, Courage und eine laute Stimme. Aber vielleicht ist es genau so einfach: sich den Mut nicht nehmen lassen, nie und von niemandem. Einen Maulkorb nicht dulden, schon gar nicht, wenn man ihn sich selbst anlegen soll. Freiheit nutzen, bevor sie sich abnutzt. Und seinen Glauben an die eigene Sache nicht verlieren.
Das Swiss Media Forum hätte auch abgeblasen werden können. Doch es gab eine Seerundfahrt. Wenn Sie sich also fragen, ob es sich heute noch lohnt, Journalist zu sein, ob dieser Beruf ein trag- bares Risiko ist: Das spielt keine Rolle. Mund auf, es braucht uns mehr denn je! Ahoi auf der MS Liberty.

Anne-Friederike Heinrich, Chefredaktorin
f.heinrich@werbewoche.ch

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