Zur Sache: Irrtum vorbehalten

Und wieder läutet jemand das Ende der klassischen Zeitung ein. Dieser jemand scheint es ganz genau zu wissen: In den USA wird es schon 2017 mit der Tageszeitung zu Ende gehen.

2019 folgt dann UK und Island, 2020 sterben die Zeitungen in Kanada und Norwegen. 2021 trifft es Finnland, Singapur und Grönland. Und so geht der Totentanz in Einjahresschritten munter weiter bis dann 2039 auch in der argentinischen Pampa das Totenglöcklein läutet. Die Schweiz trifft es übrigens im Jahre 2025 zusammen mit Polen und Schweden.
Sind das irgendwelche Hirngespinste eines Propheten? Weit gefehlt! Der australische Medienexperten Ross Dawson hat die ganze Sache streng wissenschaftlich untermauert. Unzählige Keyfactors sollen zum Ableben beitragen. Nachzulesen sind sie unter www.futureexploration.net. Man kann jede noch so abstruse Theorie begründen, es fragt sich nur, wie genau die Aussagen sind. Vorsichtig wie der Aussi-Forscher ist, vermerkt er im Kleingedruckten lakonisch «This schedule for newspaper extinction shows best estimates given current trends». Was sich übersetzen liesse mit «Irrtum vorbehalten».
Soll man nun über diese abstrusen Untergangs-Prophezeiungen lächelnd hinweggehen? Das wäre sicher falsch, denn es ist sehr wohl richtig, sich die Frage nach der Zukunft der Tageszeitung zu stellen. Die Tageszeitung wird in zwanzig Jahren sicher nicht mehr gleich aussehen wie heute. Die Neue Zürcher Zeitung sah 1780 auch anders aus und transportierte andere Inhalte als heute. Das ist ja wohl klar.
Falsch und schlimm an der ganzen Sache ist das Simplifizieren eines bestehenden Problems. Dass die Simplifizierung wissenschaftlich verbrämt ist, macht das Ganze nicht besser. Es wird nicht lange dauern, bis ganze Heerscharen von Nostradamus-Adepten die Erkenntnisse brav nachplappern.
Mir ist es schleierhaft, warum die Medienbranche keine Möglichkeit ausser Acht lässt, ihren eigenen Unterganz zu prophezeien. Mit masochistischer Lust wird wacker an der Selbstzerfleischung gewerkelt. Ich will nicht falsch verstanden werden: Ich bin weiss Gott nicht dafür, dass man alles schönredet, es gibt noch viele Probleme bei den Zeitungen zu lösen. Die Zeitungen müssen sich wandeln, wie sie sich schon immer gewandelt haben, aber alles in Grund und Boden zu reden, bringt gar nichts.
Es geht hier nicht nur um den Effekt der «self-fulfilling prophecy», einer Prophezeiung, die sich deshalb erfüllt, weil man sich unbewusst so verhält, dass sie sich erfüllen muss. Es geht darum, dass man an seine eigenen Produkte glauben muss, um diese auch glaubhaft und überzeugend verkaufen zu können.
Pierre C. Meier, Chefredaktor
pc.meier@werbewoche.ch

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