Zur Sache: Fluch oder Segen?

Social Media sind eine unerschöpfliche Quelle für gesellschafts- und medienpolitische Diskussionen. Von vielen werden sie verherrlicht, von vielen verdammt.

Die einen beklagen den Verlust der Privatsphäre, die anderen begrüssen das Schaffen von Transparenz. Kulturpessimisten wettern über seichte Tweets und irrelevante Statusmeldungen im Sinne von «ich esse jetzt ein Sandwich», Extrovertierte freuen sich an witzigen Posts und teilen ihre Party- Fotos mit Freunden. Unbedarfte Tweets haben schon einige Politiker-Karrieren ruiniert, andere wegen Moralaposteln, die es auch in den Social Media gibt, zu einem Shitstorm geführt.

Während des Hurrikans Sandy kamen unzählige Social Media zum Einsatz. Einerseits zur mobilen Kommunikation, weil es keinen Strom mehr gab, dann aber auch zur Prävention. Alarmmeldungen und Hinweise der Rettungskräfte wurden so verbreitet. Aber natürlich auch voyeuristische Katastrophenbilder. Die Social Media waren eine Zeitlang die einzigen Informationsquellen. Fluch oder Segen?

Die beiden Amokläufer, die am helllichten Tag in London einen Soldaten mit Messer und Metzgerbeil umgebracht haben, forderten die Passanten auf, die wirren Worte des einen mittels Smartphone aufzunehmen – im Wissen, dass die Hass-Tirade via Social Media ihren Weg auch in die klassischen Medien finden würde. Das fand sie auch und löste damit medienethische Diskussionen aus. Fluch oder Segen?

Die Organisatoren der «Tanz dich frei»-Kundgebung in Bern haben via Facebook «erfolgreich» zur Teilnahme aufgerufen. Das Resultat: heftige Auseinandersetzung mit vielen Verletzten und grossem Sachschaden. Die Berner Polizei schliesst eine Internetfahndung nicht aus. Gleichzeitig will aber der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause gegen Facebook klagen. Fluch oder Segen?

Während Tausende von Demonstranten in der Türkei auf die Strasse gehen und sich Strassenschlachten mit der Polizei liefern, schimpft Ministerpräsident Erdogan gegen die sozialen Netzwerke. Dort würden nur Lügen verbreitet. Er meint, sie seien die «schlimmste Bedrohung der Gesellschaft». Die klassischen Medien in der Türkei, eingeschüchtert von einer rigiden Gesetzgebung, bringen aber wenig bis gar nichts über die Demonstrationen. Die meisten Informationen laufen über Twitter. Mittlerweile hat die türkische Polizei scheinbar schon Dutzende Twitter-Nutzer festgenommen. Fluch oder Segen?

Es gäbe noch unzählige Beispiele. Social Media können Fluch oder Segen sein, aber wir kommen nicht mehr daran vorbei, sie gehören zu unserer vernetzten Gesellschaft. Wir müssen lernen, mit ihnen umzugehen.

Pierre C. Meier, Chefredaktor pc.meier@werbewoche.ch
 

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